Eine Kuh fällt vom Himmel – mitten auf ein kleines Ruderboot, sodass man annehmen muss, dass jemand zu Schaden gekommen ist. Zunächst ist man irritiert, weil man nicht weiß, in was für einen Film man da geraten ist: surrealistischer Klamauk, komisches Märchen oder ernsthaftes Traktat über Zufall und Schicksal? Die Verwirrung hält an, weil sich Regisseur Sebastián Borenzstein mit einem abrupten Szenenwechsel etwas ganz anderem zuwendet. Roberto, ein einsamer, wortkarger Eigenbrötler, führt in Buenos Aires ein Eisenwarengeschäft. Den wenigen Kunden begegnet er mit schnippischer Unfreundlichkeit, die Avancen einer interessierten Nachbarin ignoriert er. Davon abgesehen, nimmt er jede Gelegenheit wahr, sich zu entrüsten, vor allem, wenn sich bei einer neuen Lieferung nicht exakt die angegebenen 300 Schrauben in einer Schachtel befinden. Natürlich sind es immer zu wenig, nie zu viel – das kann einem schon den Tag verderben. Roberts einziges Hobby: Er sammelt kuriose Zeitungsmeldungen, die er ausschneidet und einklebt.
Dass anderen Menschen absurde und traurige, manchmal katastrophale Dinge passieren, ist dem Eigenbrötler so etwas wie ein Trost für sein ungelebtes Leben. Dass auch ihm etwas Kurioses zustoßen könnte, hätte er sich wohl nie träumen lassen. Doch eines Tages läuft ihm Yun, ein junger Chinese, in die Arme. Völlig hilflos, ohne Orts- und Sprachkenntnisse, irrt er durch die Stadt. Roberto will zunächst nichts mit ihm zu tun haben, zumal er (wie der Zuschauer) keine Silbe des chinesischen Wortschwalls versteht. Doch er bringt es auch nicht übers Herz, Yun an der Straßenecke stehen zu lassen. Darum nimmt er ihn mit zu sich nach Hause – zunächst nur für eine Woche, nicht ahnend, dass sein wohl geordneter Alltag gehörig durcheinander geraten wird. Der Auslieferer eines chinesischen Restaurants leistet erste Übersetzungshilfe – Yun ist nach dem Tod seiner Verlobten auf der Suche nach Verwandten in Buenos Aires. Doch mit dem Wissen um das Problem ist dieses noch lange nicht gelöst.
Der Film nimmt sich zunächst sehr viel Zeit, um seinen misanthropischen Antihelden vorzustellen. Ein ums andere Mal sieht man ihn laut fluchend beim Schraubenzählen; erst, wenn die Digitaluhr auf Punkt 23.00 Uhr umgesprungen ist, löscht er das Licht und legt sich schlafen. Der lakonische Humor und die trockenen Dialoge haben etwas Trauriges, weil sich hier ein Mann an Gewohnheiten klammert und nicht nach den Gründen für seine Unzufriedenheit forschen mag. Das gelegentliche Beobachten von Flugzeugen, die über Buenos Aires hinwegfliegen, zeugt von einer unbestimmten Sehnsucht: Vielleicht ist es woanders besser. Mit der Einführung Yuns wandelt sich der Film zur leisen Culture-Clash-Komödie. Während der Chinese skeptisch argentinische Gerichte wie Viehhoden beäugt, wundert sich Roberto über die kafkaesk-bürokratischen Vorgänge in der chinesischen Botschaft. Dass beide Männer trotz der kulturellen Unterschiede gemeinsam ihre Einsamkeit überwinden, ist Ausdruck einer zutiefst empfundenen Menschlichkeit. Dabei macht sich der Regisseur nie über seine Figuren lustig. Auch wenn sie zunächst unsympathisch erscheinen, nehmen sie im Lauf des Films eine immer vollständigere, komplexere Gestalt an. Am Schluss kehrt er zur fliegenden Kuh des Beginns zurück. Ein Ereignis, das sich wirklich zugetragen hat. Gut möglich, dass es Roberto in der Zeitung entdeckt und ausgeschnitten hat.