Drama | Israel 2011 | 112 (24 B./sec.)/108 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Nadav Lapid

Ein israelischer Polizist, dessen Frau ein Kind erwartet, arbeitet in einer Anti-Terror-Einheit und betrachtet sich selbst als betont maskuliner "Kämpfer" für Israel. Eine Frau aus dem Bürgertum plant zusammen mit Gleichgesinnten eine Aktion, um gegen die krasse soziale Ungerechtigkeit zu protestieren. Anhand dieser beiden Handlungsstränge, die schließlich miteinander kollidieren, entwirft der Film ein spannungsvolles, kluges Porträt der israelischen Gesellschaft, das bewusst den Mythos des eisernen Zusammenhalts unterwandert und anhand einer Beschäftigung mit Männlichkeitsgehabe und Frauenbildern, sozialen Verwerfungen und Ressentiments innere Brüche aufzeigt. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HA SHOTER
Produktionsland
Israel
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Laïla Films/HIT/Rabinovich Film Fund Cinema Project
Regie
Nadav Lapid
Buch
Nadav Lapid
Kamera
Shai Goldman
Schnitt
Era Lapid
Darsteller
Yiftach Klein (Yaron) · Yaara Pelzig (Shira) · Michael Moshonov (Oded) · Menashe Noï (Michael) · Michael Aloni (Nathanael)
Länge
112 (24 B.
sec.)
108 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
25.10.2012
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama

Diskussion
Es ist ein Tanz von Kraft, den Yaron für seine schwangere Frau aufführt, mit nacktem, gestähltem Oberkörper zu lauter Musik, um die Hüften ein rotes Handtuch gewickelt. Als Nili, die auf dem Sofa liegt, sich schließlich ein schwaches Lächeln abringt, ist Schluss damit, die Musik wird ausgeschaltet. Denn Yaron hat es eilig. Als „Kämpfer“ – so sieht er sich selbst – in einer Anti-Terror-Eliteeinheit ist er immer in Bewegung, die Muskeln wollen beschäftigt werden. In einem der wenigen Momente, in denen er kurz innehält, posiert der werdende Vater heimlich mit einem Baby auf dem Arm vor dem Spiegel. Der israelische Regisseur und Autor Nadav Lapid zeigt mit seinem ersten Langfilm „Policeman“ nicht nur, dass er ein großer Erzähler ist und es meisterlich versteht, Spannung aufzubauen. Mit reflektiertem, nüchternem Blick und beißendem, düsterem Humor gelingt ihm auch eine sehr differenzierte filmische Diagnose der israelischen Gesellschaft – die wohl umfassendste der vergangenen Jahre. Lapid richtet seinen Blick nicht auf den palästinensisch-israelischen Konflikt, auch nicht in die Vergangenheit oder auf den Alltag junger Menschen. Er geht von einem Konflikt im Inneren aus, der das Gefüge einer Gesellschaft, die sich wesentlich über ihren inneren, absoluten Zusammenhalt definiert, erschüttern muss. In der ersten Dreiviertelstunde des Films steht Yaron, der Polizist, im Mittelpunkt – hervorragend gespielt von Yiftach Klein. Die langen Einstellungen und Szenen, in denen Mimik und Gesten eine ebensolche Rolle spielen wie die Dialoge, erinnern an eine dokumentarische Beobachtung und erzählen stets ein Vielfaches. Yaron ist ein Macho, ein Körperfetischist; die Freundschaft zu seinen Kollegen wird jederzeit und jeden Orts mit ausführlichen Männlichkeitsritualen zelebriert. Er ist kein Sympathieträger, wird aber durch die Brüche, Menschlichkeiten und Zwänge, die Lapid seiner Figur einschreibt, auch nicht zum reinen Exempel oder Abziehbild. Nach der ersten Dreiviertelstunde bricht die Geschichte um ihn abrupt ab, und ein neuer Handlungsstrang beginnt, mit einer neuen Hauptfigur: mit der bourgeoisen Revolutionärin Shira (Yaara Pelzig), die gemeinsam mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter eine „Mission“ plant, um aufzurütteln und die Aufmerksamkeit zu lenken auf „die größte Kluft zwischen Arm und Reich“ in einem westlichen Staat. Dass am Ende der Polizist, der es gewohnt ist, Araber „auszuschalten“, auf die blonden Revolutionäre aus der Mitte der Gesellschaft treffen wird, ist unausweichlich. Diese beiden Erzählstränge nicht parallel zu montieren, sondern den Film in zwei Blöcke zu teilen, erweist sich als formale Stärke: Lapid will keine Parallelen aufzeigen – er will die Kollision. Von dem „Mythos“ des Zusammenhaltes in einem jüdischen Staat umgeben von Feinden, ähnlich beschreibt es der Regisseur, würden sämtliche Unvereinbarkeiten der israelischen Gesellschaft kaschiert. Es geht um Frauenbilder und Männerbilder, um Scheinfeminismus und Chauvinismus, um Waffenfetischismus, um Rassismus und Ressentiments – um eine Gesellschaft, für die innenpolitische Probleme, Erneuerung oder Veränderung zunehmend an zweiter Stelle stehen. Ein wenig wurde der Film, der 2011 in Locarno seine internationale Premiere feierte und vielfach ausgezeichnet wurde, von der Realität eingeholt: Im Juli 2012 begannen in Tel Aviv die Demonstrationen gegen soziale Ungerechtigkeit.
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