Drama | Griechenland 2011 | 93 (24 B./sec.)/90 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Yorgos Lanthimos

Die "Alpen" sind eine Gruppe aus zwei Männern und zwei Frauen, die einer skurril-makabren Nebenbeschäftigung nachgehen. Für Menschen, die Angehörige oder Freunde verloren haben, schlüpfen sie in die Rolle der Verlorenen, um deren Verlust zu überbrücken. Eine der Frauen, die immer mehr in den Rollenspielen aufgeht, gerät dabei in Konflikt mit dem Chef der "Alpen". Im Spannungsfeld zwischen der nüchternen Realität eines tristen urbanen Griechenlands und den absurd-theatralen Performances entwickelt der Film das Ringen seiner Heldin um einen emotionalen wie auch gesellschaftlichen Platz als verstörendes, zwischen Komik, Schrecken und Zärtlichkeit changierendes Drama. Trotz der konsequenten Düsternis in der visuellen Umsetzung behaupten die lebenshungrigen Figuren ihre Vitalität gegenüber aller Resignation. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ALPIS
Produktionsland
Griechenland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Haos Films/Faliro House Prod./Feelgood Ent./Marni Film/Avion Films/Cactus Three/ERT
Regie
Yorgos Lanthimos
Buch
Efthymis Filippou · Yorgos Lanthimos
Kamera
Christos Voudouris
Schnitt
Yorgos Mavropsaridis
Darsteller
Aggeliki Papoulia (Krankenschwester / Monte Rosa) · Aris Servetalis (Rettungssanitäter / Mont Blanc) · Johnny Vekris (Trainer / Matterhorn) · Ariane Labed (Sport-Gymnastin) · Stavros Psillakis (Vater der Krankenschwester)
Länge
93 (24 B.
sec.)
90 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
14.06.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
REM (16:9, 1.85:1, DD5.1 gri.)
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Diskussion
Die Begründung, warum sie sich „Die Alpen“ nennen, ist von grandioser Unsinnigkeit: Der Chef der kleinen Truppe, die neben ihm aus einer Kunstturnerin, deren Trainer und einer Krankenschwester besteht, erklärt seinen Mitstreitern, die Alpen seien das Gebirge, das zwar jedes andere Gebirge der Welt ersetzen könne, selbst aber unersetzlich sei. Wie er zu dieser verwegenen Beobachtung kommt, wird nicht ganz klar, jedoch wird der Name von der Gruppe folgsam nicht in Frage gestellt, und jeder darf sich den Namen eines Alpenbergs als Code-Name aussuchen – bis auf Mont Blanc, denn der höchste Gipfel ist natürlich für den Anführer reserviert. Ums Ersetzen geht es auch bei dem, was die Alpen-Gruppe tut: Für Menschen, die durch den Tod oder auch eine Trennung einen Angehörigen, Freund, Liebsten verloren haben, schlüpfen die Mitglieder in die Rolle des vermissten Menschen. Da sind die Eltern, deren tennis-begeisterte Tochter zu Beginn einen Unfall hat und schließlich an den Folgen stirbt. Da ist die alte Frau, die einen Ersatz für ihre beste Freundin braucht, dann der Mann, der seinen Freund, einen Kapitän, wieder um sich haben will, ein weiterer, dessen Geliebte ihn anscheinend sitzen gelassen hat. Die Alpen kommen ihnen mit ihrer Dienstleistung zu Hilfe. Dabei kommt es aufs Detail an: Was war der Lieblingsschauspieler des Verlorenen, wer der Lieblingssänger, und kann seine Brille noch aufgetrieben werden? Dennoch bleiben die Performances, gelinde gesagt, etwas steif: Es ist eher Brecht als Method Acting, was die Alpen abliefern. Trotzdem: Die Kunden spielen mit. Und bezahlen die Alpen. Das Geld verwaltet Mont Blanc, und wenn einer die strengen Regeln verletzt, die für die Gruppe gelten, dann ist das Vorenthalten der Belohnung noch die gelindeste Form der Strafe. Es ist ein im höchsten Maße seltsamer, seltsam berührender und seltsam beunruhigender Film, den Yorgos Lanthimos inszeniert hat. Wie bereits in „Dogtooth“ (2009) bewegt er sich im Spannungsfeld zwischen der nüchtern und lakonisch geschilderten Wirklichkeit eines Griechenland, das zwar nicht direkt marode, aber doch trist und freudlos wirkt – eine Welt gesichtsloser Straßen und unscheinbarer Wohnungen –, und absurden Performances, mit denen sich die Figuren eigene, alternative Wirklichkeiten bauen. Was oft sehr (tragi-)komisch wirkt, im Gegensatz etwa zu Athina Rachel Tsangaris an der Tierwelt orientierten Rollenspielen in „Attenberg“ (fd 41 055) aber auch zunehmend unheimlich. Zudem verstören die Gewaltverhältnisse, die Lanthimos’ Figuren als eine selbstverständliche Gegebenheit ihres Lebens akzeptiert zu haben scheinen, vor die Gewalt der Männer gegen die Frauen: Der Trainer droht der Kunstturnerin, die es satt hat, ihre rhythmische Sportgymnastik auf die „Carmina Burana“ zu machen und lieber Pop-Musik hätte, gröbste Strafen an, sollte sie seine Anweisungen in Frage stellen; später wird sie für ein Versagen vom Chef der Alpengruppe dazu verdonnert, kopfüber nach unten hängend einen Satz, der ihr bei einem Kunden nicht über die Lippen kommen wollte, wieder und wieder zu üben. Im Mittelpunkt des Films steht die Krankenschwester: Man begleitet sie von der Arbeit in der Klinik und ihren Treffen mit der Alpen-Gruppe in ihr Zuhause, das sie mit ihrem alten Vater teilt, als auch in die Wohnungen ihrer Kunden. Dabei offenbart sich ihre zunehmende Schwierigkeit damit, die Professionalität als Alpen-Mitglied gegenüber den Kunden zu wahren: Das Rollenspiel wird für sie immer mehr zur emotionalen Notwendigkeit; „echte“ soziale Beziehungen, von der zu ihrem Vater einmal abgesehen, scheint sie nicht mehr zu pflegen, sondern ganz in ihrem Performances aufzugehen. Vor allem ihre Verkörperung der verunglückten Tennis spielenden Tochter wird so wichtig für sie, dass daraus regelrecht eine Abhängigkeit entsteht. Als sie ihrerseits „ersetzt“ wird, ist das ein Schock, der sie aus der Bahn wirft. Ähnlich wie die Heldin in „Attenberg“ ist diese Frau ein ebenso fragiles wie sperriges, ein ebenso anpassungsfähiges wie eigenwilliges, ebenso sprödes wie liebeswürdig-wunderliches Geschöpf – keine Figur, die Mitleid heischt, selbst wenn es ihr noch so schlecht geht. Auch wenn die visuelle Gestaltung des Films von konsequenter Düsternis ist, ist „Alpen“ im Ganzen kein düsterer Film: Momente der Zärtlichkeit konterkarieren immer wieder das Aggressive und Nüchtern-Geschäftsmäßige der menschlichen Beziehungen; wahre Gefühle verschaffen sich im Spiel Raum, der Hunger nach Leben, Liebe, Nähe in den Figuren ist selbst in verzweifelten Momenten so vital und fordernd, dass an Resignation nicht zu denken ist.
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