Brasch - Das Wünschen und das Fürchten
Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 95 Minuten
Regie: Christoph Rüter
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- TAG/TRAUM/Christoph Rüter Filmprod./ZDF
- Regie
- Christoph Rüter
- Buch
- Christoph Rüter
- Kamera
- Patrick Popow · Thomas Brasch · René Kirschey · Christoph Rüter
- Schnitt
- Rune Schweitzer
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- 03.11.2011
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Am 3.11.2001 starb der Dichter und Filmemacher Thomas Brasch 56-jährig in Berlin. „Er wusste“, sagte Fritz J. Raddatz in seiner Grabrede, „dass Kunst das Gehärtete sein muss. Unter dem Gehärteten, unter dem Unerbittlichen des Kunstgesetzes, lag seine Bittlichkeit. Immer, wenn Sie genau lesen, ob in Stücken, in Prosa, vielleicht ganz besonders in der Lyrik, werden Sie finden eine Gebärde des Flehentlichen. Er hat uns eine Welt vorgeführt, vor der er die Menschen warnt. Gleichwohl hat er gesagt, sie möge nicht so sein.“ In seinem Film mit dem Untertitel „Das Wünschen und das Fürchten“ unternimmt Christoph Rüter den Versuch, genau jenes Spannungsfeld zwischen Gewalt und Zärtlichkeit, Realität und Utopie, höchster Euphorie und tiefster Angst zum Zentrum seiner biografischen Annäherung an Brasch werden zu lassen; er konfrontiert mit Momenten aus dem Leben jenes Mannes, dessen Œuvre inzwischen längst vom schleichenden Vergessen heimgesucht wird.
Thomas Brasch: Geboren 1945 in England als Sohn emigrierter deutsch-jüdischer Kommunisten, erzogen in der Liebe zu Stalin, als Zwölfjähriger von seinem Vater auf eine Kadettenschule der Nationalen Volksarmee geschickt, später von der Leipziger Journalistenfakultät und der Babelsberger Filmhochschule exmatrikuliert, weil er Flugblätter gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag verbreitet und „führende Persönlichkeiten der DDR“ verunglimpft habe. Mit Gefängnis bestraft, vorzeitig entlassen, zur „Bewährung“ in eine Fabrik geschickt, von Helene Weigel ans Berliner Ensemble geholt, 1977 in die Bundesrepublik abgeschoben, wo sein Erzählungsband mit dem viel zitierten Titel „Vor den Vätern sterben die Söhne“ erscheint.
Die Auf- und Umbrüche dieser Vita werden von Rüter rekapituliert; als Belege gibt es Fotos, Film- und Fernsehausschnitte, etwa prägende Kino- und Theaterinszenierungen oder den Eklat während der Verleihung des Bayerischen Filmpreises für Braschs Regiedebüt „Engel aus Eisen“ (1979). Das Hauptkonvolut, aus dem Rüter schöpft, sind jene Interviews, die er selbst mit dem Dichter führte, sowie 27 DV-Kassetten, die in dessen Nachlass gefunden wurden und auf denen Brasch seinen Alltag, den zunehmenden Wahn und körperlichen Verfall nach 1990 dokumentierte. Es sind intensive, authentische Bilder ohne jede Camouflage, aufgenommen vor allem in Braschs neuer Wohnung in Berlin-Mitte, unmittelbar neben dem Berliner Ensemble. Rüter verzichtet auf Zeitzeugen, die Braschs Leben und Werk beschreiben, einordnen oder analysieren; auch sein eigener, knapper Kommentar wertet nicht, sondern verfolgt einzig den Zweck, dem Zuschauer die Orientierung in der Abfolge der nicht chronologisch montierten Sequenzen zu erleichtern.
„Brasch. Das Wünschen und das Fürchten“ ist wie eine letzte Liebeserklärung an den verstorbenen Freund. Dabei wirkt der Film weniger „atemlos“ als es sich Brasch gewünscht hatte, sondern, aus dem Abstand der Jahre, trotz der geschilderten unerhörten Vorgänge eher sachlich abgeklärt. Die Abgründe, durch die der alkohol- und kokainsüchtige Dichter taumelte, sind oft nur zu erahnen, etwa wenn die Kamera die vollgekritzelten Wände seiner Wohnung oder die im Raum verteilten Papierhaufen seines letzten, über tausendseitigen Roman-Manuskripts „Mädchenmörder Bruhnke“ erfasst: Signale für ein Leben auf Abruf. Wie sehr Brasch an den Schrecknissen seiner Zeit und Welt litt, welchen Höllenqualen er sich aussetzte, um dieses Dasein zu bewältigen, ist auf seinem schmalen, zunehmend knöchernen Gesicht mit den großen, aus den Höhlen hervortretenden Augen zwar ablesbar, wenn auch vor allem für Eingeweihte.
Sein Credo, er habe das Privileg, sich an den Rand zu treiben, „denn wenn ich das nicht mehr tue, merke ich nicht mehr, dass ich vorhanden bin“, findet eine sinnliche Entsprechung in Film- und Theaterausschnitten wie aus „Richard II.“, in dem Brasch, als Übersetzer, den Shakespearschen Titelhelden sagen lässt: „Wer immer in mir wohnt, der wird nicht zufrieden sein, bevor er alles los ist, auch sich selbst.“ Insgesamt hätte es dem Film gut getan, wenn er sperriger, brüchiger, fragmentarischer, fragender geraten wäre. So bildungsbürgerlich abgerundet, wie er jetzt erscheint, passt er zwar ausgezeichnet in den ZDF-Theaterkanal, trägt aber kaum zur nachhaltigen Verstörung jenes Publikums bei, dem Brasch mit auf den Weg zu geben versuchte, dass Kunst nicht die Lösung, sondern „der bleibende Schmerz (sei), der spüren lässt, dass man am Leben ist“.