Dokumentarfilm über den iranischen Rechtsbrauch der "Zeitehe", mit dem die Mullahs außereheliche Verhältnisse legalisieren. In drei parallelen Erzählsträngen beleuchtet er eine patriarchal dominierte Geschlechterordnung, in der die Teilzeit-Ehe für Frauen manchmal der einzige Weg ist, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Eine impressionistische, mit vielen Alltagsdetails unterfütterte Recherche, die deutlich auf die Spannungen innerhalb der iranischen Gesellschaft verweist.
- Ab 14.
Im Bazar der Geschlechter
Dokumentarfilm | Deutschland/Österreich 2009 | 84 Minuten
Regie: Sudabeh Mortezai
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Filmdaten
- Originaltitel
- IM BAZAR DER GESCHLECHTER
- Produktionsland
- Deutschland/Österreich
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Freibeuter Film/Lichtfilm/WDR
- Regie
- Sudabeh Mortezai
- Buch
- Sudabeh Mortezai
- Kamera
- Arastoo Givi · Majid Gorjian
- Schnitt
- Oliver Neumann
- Länge
- 84 Minuten
- Kinostart
- 04.08.2011
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Sex ist gefährlich; im Iran wird man dafür unter Umständen sogar gesteinigt. Zumindest sieht dies das iranische Strafgesetz beim wiederholten Fall eines „unerlaubten Geschlechtsverkehrs“ vor. Erlaubt ist (für Männer) nahezu alles, solange es innerhalb einer Ehe geschieht. Doch schon der Prophet Mohammad ersann für seine Krieger während der Eroberungszüge eine Ausnahme von der Regel: die so genannte Zeitehe, bei der man(n) sich gegen die Zahlung eines „Brautgeldes“ auch außerhalb der regulären Ehe eine Weile vergnügen kann. Im heutigen Iran ist das schon ab einer halben Stunde möglich. Neben den vier offiziellen Ehefrauen kann ein Iraner beliebig viele „Zeitehen“ schließen, solange sie von einem Mullah offiziell verbrieft sind; Frauen steht dieses Schlupfloch hingegen erst offen, wenn sie keine „Jungfrau“ und damit entweder geschieden oder verwitwet sind.
„Im Bazar der Geschlechter“ der österreichisch-iranischen Dokumentaristin Sudabeh Mortezai entwirft anhand dieser bizarren Rechtsfigur ein schillerndes Bild der gesellschaftlichen Verhältnisse im Iran. In drei parallel erzählten Strängen beleuchtet sie die Erfahrungen einer geschiedenen Frau, eines in die Jahre gekommenen alleinstehenden Mannes sowie eines jungen Mullahs mit dem staatlich sanktionierten Tausch Sex gegen Geld. Obwohl viele Szenen offensichtlich nachinszeniert sind, erfährt man viel über die Widersprüche innerhalb der schiitischen Theokratie, von denen die patriarchale Deformation am augenfälligsten ist. Unter dem Schah waren Zeitehe und Polygamie verboten, dafür war die Prostitution erlaubt; die Mullahs mit ihrer krassen Geschlechtertrennung revidierten dies umgehend und preisen das sexistische Konstrukt staatlich sanktionierter Kuppelei als heilsames Ventil; gemeint sind natürlich immer nur die Männer, deren sexueller Überdruck auf diese Weise systemkonform kanalisiert bleibt. Frauen werden dagegen keinerlei Freiräume zugestanden; in den süffisanten Rechtfertigungen der Theologen tauchen sie als (Rechts-)Subjekte gar nicht auf. Dem setzt der Film alltagsgesättigte Erfahrungen von Frauen entgegen, für die eine Teilzeit-Ehe manchmal die einzige Möglichkeit ist, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Stolz ist keine darauf, weshalb die konkubinenhaften Zeitehen häufig geheim gehalten werden; wenn unter Gleichgesinnten doch einmal das Thema zur Sprache kommt, nehmen die Frauen allerdings kein Blatt vor den Mund. In gewisser Weise zählt auch der ältere Single zu den Verlierern der rigiden Geschlechtertrennung; er muss bei einer Ex-Zeitfrau anklopfen, weil er auf Wohnungssuche ist und als unverheirateter Mann schlechte Karten hat. An seiner Figur wird die Doppelmoral einer Sexualpolitik überdeutlich, die auf Schritt und Tritt an Geld gekoppelt ist und vielen nur die Option offen lässt, sich irgendwie durchzumogeln. Bei den Recherchen in den Städten Teheran, Qom und Esfahan kommt der Film auch mit einer jungen Generation in Berührung, für die eine Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein erstrebenswertes Ziel darstellt. Als Zuschauer braucht es freilich einige Geduld, um die flanierenden Erkundungen nicht als fragmentarische Arabesken-Sammlung misszuverstehen, sondern als Vorzeichen jener Veränderungen zu erschließen, die 2009 im oppositionellen Bürgeraufstand mündeten.
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