- | Deutschland 2010 | 95 Minuten

Regie: Florian Cossen

Eine etwa 30-jährige Deutsche hört auf dem Flughafen von Buenos Aires ein spanisches Wiegenlied, das sie in ein aufwühlendes Gefühlschaos stürzt. Auf den Spuren dieser Klänge entdeckt sie ihre verschüttete Vergangenheit und erfährt, dass sie Kind zweier während der Militärdiktatur verschwundener Regime-Gegner ist. Das ästhetisch und erzählerisch konzentrierte Drama fragt mit ausgefeilten Bildkompositionen und einer bewundernswerten Fokussierung auf die nuanciert gespielte Hauptfigur nach Identität, Schuld und Vergebung; darüber treten die historisch-politischen Dimensionen der Geschichte eher in den Hintergrund. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
teamWorx Television und Film/Filmakademie Baden-Württemberg/BR/SWR
Regie
Florian Cossen
Buch
Elena von Saucken · Florian Cossen
Kamera
Matthias Fleischer
Musik
Matthias Klein
Schnitt
Philipp Thomas
Darsteller
Jessica Schwarz (Maria) · Michael Gwisdek (Anton) · Rafael Ferro (Alejandro) · Beatriz Spelzini (Estela) · Alfredo Castellani (Hugo)
Länge
95 Minuten
Kinostart
10.02.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs und der Darstellerin Jessica Schwarz. Die DVD enthält eine Audiodeskription für Sehbehinderte.

Verleih DVD
SchwarzWeiss (16:9, 2.35:1, DD2.0 engl. & span., DD5.1 dt.)
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Diskussion
Wer es im Schwimmsport zu etwas bringen will, muss ausdauernd sein, jahre-, wenn nicht jahrzehntelang unermüdlich Bahn um Bahn ziehen, ohne innerlich zu verkrampfen. Bei Maria kann man diese lockere Stetigkeit schon am Gang ablesen, wenn sich die nicht mehr ganz junge Leistungssportlerin aus dem Großraum Stuttgart auf den Weg nach Chile macht, wo sie an einem Wettkampf teilnehmen will. Unterwegs lauscht sie beim Umsteigen auf dem Flughafen in Buenos Aires selbstvergessen einem Wiegenlied. Bis sie merkt, dass sie die Zeilen mitsingt, obwohl sie kein Spanisch spricht. Plötzlich schießen ihr Tränen in die Augen; auf der Toilette wird sie von Weinkrämpfen geschüttelt. Auch ohne dialogische Erläuterung spürt man die um sich greifende Irritation der Athletin; wohl auch, weil bereits in der Eröffnungssequenz eine Totale auf die argentinische Hauptstadt tricktechnisch für Augenblicke so verzerrt wird, dass man sich unwillkürlich des Gesehenen versichern will. Das Lob, das dem Abschlussfilm von Florian Cossen an der Filmakademie Baden-Württemberg vorauseilt, findet schon in dieser ersten Schlüsselszene seine Berechtigung; der konzentrierte ästhetische und erzählerische Minimalismus erzeugt eine Unmittelbarkeit, die den Zuschauer in Augenhöhe mit der Hauptfigur auf die Reise schickt. Auch wenn man den Plot um eine Deutsche kennt, die in Argentinien dem dunklen Geheimnis ihrer Herkunft auf die Spur kommt, wird man durch das Zusammenspiel von beweglicher Kamera, die das CinemaScope-Format für akzentuierte Querformate nutzt, und der extrem wandlungsfähigen Hauptdarstellerin Jessica Schwarz mit in die um sich greifende Desorientierung der 30-Jährigen gestürzt. Der Verlust ihrer Papiere deutet dabei bildhaft auf die Identitätskrise hin, doch zunächst erlebt man die Sportlerin suchend und wartend in der fremden Stadt, getrieben von einer unbestimmten Unruhe, auf die sie keine Antwort weiß. Bis ihr Vater Anton urplötzlich in dem kleinen Hotel auftaucht und nach einigen Anläufen einräumt, dass er gar nicht ihr leiblicher Vater ist; Marias Eltern seien Anfang der 1980er-Jahre während der Militärdiktatur verschwunden; er und seine Frau hätten sie als Dreijährige adoptiert und mit nach Deutschland genommen. Maria reagiert auf diese Eröffnung türenschlagend-körperlich, läuft weg, kommt wieder, reagiert sich beim Schwimmen oder Laufen durch die vollen Straßen von Buenos Aires ab, das im weichen Sonnenlicht wie in einer wattierten Blase erscheint. Die emotional angespannten Streitgespräche zwischen Anton und Maria inszeniert der Film als grobe Mischung aus Verhör und Zwiegespräch, wobei die wachsende Distanz zwischen beiden durch ausgefeilte Bildkompositionen minutiös herausgearbeitet wird. Parallel zu Marias Verunsicherung, von ihrem „Vater“ in wichtigen Dingen getäuscht worden zu sein, führt das Drehbuch den deutsch sprechenden Straßenpolizisten Alejandro ein, der Maria freimütig einräumt, seinen eigenen Vater, der während der Diktatur ebenfalls ein Polizist war, nie nach dieser Zeit gefragt zu haben, aus Angst vor Geständnissen, die das familiäre Band in Frage stellen würden. Eine Haltung, die Maria (noch) nicht versteht. Sie will es genau wissen, bohrt nach und forscht nach Verwandten; bis sie fündig wird und ihrer Patentante Estela begegnet, der sich die Schrecken der Vergangenheit tief ins Gesicht eingegraben haben. Was Maria dabei, auch mit Hilfe des widerstrebenden Alejandro, über die dramatischen Geschehnisse ihrer Kindheit in Erfahrung bringt, führt sie an einen Punkt, der die Fragen nach Identität, Schuld und Vergebung in einem neuen Licht erscheinen lässt; denn Antons Erklärungen entpuppen sich als Lügengespinst, das ihn hinter Gitter bringen könnte. Ob es sich bei Maria um eine von der Junta angeordnete Zwangsadoption oder um eine persönliche Aktion des kinderlosen Ehepaars Falkenmayer handelte, bleibt offen, wie der Film überhaupt mit historischen Informationen über die Junta-Zeit geizt. Das ist einerseits bewundernswert konsequent, weil der Fokus ganz auf der Protagonistin ruht, die über den „schmutzigen Krieg“ kaum mehr als ein paar Schlagworte weiß; andererseits irritiert diese erzählerische Perspektive, weil sie seltsam sediert ein Bild der argentinischen Gesellschaft skizziert, die in zwei Sphären zerfällt: in jene, die wie Alejandro von der düsteren Vergangenheit nichts mehr wissen wollen, während die Opfer voller Verbitterung auf Gerechtigkeit pochen. Noch mehr fällt auf, dass in Marias Ringen um Wahrheit nicht der leiseste Anklang geschichtlich-politischer Dimensionen zu vernehmen ist. Den starken Eindruck eines sorgsam durchkomponierten Kammerspiels, das von überzeugenden Hauptdarstellern getragen wird und das die beengende Atmosphäre geschlossener Räume immer wieder durch Stadtpanoramen oder Over-top-Ansichten aufbricht, schmälert dies indes nicht.
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