Tragikomödie | USA 2009 | 98 Minuten

Regie: Rebecca Miller

Eine in großbürgerlichen Verhältnissen lebende Ehefrau und Mutter zweier erwachsener Kinder gerät in eine Krise, die eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Vergangenheit und mit unterdrückten Schuldgefühlen auslöst. Eine sanft-ironische Tragikomödie um weibliche Dilemmata in voremanzipatorischen Rollenmustern. Dabei wechselt der Film zwischen Gegenwart und der Jugend der Hauptfigur, was den Erzählfluss zwar mitunter bremst; gleichwohl überzeugen beide Erzählebenen durch gut konturierte Charakterbilder, pointierte Dialoge und hervorragende Darsteller. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE PRIVATE LIVES OF PIPPA LEE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Grand Army/IM Global/Lumina Films/Plan B Ent.
Regie
Rebecca Miller
Buch
Rebecca Miller
Kamera
Declan Quinn
Musik
Michael Rohatyn
Schnitt
Sabine Hoffmann
Darsteller
Robin Wright Penn (Pippa Lee) · Mike Binder (Sam Shapiro) · Alan Arkin (Herb Lee) · Winona Ryder (Sandra Dulles) · Maria Bello (Suky Sarkissian)
Länge
98 Minuten
Kinostart
01.07.2010
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurin und der Hauptdarstellerin Robin Wright.

Verleih DVD
Senator/Universum (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Bei der eleganten Dinnerparty, die das Ehepaar Lee in seinem neuen Heim in einer Rentnerkolonie in Connecticut gibt, erhebt ein alter Freund der Familie das Glas auf die Gastgeberin Pippa: Sie sei die perfekte Muse, ein Mysterium. Pippa lächelt, schweigt und serviert das Essen. Was sie von dem Kompliment hält, erfährt man erst sehr viel später: Sie möchte kein Mysterium mehr sein, sie möchte, dass man sie kennt. Zwischen der Party und diesem späten Wunsch nach Selbstbehauptung liegt für Pippa eine Phase schmerzhafter Neuorientierung, die befeuert wird von einer Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. „The Private Lives of Pippa Lee“ lautet der Originaltitel des Films. Die Pluralform „Lives“ deutet an, dass es einen tiefen Bruch gibt zwischen einem alten und Pippas aktuellem Leben. Letzteres ist die sichere, zumindest nach außen hin friedvolle Existenz einer in die Jahre gekommenen, aber noch immer wunderschönen Gattin eines 30 Jahre älteren, wohlhabenden Verlegers. Pippa ist Mutter zweier mittlerweile erwachsener, wohlgeratener Kinder und meistert ihren großbürgerlichen Haushalt mit derselben Perfektion wie ihre Auftritte auf dem gesellschaftlichen Parkett im intellektuellen Umfeld ihres Mannes. Ihre frühen Jahre wollen zu diesem makellosen Lebensentwurf allerdings so gar nicht passen: Als Tochter aus einem Pastorenhaushalt zunächst von ihrer Mutter Suky vergöttert, wird ihre Jugend mehr und mehr zur emotionalen Zerreißprobe aufgrund von Sukys depressiven Störungen und ihrer Tabletten- bzw. Drogenabhängigkeit – ein Zustand, für den sich die Tochter mitverantwortlich fühlt, bis Pippa schließlich verzweifelt die Flucht ergreift und alle Brücken zu ihrer Familie abbricht. Es folgen wilde, ausschweifende Wanderjahre, Drogen- und Sex-Experimente, die für Pippa jedoch mehr Betäubung als eine wirkliche Revolution gegen bürgerliche Lebensmodelle sind; schließlich findet sie Halt und Ruhe bei Herb – eine Ruhe allerdings, die auf wackligem Fundament steht, da sie Schuldgefühle wegen des Selbstmords von Herbs erster Frau verfolgen. Der Film stellt diese beiden Leben parallel nebeneinander; Szenen, die in Rückblenden chronologisch Pippas Jugend bis hin zur Heirat mit Herb Lee aufrollen, alternieren mit Szenen ihres gegenwärtigen Lebens, in dem die makellose Fassade der Verlegergattin bröckelt und Pippas innere Misere sich in seltsamen Aussetzern bemerkbar macht. Allmählich wird klar, dass der Umzug in die ruhige Vorortsiedlung für Pippa und Herb mehr ist als eine nahtlose Fortsetzung ihrer Ehe an einem anderen Ort: Pippa steht ein weiterer Umbruch bevor. Ein dramaturgisches Problem ergibt sich daraus, dass man als Zuschauer tatsächlich lange den Eindruck hat, es bei der Montage aus Gegenwart und Vergangenheit mit zwei Leben zu tun zu haben, die sich unabhängig voneinander entfalten; Bezüge und Zusammenhänge stellen sich erst relativ spät ein. Das wirkt ein bisschen so, als würde man zwischen zwei verschiedenen Filmen hin- und herzappen, was die Handlungsbögen immer wieder ausbremst und den Erzählrhythmus etwas behäbig macht. Dass man „Pippa Lee“ trotzdem als gelungen bezeichnen kann, liegt daran, dass beide Leben für sich großartig inszeniert sind. Das fängt bei der akribischen Ausstattung an, bei den sorgfältig gewählten Kostümen und Settings, die übers Zeit- und Milieukolorit hinaus sanft-ironische Kulissen für Pippas „Desparate Housewife“-Drama abgeben, und hört bei hintergründig-beißenden Dialogen und einem erstklassigen Darstellerensemble auf. Robin Wright Penn gibt ihrer Pippa eine zarte Abwesenheit mit, die so wirkt, als wäre sie nicht nur beim Schlafwandeln, sondern auch in ihrem wachen Leben nie hundertprozentig bei sich, sondern würde einen Schritt neben sich stehen und sich selbst mit verhaltener Verwunderung beim Leben zusehen. Auch die Darstellerin der jungen Pippa, Blake Lively, füllt ihre Rolle gut aus und lässt die undankbare Rolle der erschreckend passiven, puppengesichtigen Pippa, die sich an der breiten Schulter des Alpha-Männchens Herb anlehnt, nie zum Abziehbild gerinnen; sie macht vielmehr die unterdrückte Verlorenheit und Trauer sichtbar, die Pippas Versuch befeuert, durch Anpassung an die Erwartungen anderer Liebe und Zuneigung zu verdienen. Flankiert werden die beiden Hauptdarstellerinnen von Alan Arkin und Keanu Reeves, vor allem aber von einem Kader starker weiblicher Stars in großartigen Cameo-Auftritten. Dabei geht es in unterschiedlichen Varianten um die Abrechnung mit einem prä-emanzipatorischen Frauenbild, um innere Leere, Langeweile und weibliche Selbstaufgabe in einem materiell saturierten, patriarchalischen Bürgertum – und ums Ringen darum, sich aus diesem ebenso schützenden wie fesselnden Kokon zu befreien. Trotz der etwas unglücklich gewählten Struktur, die Regisseurin Rebecca Miller dieser tragikomischen Selbstfindung unterlegt, ist es dank dieser Stärken doch nicht schwer, sich von den Figuren in ihren Bann ziehen zu lassen.
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