Das Münchner Lebensgefühl wird gerne mit finanzieller Sorglosigkeit assoziiert, ein bisschen Italien, Biergarten-Gemütlichkeit, Naturnähe und einer gewissen Sauberkeit frei von Subversion. Björn Richie Lob dokumentiert und feiert in „Keep Surfing“ hingegen eine exotische Subkultur, der er selbst angehört: Fluss-Surfer, die auf den künstlichen Wellen der Isar reiten. Neben dem Haus der Kunst, am Eingang des Englischen Gartens, drängen sich auf einer kleinen Brücke im Sommer Scharen von Schaulustigen. Der Eisbach, ein Nebenkanal der Isar, wirft hier eine stehende Welle auf, die zu fast jeder Tageszeit von Surfern frequentiert wird. Lautmalerisch umschreibt ein Kind aus der Zuschauermenge, was daran so besonders ist. Elegante, geschmeidige Bewegungen verspricht das Geräusch, mal blitzschnell und mal ganz entspannt; einen Tanz auf der Welle, wie es ein zentraler Song des Soundtracks mit „you go dancing on the river“ umschreibt.
Lob porträtiert in „Keep Surfing“ sechs Münchner Fluss-Surfer über mehrere Jahre hinweg. Sie erzählen von sich, von den Anfängen der Surfkultur in der bayerischen Hauptstadt vor über 30 Jahren, von der Gegenwart und von ihrer Leidenschaft, ihrem Lebensgefühl und ihrer Manie. Ein Surffilm wäre allerdings kein Surffilm, wenn darin nicht gesurft würde – die Surfsequenzen sind mindestens so wichtig wie die Interviews. Sie sind so gefilmt, geschnitten und rhythmisiert, wie es das Genre vorschreibt: rasant und trickreich. An mancher Stelle gefrieren die Surfer fast ein wenig zu oft in kurzen Standbildern; selbst der Abspann „shuttert“ rhythmisch. Spektakulär sind die während des Jahrhunderthochwassers, zum Teil „on board“ aufgenommenen Szenen von reißenden braunen Fluten, riesigen Baumstämmen, die im Wasser treiben, und Polizeihubschraubern, aus denen via Megaphon zum Verlassen des Wassers aufgefordert wird. „Keep Surfing“ ist Lobs Kinodebüt; unter anderem hat er zuvor bei Surfvideos Regie geführt.
Wellenreiten ist eine männlich dominierte Sportart. Es ist deshalb vielleicht konsequent, dass die Protagonisten des Films ebenso wie der Kern des Filmteams allesamt Männer sind. Die Stimme der ein oder anderen Frau, die auf den Isarwellen surft, hätte trotzdem nicht geschadet – und wäre gerade in Bezug auf die Männerwelt, die sich auch über so männlich besetzte Tugenden wie Abenteuerlust und Risikobereitschaft definiert, spannend gewesen. Einer von ihnen, Quirin „the pro“ Rohleder, der ein bisschen wie Dennis Quaid aussieht, hat den Sprung in den Profisport geschafft und lebt jetzt in Frankreich. Walter Strasser, der älteste der Porträtierten, „grantelt“ herzerweichend bayerisch in die Kamera und baut Digeridoos; der Amerikaner Eli Mack freut sich, dass ihn das Fluss-Surfen vor der „Tristesse der kalifornischen Surfkultur“ bewahrt hat. Die Nähe zu den sympathischen Protagonisten und die mitreißenden Bilder ziehen den Zuschauer mit in die Welle. Vor wenigen Jahren noch wäre ein Film über das Surfen in München nicht denkbar gewesen. Das urbane Wellenreiten war geduldet, sollte aber immer wieder verboten werden. Die Surfer fürchteten die Öffentlichkeit, wollten keine Aufmerksamkeit. Jetzt übernimmt die Stadt den Eisbach vom Freistaat Bayern. Das Surfen wird legal.