Chloe heißt das sündhaft schöne Wesen mit den wallenden blonden Haaren und den halterlosen Strümpfen, das sich vor einem großen Spiegel den BH anzieht und die kunstvolle silberne Spange ins Haar steckt. Ihre Worte hauchen fast schon über die begehrlichen Bilder. Chloe sinniert für sich über die Gewandtheit von Worten. Über die Kunst der Rhetorik, die für ihren Job ebenso wichtig sei wie die ihrer Berührungen. Die Dauer, der Druck und die Lage ihrer Finger, durch die sie zu all dem werde, was sich Männer erträumen. Chloe ist eine Kindfrau, wie sie oft in den Drehbüchern von Atom Egoyan beschrieben steht. Ein sanftgesichtiges junges Mädchen, das mit großen Augen, Schmollmund und schlanken Beinen gerade die Schwelle zur Frau überschritten hat. In „Exotica“
(fd 31 113) nährt sie Schulmädchenträume, in „Wahre Lügen“
(fd 37 459) lullt sie sich selbst in ihre biografischen Trugschlüsse über zwei des Mordes verdächtigte Ex-Show-Stars ein. Das ist Egoyans zweites großes Thema neben Identitätsbildung und medialen Vexierspielen: Das Jonglieren mit dem Wahrheitsgehalt der erzählten Geschichten seiner Figuren innerhalb der großen Rahmenhandlung: die Imagination von Vergangenheit aus den Worten der Anderen und deren Einfluss auf Gegenwart und Zukunft. Ein narrativ explosives Gemisch aus Einbildung, Fantasie und kleinen Brocken Wahrheit, die sich wie ein Puzzle zu der wackeligen Realität zusammensetzen, wie man sie subjektiv erlebt zu haben meint. Chloe vereint nun beide Elemente. Sie ist die Kindfrau und die zur Affäre angestiftete Prostituierte, die ihrer Auftraggeberin Catherine all die schlüpfrigen Details erzählen muss. Die hat durchaus Grund zur Eifersucht: Ihr Mann David, ein Universitätsprofessor, erscheint nicht zu seiner Geburtstagsfeier; auf seinem Handy finden sich verdächtige SMSs junger Studentinnen; kleine Flirts mit Kellnerinnen werden von ihm als pure Freundlichkeit abgetan. Catherine ist gekränkt und zunehmend verzweifelt, als sie Chloe in den Waschräumen eines feinen Restaurants kennen lernt. Eine erotisch verruchte Ausstrahlung umgibt diese blonde Sirene, die Catherine auf David ansetzt. Die sie aushorcht, immer weiter antreibt, um per Erzählung an der Ekstase und der sexuellen Intimität teilzuhaben, die in den langen Jahren ihrer Ehe längst auf der Strecke geblieben sind. Wer das eigentliche Objekt von Catherines Begehrens ist, Chloe als Verkörperung von Sex oder nur als Medium für ein neu entflammtes Begehren an David, das bleibt zunächst offen. Julianne Moore spielt diese erfolgreich im Berufsleben stehende Gynäkologin, die einer Patientin einen Orgasmus beruhigend als pure Muskelkontraktion beschreibt. Privat ist sie die Ehefrau, die wütend und traurig das begehrt, was sie verloren glaubt, und sich an der sexuellen Emanzipation des gemeinsamen Sohnes so aufreibt, als sei diese das Synonym für die Untreue ihres Mannes. Es ist die extravagante Schönheit von Moores Gesicht, die ebenso für sich einnimmt wie die perfekt durchdesignten und ausgeleuchteten Settings, durch die sie sich bewegt.
Egoyans Gespür für Visualität ist berauschend, kann aber nicht verbergen, dass die Inszenierung hier nicht nur in wohl bekannten Bildern, sondern auch in wohl bekannten Genre-Konventionen schwelgt. Anfangs durchaus noch als Remake des französischen Originals „Nathalie“
(fd 36 612) eigenständig genug entwickelt, verliert sich die Geschichte bald in emotionalen Ausrastern, die an „Eine verhängnisvolle Affäre“
(fd 26 616) erinnern, jedoch nicht so konsequent deren Spannungskurve bedienen – und einen deshalb ziemlich unbefriedigt zurück lassen.
Dies sei ein wichtiger Film für Männer, da sie durch ihn viel über Frauen in der Midlife-Krise lernen könnten. So hat Egoyan „Chloe“ in einem Interview beschrieben. Und genau so wirkt Julianne Moore: wie eine hysterisch sich an der jungen Nebenbuhlerin verzehrende Ehefrau in den Vierzigern, die über die Jahre im Bett zurückgesteckt hat und nun so eifersüchtig das Nudelholz schwingt, dass der Betrug des Mannes gar nicht mehr so abwegig erscheint. Egoyans Erzählung erliegt dabei einer seltsamen Mischung. Zu Beginn hat man noch das Gefühl, dem psychologisch durchaus feinfühligen Porträt eines weiblichen (Ver-)Zweifelns an der eigenen Attraktivität und Sexualität zu folgen. Mit der ersten lesbischen Sexszene schleicht sich dann wieder der männlich-voyeuristische Blick des Beginns ein, der Catherines Verhalten immer mehr im fadenscheinigen Areal der Hysterie verortet: als wäre die filmische Psychotherapie von ihren emanzipatorischen Fortschritten wieder bei den Freudschen Ansätzen angelangt. Nicht zuletzt das lässt den Film im Blick auf Egoyans gesamtes Werk so rückschrittlich erscheinen.
„Chloe“ ist mehr „Exotica“ denn „Das süße Jenseits“
(fd 33 033), mehr Bild als geschickt verschachtelte Geschichte um Trug, Schein und Sein, um Schuld und Sühne. Als Remake ist er auch der erste Film, für den Egoyan nicht selbst das Drehbuch verfasste. Seine früheren Werke lebten vom Unerwarteten, vom Aussparen von Details und davon, dass seine Inszenierung manche Handlungsteile erst später in einen logischen Erzählzusammenhang brachte. Die Erzählung von „Chloe“ hingegen kippt zu deutlich und zu heimelig in ein Genremuster, das man ob seiner Schlichtheit dem Autorenfilmer nicht zugetraut hätte. Dass die wahre Beschaffenheit dieses unglückseligen „Dreiers“ für den aufmerksamen Zuhörer viel zu früh enthüllt wird, führt leider früh zu Ernüchterung; statt dem erotischen Reiz, auf den der Stoff abzielt, stellt sich ein intellektuelles Verlangen ein – nach Egoyans eigenen, raffinierten Drehbüchern.