Behauptung des Raums

Dokumentarfilm | Deutschland 2009 | 100 Minuten

Regie: Claus Löser

Dokumentarfilm über die widerständige DDR-Kulturszene, der nach den Wurzeln der selbst bestimmten Tat forscht und ein Konglomerat aus Wut, Mut und Lust zutage fördert. Ohne die tragischen Dimensionen seines Gegenstands zu vernachlässigen, konzentriert sich der Film auf das Spielerisch-Experimentelle der damaligen Vorgänge. Beteiligte reflektieren über ihre Hoffnungen und Enttäuschungen, dazu werden Ausschnitte aus zeitgenössischen Filmaufnahmen montiert. Ein gedanklich präziser und dabei bestechend lakonischer Rückblick auf die DDR-Kunstszene jenseits offizieller Präsentationen. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Claus Löser und Jakobine Motz Prod.
Regie
Claus Löser · Jakobine Motz
Buch
Claus Löser · Jakobine Motz
Schnitt
Jakobine Motz
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. den Kurzfilm "Bei Werk" (DDR 1985, 12 Min., Regie: Jörg Herold & Gruppe PIG).

Verleih DVD
absolut (FF, DD2.0 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Ein entscheidender Satz, der die Intentionen von Autor und Regisseur Claus Löser umreißt, steht ganz am Beginn des Films: „Wir waren eine Generation, die nicht Biermann erlebt hatte, und wir hatten keine Angst.“ Tatsächlich geht es in „Behauptung des Raums“ nur partiell um staatliche Repressalien gegen die freie, unabhängige Kunstszene in der DDR, und somit auch weniger um neueste Details zum Wirken der Krake Staatssicherheit, obwohl dies stets mitgedacht und -benannt wird. Anstelle eines solchen, in den Medien üblichen, nichtsdestotrotz aber arg eingeschränkten Blicks auf den DDR-Alltag wählen Löser und die Kamerafrau Jakobine Motz eine andere Perspektive: Sie konzentrieren sich auf das widerständige Element, die pulsierende Kreativität, das Spielerische, Experimentelle und Schöpferische junger Maler und Aktionskünstler, Kuratoren und Galeristen. Sie forschen nach den Wurzeln der selbst bestimmten Tat und fördern ein Konglomerat aus Wut, Mut und Lust zutage, verbunden mit einer fast kompletten Negierung der politischen und künstlerischen Konventionen. Mit mehreren Beispielen erinnern sie an das „sich wehrende Menschenbild“, wie es einer der befragten Künstler nennt, „das heute noch immer aktuell ist, wie es immer aktuell bleiben wird“. Für ihren Film wählten Löser und Motz mehrere legendäre Galerien und Aktionen aus, die seit Mitte der 1970er-Jahre in der DDR, zumindest unter Eingeweihten, von sich reden machten: die Galerie Eigen+Art in Leipzig, gegründet von dem „heiteren Energiebündel“ Gerd-Harry Lybke; den „1. Leipziger Herbstsalon“ mit Lutz Dammbeck als einer der treibenden Kräfte („Eine Haltung zu zeigen, war eine ästhetische Qualität“); oder die Galerie Clara Mosch in Karl-Marx-Stadt, deren Betreiber sich ebenfalls an ihr damaliges Credo erinnern: „Es sollte das Leben ein bisschen schöner machen.“ Schließlich widmet sich der Film auch der Berliner „Ersten Privatgalerie Schweinebraden“, deren Kurator, der Psychologe Jürgen Schweinebraden, die These vertritt: „Mit etwas mehr Courage hätte viel mehr passieren können und müssen in der DDR.“ Eine Vielzahl der damals Beteiligten reflektiert vor der Kamera einstige Hoffnungen und Enttäuschungen, darunter die Chemnitzer Maler Claus, Schade, Morgner und Ranft, die auch darüber berichten, wie einer von ihnen, Gregor-Torsten Kozik, von der Staatssicherheit als vermeintlicher „Verräter“ aufgebaut und von ihnen selbst dann ausgegrenzt wurde, obwohl die wirklichen Verräter ganz andere waren. In solchen Momenten macht „Behauptung des Raums“ die tragischen Dimensionen seines Gegenstands bewusst. Neben den Interviews schöpfen Löser und Motz aus zeitgenössischen Fotos und Filmaufnahmen, die jenseits der offiziellen DDR-Medien entstanden. Lutz Dammbeck etwa hatte seinen eigenen Abschied von der DDR gefilmt: Nachdem bekannt geworden war, dass er und seine Lebensgefährtin, die Fotografin Karin Plessing, Ende September 1986 in der Eigen+Art ausstellen wollten, kamen ihnen die Behörden zuvor und genehmigten urplötzlich ihren seit längerem laufenden Ausreiseantrag in die Bundesrepublik. Binnen zweier Tage mussten sie die DDR verlassen; zur Ausstellungseröffnung wurde ein großes handgeschriebenes Transparent gezeigt, auf dem stand: „Wir möchten uns auf diesem Wege von allen Freunden und Wohlmeinenden verabschieden und bitten um Verständnis, dass wir die wenige Zeit vor der Abfahrt für uns verwenden.“ Nicht zuletzt ist im Film jenes Pamphlet zu hören, das der Kunstwissenschaftler Christoph Tannert 1988 in der Eigen+Art vortrug und in dem es hieß: „Das verbissene Ignorieren jeder Art guten Geschmacks seitens der Teigkneter am Kulturtrog zwischen Altback und Schliffgebackenem will uns der Gaumenfreuden entwöhnen, hat aber nicht mit unserem Heißhunger gerechnet, den wir haben nach dem Auskotz. Und Durst nach dem Saft der verbotenen oder über den Zaun geworfenen Früchte.“ Wie dieser Hunger und Durst gestillt wurde, zeigt der Film gedanklich präzise und dabei bestechend lakonisch.
Kommentar verfassen

Kommentieren