Wir leben nicht mehr hier

- | USA/Kanada 2004 | 95 Minuten

Regie: John Curran

Die Freundschaft zweier Paare, die beiden Männer sind College-Professoren, wird auf eine Zerreißprobe gestellt, als sich einer der Männer in die Frau seines besten Freundes verliebt und es zu Heimlichkeiten kommt, die auf Dauer nur schwer zu verschleiern sind. Bald schöpfen die beiden betrogenen Ehepartner Verdacht. Das intensive Kammerspiel erzählt die Geschichte eines Seitensprungs aus stets wechselnder Perspektive und zeichnet ein komplexes Beziehungsgeflecht. Zwar vermag das Drama seine literarische Herkunft von den 1970er-Jahren nicht zu verleugnen, doch die vorzüglichen Darsteller retten den Film über solche Veralterungen und Diskrepanzen hinweg. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
WE DON'T LIVE HERE ANYMORE
Produktionsland
USA/Kanada
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Front Street/Renaissance
Regie
John Curran
Buch
Larry Gross
Kamera
Maryse Alberti
Musik
Michael Convertino
Schnitt
Alexandre de Franceschi
Darsteller
Mark Ruffalo (Jack Linden) · Laura Dern (Terry Linden) · Peter Krause (Hank Evans) · Naomi Watts (Edith Evans) · Sam Charles (Sean Linden)
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Jack & Terry & Hank & Edith sind keine leichtlebigen, oberflächlichen Menschen, die sich über das, was sie tun oder über die Folgen ihres Handelns nicht bewusst wären. Sie alle sind komplizierte Charaktere, gebildet und geschult im Umgang mit anderen, mit der Welt, ihren offensichtlichen und verborgenen Problemen. Dennoch geraten sie fast wie Schlafwandler in die Fallstricke und Abgründe einer sich zuspitzenden Ehekrise, vielleicht, weil sie das Leben nur aus Büchern und philosophischen Exkursen kennen, der Realität aber hilflos ausgesetzt zu sein scheinen. Der Zuschauer lernt sie kennen, als ihre Ehen kaum noch zu retten sind. Jack & Terry und Hank & Edith sind beste Freunde. Aber das macht die Situation nur noch komplizierter. Jack und Hank lehren an einem kleinen Provinz-College. Alle zusammen sind irgendwie unbefriedigt. Die Männer haben keinen Erfolg in ihrem Beruf, die Frauen üben erst gar keinen aus. Nach langen Ehejahren kennen sich die Partner zu gut, als dass jenes Feuer der ersten Begegnung noch aufflammen könnte. Die kleinen und großen Fehler, die jeder von ihnen hat, drängen sich in den Vordergrund. Von Leidenschaft keine Spur; aber auch von Liebe und Verantwortung ist nicht mehr viel zu spüren. Hank rechtfertigt seine gelegentlichen Seitensprünge als Notwendigkeit, Jack philosophiert mit weinerlicher Selbstbemitleidung über die Erkaltung seiner ehelichen Beziehung. Zuerst ist es Jack, der seiner Frau mit Edith untreu wird: kurze Augenblicke im geparkten Auto, durch Lügen abgeschirmte Stunden im Wald. Terry tut sich schwer, mit der zunächst nur vermuteten, dann aber erwiesenen Untreue ihres Mannes fertig zu werden. Aber sie lässt sich dennoch in Hanks Arme treiben. Die Trostlosigkeit des gemeinsamen Alltags weicht giftigen Verdächtigungen und Beschuldigungen. Ein über Jahre aufgestauter, lange mühsam kontrollierter Ärger entlädt sich. Zwei Ehen werden vor den Augen des Zuschauers entblättert wie das Gänseblümchen, das über der Unzahl zudringlicher Fragen seine ganze Schönheit verliert. Das von John Curran inszenierte Drama erinnert mehr als einmal an Andreas Dresens „Halbe Treppe“ (fd 35 604), mit dem es die Konstellation und die Genauigkeit der Beobachtung gemein hat. Doch während bei Dresen simple Alltagsfiguren ins Zentrum rücken, sind es bei Curran hochintelligente, sprachgewandte Menschen. Beide Filme zeigen, wie wenig Herkunft, Bildung und Artikulationsfähigkeit Einfluss auf die destruktiven Mechanismen einer in Ehebruch endenden Gemeinschaft haben. Formal sind beide Werke gänzlich unähnlich: der von Dresen ist mit vielen Laien besetzt, Curran arbeitet mit bekannten Schauspielern; der eine stark improvisiert, der andere mit ausgefeilten literarischen Dialogen. Aber in der Analyse einer menschlichen Grenzsituation ähneln sie sich wie Geschwister, die ihr Dasein in unterschiedlichen Erdteilen und unter gänzlich anderen Lebensbedingungen zugebracht haben. „We Don´t Live Here Anymore“ vermag seine literarische Herkunft von den 1970er-Jahren nicht zu verleugnen. Der Film geht auf zwei Novellen von Andre Dubus zurück, der auch „In the Bedroom“ (fd 35 378) geschrieben hat;die erste Fassung des Drehbuchs datiert ebenfalls in diese Zeit. Das ist der einzige Mangel: die Figuren und Atmosphären sind nicht mehr ganz up to date. Zwei College-Professoren, die in heutzutage heiß begehrten Mittelklassehäusern leben, an denen die „sexuelle Revolution“ weitgehend vorbeigegangen zu sein scheint und deren Frauen entweder keine eigenen Interessen haben oder diese zumindest nicht artikulieren, würden einem Drehbuchautor kaum noch in den Sinn kommen. Wie so häufig in Filmen, die außerhalb des Einflussbereichs der Hollywood-Studios entstehen, sind es die Darsteller, die über solche Veralterungen und Diskrepanzen hinwegretten. Mark Ruffalo findet genau den richtigen Ton für den zwischen Enttäuschung, Ärger und Selbstzweifeln hin und her taumelnden Jack. Und Laura Dern, ohnehin eine der zu wenig beschäftigten Schauspielerinnen des amerikanischen Kinos, findet in Terry immer neue Züge – von lethargischer Leichtgläubigkeit bis zu furchterregend hervorbrechender Verletztheit. „We Don’ t Live Here Anymore“ ist einer jener immer zahlreicher werdenden Filme, in denen die Kamera nicht viel mehr als ein Umfeld für eine Garde talentierter Darsteller schafft, die dann aber eine Story spielen, als sei diese von Ibsen oder Strindberg.
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