Women Without Men

Drama | Deutschland/Österreich/Frankreich 2009 | 100 Minuten

Regie: Shirin Neshat

Während der politischen Umwälzungen im Iran und der Proteste gegen die Absetzung des Premierministers Mossadegh im Jahr 1953 führen die Wege vier Frauen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen in ein abgeschiedenes Landhaus. Ein suggestiver, auch symbolisch-allegorisch zu deutender Einblick in die Gefühls- und Denkwelten iranischer Frauen, der die realen politischen Ereignisse mit ihren persönlichen Geschichten verwebt. Die elaborierte Bildsprache trägt allerdings dazu bei, dass das Drama der Frauen mitunter überfrachtet und -ästhetisiert wirkt. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ZANAN BEDONE MARDAN | WOMEN WITHOUT MEN
Produktionsland
Deutschland/Österreich/Frankreich
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Coop99 Filmprod./Essential Filmprod./Société Parisienne de Production
Regie
Shirin Neshat · Shoja Azari
Buch
Shoja Azari · Shirin Neshat
Kamera
Martin Gschlacht
Musik
Ryûichi Sakamoto
Schnitt
George Cragg · Jay Rabinowitz · Julia Wiedwald
Darsteller
Pegah Ferydoni (Faezeh) · Arita Shahrzad (Fakhri) · Shabnam Toloui (Munis) · Orsolya Tóth (Zarin) · Navíd Akhavan (Ali)
Länge
100 Minuten
Kinostart
01.07.2010
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Die Kamera gleitet an einem Bach entlang, der durch ein enges Felsloch führt. Hinter diesem Nadelöhr liegt ein Garten, der für die Protagonistinnen zu einem Ort der Zuflucht wird. Die Oase, in der die vier Hauptfiguren von „Women without Men“ zusammenfinden, ist ein aus der Zeit gefallener Platz: Ein altes, von Obstbäumen gesäumtes Haus bietet Schutz und Ruhe, bis sich die politische Realität – es sind die Umwälzung im Iran der 1950er-Jahre – auch dieser Enklave bemächtigt. Auf der visuellen Seite ist Shirin Neshat, unterstützt vom österreichischen Kameramann Martin Gschlacht, eine Könnerin. Equisite Kamerafahrten, eine atmosphärische Fotografie und eindringliche Bilder sind das Kapital dieses Films, mit dem die Iranerin den „Goldenen Löwen“ 2009 in Venedig gewann. Die visuelle Qualität kommt nicht von ungefähr, hat die Spielfilmdebütantin Neshat doch bereits eine Karriere als Videokünstlerin hinter sich. Dem gleichnamigen Roman der iranischen Schriftstellerin Shahrnoush Parsipour hat sich Neshat bereits in ihren kurzen Videoarbeiten seit 2003 genähert. Wie der Roman verwebt auch der Spielfilm individuelle Frauenschicksale mit den politischen Umwälzungen des Jahres 1953 in Teheran. Das war das Jahr des Staatsstreichs gegen den Premierminister Mohammad Mossadegh – initiiert durch britische und amerikanische Agenten, vorangetrieben aus ökonomischen Beweggründen: der Zugriff auf die iranischen Ölfelder war bedroht. Trotz der nur zu verständlichen Proteste seitens der iranischen Bevölkerung wurde Mossadegh kaltgestellt und der Schah als Regierungsoberhaupt eingesetzt. Munis, an politischen Umständen sehr interessiert, erfährt von den Unruhen aus dem Radio. Die ersten Szenen erzählen von Munis’ Unterdrückung durch ihren religiös orientierten Bruder. Eine vollkommen andere Perspektive nimmt ihre Freundin Faezeh ein, die ihrerseits in Munis’ tyrannischen Bruder verliebt ist. Mit Munis’ Selbstmord und ihrer Wiederauferstehung erhält der Film eine irreale Komponente; überhaupt zieht sich eine ständige Gratwanderung zwischen traumartigen Szenen und Schilderungen handfesten politischen Protestes wie ein roter Faden durch den Film: Ein bewusster Bruch mit Erzählkonventionen, der nicht durchweg überzeugt. Im Fall von Munis’ Selbstmord will Neshat offenbar von einem symbolischen Tod erzählen, vom Kappen familiärer Bande, woraufhin sich die Frau den Demonstrationen gegen das Schah-Regime anschließen kann. Eine störende und zudem dramaturgisch auch unnötige Verquickung von surrealer Erzählung und politischem Drama. Warum kehrt Munis ihrer Familie nicht einfach den Rücken? Nach und nach treffen die Frauen in dem schon erwähnten Landgut ein. Neben Faezeh und Munis – die sich, als könnte sie sich in zwei Personen aufspalten, immer wieder der Protestbewegung widmet – sind es Fakhri, eine wohlhabende, unglücklich verheiratete Frau mittleren Alters, und Zarin, eine junge Prostituierte, die im Bordell ans Ende ihrer physischen und psychischen Kräfte gelangt ist. Eine der eindringlichsten Szenen siedelt Neshat zu Beginn des Films in einem Badehaus an, in dem sich Zarin wie unter Zwang die Haut blutig schrubbt. Es gelingt der Regisseurin bei allem Engagement und filmischer Raffinesse dennoch nicht wirklich, ins Innere ihrer Figuren vorzudringen. Vielleicht liegt es am visuellen Aufwand und der etwas überfrachteten Geschichte des Films, dass die Charaktere dem Zuschauer eher fremd bleiben. So wirkt schon Munis selbstmörderischer Sprung von einem Hausdach, den Neshat an den Anfang des Films gesetzt und mit großer ästhetischer Kompetenz inszeniert hat, unverständlich. Steht diese Figur nicht für den Widerstand gegen staatliche Unterdrückung? Warum wird sie mit einer Geste persönlicher Kapitulation eingeführt? Insgesamt scheint es dennoch unfair, „Women without Men“ an den Vorschusslorbeeren aus Venedig zu messen. Trotz einer mitunter holprigen Dramaturgie und der Tendenz zur Überästhetisierung bietet der in Marokko gedrehte und mit deutschem Geld produzierte Film einen seltenen Einblick in die Gefühlswelt muslimischer Frauen. Nicht nur als Künstlerin, sondern auch als Regisseurin beweist Shirin Neshat ohne Frage eindrückliches Potenzial. Auf ihren zweiten Film darf man gespannt sein.
Kommentar verfassen

Kommentieren