Man schreibt das Jahr 1982: Ein kleines, schrumpeliges Wesen strandet hilflos und allein drei Millionen Lichtjahre von Zuhause entfernt im Kinderzimmer eines kleinen Menschenkindes und durchlebte eine dramatische Zeit des Bangens und Hoffens auf Verständnis und Zuwendung. Mit dem liebeswerten Besucher aus dem All formulierte Steven Spielberg in „E.T.“ eine Utopie: Das Alien als Freund, nicht als Feind.
Über Johannisburg hängt eine riesige Scheibe
Bei aller technischen Überlegenheit begegnen die Außerirdischen auch in „District 9“ den Menschen als hilfesuchende Gäste aus der Fremde, und auch hier findet der sensationelle Kontakt mit fremden Lebensformen in den 1980er-Jahren statt. Während bei Spielberg dieser Umstand verklärt und romantisiert wird, gibt es bei Neill Blomkamp kein Menschenkind, das stellvertretend für die ratlos und rabiat vorgehende menschliche Zivilisation das Intermezzo zum Happy End führen würde. Die Aliens sind in Südafrika gelandet. Ihr riesiges Schiff treibt regungslos über der Skyline von Johannesburg und entlässt seine Insassen kränkelnd und verstört in eine neue Welt. Die euphorische Stimmung der ersten Kontaktaufnahme weicht auf Seiten der Menschheit schnell der Ernüchterung und einer bitteren Alltäglichkeit. Was soll man mit Tausenden von mannshohen extraterrestrischen Krabbentieren, die sich nicht in die Gesellschaft integrieren lassen?
Kaserniert in einem Ghetto namens District 9, vegetieren sie seit vielen Jahren eher geduldet als geliebt vor sich hin. Südafrika hat seine „Menschen“ dritter Klasse. Die Sprachbarriere, die seltsamen sozialen Eigenheiten, die latente Aggressivität, der Landverbrauch durch die stetig wachsende Population und die permanenten Kosten des Unterhalts verursachen bei den Menschen Stress, Ablehnung und Sozialneid. Niemand auf der Erde will die außerirdischen Schmarotzer haben. Die südafrikanische Regierung sieht sich außer Stande, den sozialen Frieden zu gewährleisten, und beauftragt einen privatwirtschaftlichen Konzern mit der Abwicklung des Problems. Dieser plant mit District 10, gut 250 km vor den Toren Johannesburgs, ein neues Riesenghetto, in das die ungeliebten Wesen verbannt werden sollen. Doch die Aktion scheitert auf fatale Weise.
Auf Einsatz mit Wikus van der Merwe
Während sich Hollywood gerne mit dem Reiz des Neuen und Aufregenden beschäftigt und den Augenblick der mehr oder minder konfliktgeladenen „Kontaktaufnahme“ ins Zentrum stellt, befasst sich „District 9“ mit der desillusionierenden Zeit „danach“ in Form eines Mockumentarys und stellt die Frage: Was ist aus Wikus van der Merwe geworden? Der Mitarbeiter in der Konzernabteilung „Beziehungen mit extraterrestrischen Zivilisationsformen“ wurde federführend mit der „Umzugsaktion“ der Aliens betraut und ist unter mysteriösen Umständen verschwunden. In einer Collage aus Interviews mit Familienmitgliedern, Kollegen und Ermittlern sowie Kameraaufnahmen von van der Merwes Einsätzen im District 9 kommt die Pseudodokumentation auf die Spur der ungeheuerlichen Ereignisse um den leicht verschrobenen Büroangestellten. Zudem tun sich monströsere Machenschaften des Konzerns auf, der offensichtlich weit mehr an der Ausbeutung der machtvollen Waffentechnologien der „Gäste“ interessiert ist als an ihrem Wohlbefinden.
„District 9“ gibt sich spröde und realistisch. Das grobe, „authentische“ Bild der (Hand-)Kamera kaschiert die Computereffekte und lässt sie in der Realspielhandlung aufgehen. Blomkamp gelingt das Kunststück, die Welt der Aliens und Menschen bruchlos miteinander zu verkitten. Man könnte dem Regisseur eine gewisse Inkonsequenz im Gebrauch der subjektiven Kamera vorwerfen, doch die Stärke des unbequemen Science-Fiction-Dramas liegt im Spiegel, den es dem Publikum vorhält.
Die Sympathien verschieben sich
Denn zunächst würde man die hässlichen Aliens instinktiv selbst gerne ausgrenzen. Erst als Wikus eine lebensnotwendige Zweckgemeinschaft mit einem im Untergrund lebenden Alien eingeht, der seine Flucht von der Erde vorbereitet und auf den Namen Christopher Johnson hört, wird einem bewusst, wie unmenschlich die so genannte Zivilisation hier agiert.
Spätestens hier outen sich die wahren Fratzenträger, und das schlechte Gewissen führt zur einer neuen Sympathie-Verteilung. Hierbei hilft auch der suggestive Score von Clinton Shorter, der den Aliens eine emotional aufgeladene Musik zugesteht. Das Mockumentary endet mit vielen offenen Fragen, und man ist versucht, auf ein baldiges Sequel zu drängen.