Ein Paar renoviert in den Ferien ein frisch erworbenes Landhaus. Anfangs wirkt die Beziehung der Mittdreißiger harmonisch, doch nach und nach werden Brüche sichtbar, als der depressive Bruder des Mannes und das 20-jährige Patenkind der Frau die intime Zweisamkeit zum Quartett erweitern. In lockerer Anlehnung an Goethes Wahlverwandtschaften entwirft der Film das Porträt von Menschen, denen es nicht gelingen will, in ihrem Leben heimisch zu werden. Die Inszenierung nähert sich den Figuren erfrischend unbekümmert, freilich wird dieser spontane Gestus immer wieder durch papierene Dialoge und symbolische Aufladungen gebrochen.
- Ab 16.
Mitte Ende August
Komödie | Deutschland 2009 | 93 Minuten
Regie: Sebastian Schipper
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2009
- Produktionsfirma
- Film 1/Senator Film Prod./NDR/ARTE
- Regie
- Sebastian Schipper
- Buch
- Sebastian Schipper
- Kamera
- Frank Blau
- Musik
- Vic Chesnutt
- Schnitt
- Horst Reiter
- Darsteller
- Marie Bäumer (Hanna) · Milan Peschel (Thomas) · Anna Brüggemann (Augustine) · André Hennicke (Friedrich) · Gert Voss (Bo)
- Länge
- 93 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
„Come, come, come into my world. Won’t you lift me up, up, high upon your love“, singt Kyle Minogue am Anfang – eine ebenso unbeschwerte wie euphorische Einladung, sich ins Leben und in die Liebe zu werfen. Am Ende, wenn der Abspann läuft, ist der Song erneut zu hören, dieses Mal in einer langsam gedehnten, melancholischen Cover-Version von Vic Chesnutt, der auch den Soundtrack zu „Mitte Ende August“ geschrieben hat. Die Personen, um die es hier geht, haben ganz offensichtlich etwas durchgemacht. Man könnte auch sagen: Sie sind ein Stück erwachsener geworden, laufen nicht mehr „blindlings irgendwo hin, nur um zu sehen, wie’s da ist“, wie Hanna, die weibliche Hauptfigur, einmal nachdenklich bemerkt.
Wie in anderen deutschen Filmen der letzten Zeit (etwa in Thomas Arslans „Ferien“, fd 38 191, oder Maren Ades „Alle anderen“, fd 39 348) wird in Sebastian Schippers drittem Spielfilm ein Paar aus seinem Alltagsleben herausgenommen und in ein Ferienhaus gesteckt. Wieder sind es Mittdreißiger, irgendwo angekommen zwar, aber dennoch nicht ganz gefestigt in ihrem Lebensentwurf – wobei der Regisseur offen lässt, wie ein solcher grundsätzlich aussehen könnte. Hanna und Thomas, auf den ersten Blick allzu offensichtlich als ungleiches Paar zu erkennen – sie ist bodenständig, handelt vorausschauend, er ist spontan und lebt seine kindlichen Impulse ungebremst aus – haben ein Landhaus erworben, zwischen Hamburg und Berlin. In den kommenden Wochen wollen sie es instand setzen und bewohnbar machen. Ein Projekt, das zunächst einmal nach sehr viel Spaß (Baumarkt-Slapstick) und nach ewigem Verliebtsein aussieht, auch wenn man sich fragt, ob die beiden nicht vielleicht durch einen Irrtum zueinander gefunden haben.
Die Gefühlsidylle bekommt erste Risse, als Thomas seinen Bruder Friedrich einlädt – für Hanna ein Zeichen dafür, dass ihm die Zweisamkeit nicht genügt. Friedrich, der mit seinem Architekturbüro pleite gegangen ist und überdies von Frau und Kind verlassen wurde, scheint hier zunächst der „Andere“ zu sein, in dem sich das Paar, im Grunde aber nur Hanna, spiegelt. Seine grüblerische, in sich gekehrte, fast depressive Stimmung irritiert die Unbeschwertheit der beiden. Hanna gewinnt plötzlich eine Außenperspektive auf ihre Beziehung. Was mag Thomas eigentlich an ihr, was würde er vermissen – Fragen, die erst durch die existenzielle Krise des Bruders gestellt werden. Das Trio verwandelt sich schließlich in ein Quartett, als Hannas Patenkind Augustine eintrifft. Gemeinsam renoviert man das Haus, isst, geht baden, findet ein Boot, redet und trinkt sich durch Tag und Nacht.
Sebastian Schippers manchmal charmant, aber selten differenziert gezeichnete Thirtysomethings suchen vorwiegend in dem Erleben von Intensitäten ihr Glück – einen Tetra-Pack Wein auf Ex trinken, gemeinsam „Deine blauen Augen“ bei Kerzenlicht singen, mit einem schnellen Auto über die Landstraße brettern. Eher schlichte Alltagsausbrüche, aus denen Regressionsbedürfnisse sprechen. Dass Augustine gerade mal Zwanzig ist und damit einer anderen Generation angehört, fällt genau aus diesem Grund nicht ins Gewicht. Vor dem Hintergrund euphorischer, aber auch ernüchternder Gefühlslagen, die abrupt wechseln und denen sich die Figuren hemmungslos hingeben, verschieben sich fast unmerklich die Konstellationen. Zwischen Hanna und Thomas öffnet sich eine Kluft, die zunehmend größer wird, die Beziehungen entwickeln sich überkreuz. Schipper, durch seine bisherigen Filme („Absolute Giganten“, fd 33 889, und „Ein Freund von mir“, fd 37 850) für die geradezu hingebungsvolle Darstellung von Männerfreundschaften bekannt, hat sich hier lose an Goethes „Wahlverwandschaften“ orientiert, wobei er hauptsächlich an der leichten, schwebenden Stimmung interessiert scheint und weniger an dem Genre Literaturverfilmung: „Ich bin in die große Villa ,Wahlverwandtschaften‘ hineingegangen und habe alles geklaut, was mir gut gefallen hat“.
Der Regisseur hat seinen Film mit der Einspielung eines Live-Albums verglichen und damit eine treffende Beschreibung für das ungeschliffene Gemisch aus Direktheit und Unbekümmertheit gefunden. In einigen Momenten geht dieser „Live-Charakter“ sogar auf; umso stärker fallen dann jedoch die Dialoge heraus, die Inhalt transportieren wollen – sie wirken umso „geschriebener“ und gestelzter. Regelrecht bühnenhaft und in seiner dramaturgischen Funktion durchsichtig ist der Besuch von Hannas großmäuligem Vater geraten. Sein illusionsloser Abgesang auf die Liebe ist nicht zuletzt ein aufdringlicher Theatermonolog, in dem sich die prekären emotionalen Verhältnisse des Paares nur allzu offensichtlich spiegeln. Konstruiert und ganz und gar nicht „live“ mutet auch manche symbolische Zuschreibung an. Hier wird eine „Partnertanne“ gefällt, dort eine tragende Wand eingerissen, das Haus erscheint als Spiegelbild für eine Beziehung, die auf wackeligem Fundament steht. Doch wie heißt es im Song zum Finale: „I’ve been chasing the life I’m dreaming. Now I’m home“.
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