Vampire haben schon im Erwachsenenstadium etwas Tragisches an sich: Gefangen in einer unvergänglichen Hülle, blickt ein alternder Geist auf den nächtlichen Weltenlauf, von dem er schon zu viel sah, als dass er seine Unschuld behalten könnte. Wie verloren sich allerdings ein unsterbliches Wesen im Körper eines Kindes fühlen muss und welche tragischen Konsequenzen das für seine Umwelt haben kann, hatte schon Kirsten Dunst in „Interview mit einem Vampir“
(fd 31 089) gezeigt. Auch „So finster die Nacht“ entfernt sich von der verklärt-kindgerechten Schauerromantik des „Kleinen Vampirs“ Rüdiger. Eli heißt das schwarzhaarige Mädchen mit den großen hungrigen Augen und dem etwas seltsamen Körpergeruch, das eines eisigen Abends im Hemdchen auf dem Innenhof von Oskars Wohnblock auftaucht und verkündet, dass sie niemals Freunde sein können. Für Oskar ist das nichts Neues, schließlich wird der zwölfjährige Außenseiter in der Schule täglich bis aufs Blut gequält. Das Scheidungskind leidet, flüchtet sich in Gewaltfantasien. „Schrei, schrei wie ein Schwein“, zischt er, wenn er einem Baum stellvertretend für seine Feinde ein Jagdmesser in die morsche Rinde treibt. Oskar, der als hellblonde, feingliedrige Kontrastfigur zu Eli ebenfalls etwas Anämisches an sich hat, wird von einem hasserfüllten Blutdurst angetrieben, der Kindervampir Eli von einem körperbedingten.
Der alte Mann, mit dem das Mädchen seit kurzem in der abgedunkelten Nachbarwohnung haust, scheint Vaterfigur, Liebhaber und Ernährer zugleich zu ein. Nachts macht sich Håkan auf die Suche nach blutjungen Opfern, betäubt und hängt sie kopfüber auf, um ihnen die Kehle aufzuschneiden und das heraussprudelnde Blut in Kanistern einzufangen. Doch Håkan versagt zunehmend, wodurch Eli gezwungen ist, in der Stockholmer Vorortsiedlung auf eigene Faust an ihre (überlebens-)wichtige Nahrung zu kommen. Von da an geht das Grauen im Block um, die Menschen bekommen Angst, und Eli geht die Kontrolle verloren, während sie Oskar dazu bewegen kann, durch schlagkräftige Gegenwehr die Gewalt über sein Leben wiederzuerlangen. Auf die lethargische Erwachsenenwelt ist ohnehin kein Verlass. Egozentrisch darbt sie in selbsterwählter Ausweglosigkeit inmitten architektonischer Uniformität.
Die Nächte in Schweden sind finster, fast so finster wie die Seelen ihrer Bewohner – zumindest suggeriert dies die düstere Farbgebung, in die Kameramann Hoyte van Hoytema diese Erzählung einer rührenden, weil so ungewöhnlichen Freundschaft und Romanze taucht. Vom undurchdringlich pechschwarzen Vorspann an, der sich im nächtlichen Schneegestöber allmählich aufhellt, wird die dunkle Szenerie nur von der sonnendurchfluteten Schulexkursion auf einen zugefrorenen See und von Oskars Landpartie beim Besuch seines Vaters unterbrochen – frostig verlaufen beide Ausflüge. Das tages-indifferente Neonlicht der Schulräume, die spärlich ausgeleuchteten Innenhöfe und Wohnungen verstärken die künstliche Tristesse, in der sich diese Vorort-Menschen eingemummt und isoliert haben. Allein der opferbereite Außenseiter Oskar trifft die wohl gefährlichste und zugleich glücklichste Entscheidung, als er Eli erlaubt, über seine Türschwelle und in sein Leben einzutreten, wie es der Originaltitel „Låt den rätte komma in“ („Lass den Richtigen herein“) empfiehlt. „So finster die Nacht“ ist dabei trotz seiner kindlichen Protagonisten und seiner Coming-of-Age-Thematik eine Fabel für Erwachsene, ein grausames Märchen, das mit wenigen erlesenen Effekten das Horrorgenre streift. Genüsslich wird die Klaviatur des Grauens angeschlagen und am Ende der politisch korrekte Grundsatz des „Gewalt erzeugt Gegengewalt“ wortwörtlich enthauptet, um den Rachegelüsten Oskars zu frönen. Der feinfühlige Blick, mit dem Tomas Alfredsons schwarzhumoriger Thriller Oskars Leid bemisst, beraubt hingegen der gewagten Radikalität, mit der sich die beiden Kinder am Ende gegen ihre Altersgenossen verbünden, ihren Skandalcharakter.
Es scheint wieder eine Zeit soziokultureller Missstände angebrochen zu sein, in denen das Motiv des elitären Vampirs, des untoten Übermenschen, seit Bram Stokers „Dracula“ eine Renaissance feiert. Die „Buffy“-Generation und ihre Nachkommen, die Catherine Hardwickes „Twilight“-Verfilmung in der Startwoche an die Spitze des amerikanischen Box-Office hievten (deutscher Start: 15.1.), laben sich an der (sexuellen) Unvereinbarkeit von Blutsauger und Mensch, auch im Fernsehen blühen die Vampirdramen im Serienformat. So sexualisiert ist die Figur Eli nicht, die ansonsten an allen Vampir-Konventionen leidet wie auch von diesen profitiert. Doch sorgt die gar nicht so unschuldige Spannung zwischen den Kindern, die sich am Ende auf eine gemeinsame Flucht begeben, für Assoziationen, die Oskar anstelle Håkans in die Position von Elis künftigem Geliebten und Ernährer setzen. Der Junge begibt sich aus Dank für sein Leben und aus Abscheu vor seinen Mitmenschen in ein parasitäres Ungleichgewicht mit dem übermenschlichen Wesen, das ihm zur Freiheit verhalf und ihn zugleich in eine neue Abhängigkeit zog. Dieses Motiv hatte es schon in Stokers „Dracula“ vor 110 Jahren gegeben – in der Aufbruchsphase des modernen Kapitalismus.