Gerdas Schweigen

Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 92 Minuten

Regie: Britta Wauer

Die Biografie einer Frau, deren uneheliche Tochter in Auschwitz verhungerte, weil sie sie nicht Stillen konnte, und die deren Existenz beinahe 40 Jahre verschwieg. Der Dokumentarfilm nähert sich der exemplarischen Opfergeschichte mit einer Vielzahl von Archivmaterial und Privataufnahmen und schafft ein filmisch wie auch musikalisch eindrucksvolles Äquivalent zur psychologischen Komplexität der Geschichte seiner Protagonistin, auch wenn er dabei Brüche und einige offene Fragen in Kauf nimmt. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Zeitsprung Film + TV Prod./rbb
Regie
Britta Wauer
Buch
Britta Wauer
Kamera
Kaspar Köpke · Bob Hanna
Musik
Karim Sebastian Elias
Schnitt
Berthold Baule
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Piffl (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Was wichtig zu wissen ist: Dieser Film von Britta Wauer ist der Nachklapp einer ausgedehnten Recherche des Journalisten Knut Elstermann; das Buch „Gerdas Schweigen“ erschien bereits 2005. Ausgangspunkt der Recherche war jedoch ein Fauxpas, der dem Kind Knut Ende der 1960er-Jahre passierte, als Tante Gerda aus New York seine Familie besuchte. In den Gesprächen der Erwachsenen über Gerda fielen Worte wie „Jüdin“ oder „Auschwitz“, und es war auch von einem Kind die Rede, über das man (vielleicht) besser nicht spräche. Als Knut Tante Gerda darauf anspricht, erhält er keine Antwort. Fast 40 Jahre später, Knut ist mittlerweile Journalist, stellt er seine Frage noch einmal – und diesmal bricht Gerda, nach einigem Zögern, ihr Schweigen. Der Film „Gerdas Schweigen“ ist teilweise ein szenisches Re-Enactment der Begegnung von Gerda und Knut in New York, basiert auf dem Material, das der Journalist im Verlauf seiner Recherche gesammelt hat, bedient sich ausgiebig bei historischem Bild- und Tonmaterial. Teilweise erzählt der Film die Geschichte der Wirkung des Buches auch weiter, wenn etwa die Reaktion von Gerdas Sohn Steven zur Sprache kommt, der aus dem Internet erfahren muss, dass er einmal eine ältere Schwester hatte. Sylvia, so der Name des Kindes, wurde in Auschwitz geboren und verhungerte, weil die Mutter sie nicht stillen durfte: Ein Opfer der Menschenversuche des berüchtigten SS-Arztes Dr. Mengele. Dass es Sylvia überhaupt gab, blieb Gerdas Geheimnis, als sie nach dem Krieg ein neues Leben begann. 1948 emigrierte sie nach New York und lernte 1951 ihren späteren Ehemann Sam Schrage kennen, der nie von Sylvia erfahren sollte. Was Knut Elstermann nach eigener Aussage während der Recherche lernte, ist so neu nicht: „Das musste ich erstmal begreifen, dass jemand, der ein Holocaustüberlebender ist, ein ganz normaler Mensch ist und ein Privatleben hat und auch private Gründen, über bestimmte Dinge nicht zu sprechen. Dass das auch Menschen sind, die das Recht haben, ganz bestimmte Dinge zu verschweigen.“ Die Frage stellt sich, inwieweit es legitim ist, trotz dieser Einsicht weiter fragend zu insistieren – und dabei in Kauf zu nehmen, dass die Aufarbeitung des Verdrängten schwer wiegende Konsequenzen in der Gegenwart der Befragten hat. Elstermann rechtfertigt sich damit, dass mit dem Tod der letzten Holocaustüberlebenden wichtige Zeitzeugen verstummen. Auch diesbezüglich zeigt sich Elstermanns Erwartungshorizont im Presseheft etwas naiv, wenn er ausführt: „Sehr schnell wurde mir bewusst, dass jemand, der 60 Jahre lang über etwas nicht gesprochen hat, keinen Monolog abliefert. Da gibt es Bruchstücke und Fragmente, dazwischen ganz viel Ungelöstes und Nicht-Verbundenes, was ich für das Buch versucht habe, aufzufüllen.“ Damit dürfte auch schon die größte Schwäche des Films bezeichnet sein: Der filmische Diskurs mag keine Leerstellen. Nach Möglichkeit bedient man sich in Privatarchiven, wenn es darum geht, die Familiengeschichten zu illustrieren. Allerdings finden sich auch Fotos davon, wie Gerda nach einiger Zeit in der Illegalität in Berlin schließlich verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurde – aufgenommen von SS-Männern. Hätte man hier nicht lieber eine Lücke lassen sollen? Auch sonst gibt es einige Szenen im Film, bei denen nicht unmittelbar einleuchtet, was damit bezweckt werden sollte: etwa einen Besuch Elstermanns bei Gerda in New York. Das Kamerateam hat sich bereits in der Wohnung platziert, als es an der Tür klingelt. Gerda öffnet, vor der Tür steht Elstermann. Na, das ist aber eine Überraschung! Am schlimmsten aber ist die auftrumpfende Musik von Karim Sebastian Elias, die sich wie Sirup zwischen die Bilder und Töne schmiert und für den tragenden Rahmen und Fluss der Montagekonstruktion sorgt. Laut Presseheft war ein emotionaler Zugang zu einer exemplarischen Opfergeschichte beabsichtigt, aber letztlich seien hier die Intentionen der Macher dominanter als die Autonomie des Opfers. Der Gestus von „Gerdas Schweigen“ erinnert an US-amerikanische TV-Dokumentationen oder auch an Geschichtsdarstellungen aus der Werkstatt Guido Knopps, wo es ja auch immer mit erheblichem Aufwand darum geht, dem Zuschauer zu beweisen, dass man „Geschichte“ erzählen kann. Und zwar als geschlossene Erzählung, die möglichst keine Frage offen lässt. Dass das in diesem Fall glücklicherweise nur ansatzweise gelingt, verdankt man Gerdas Sohn Steven, der im Film zwar nur am Rande vorkommt, dessen Präsenz aber von der Komplexität der psychologischen Konflikte, die aus Gerdas Biografie resultieren, erzählt. Schließlich gründet Gerdas Schweigen nicht nur auf dem Tod der Tochter, sondern auch darauf, dass Sylvia ein uneheliches Kind gewesen ist.
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