Eine junge Frau, bei der sich die Liebe zu ihrem neu geborenen Baby nicht einstellen will, sieht sich als "Rabenmutter" gebrandmarkt und muss nach einem körperlichen wie seelischen Zusammenbruch therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, um langsam ins Leben und zu ihrem Kind zu finden. Der weitgehend aus der Binnenposition der Mutter erzählte Film ist eine ernst zu nehmende Auseinandersetzung mit dem Tabuthema postnatale Depression. Obwohl er verschiedene Erscheinungsformen des Leidens auffächert, will er keine klinische Beschreibung eines Krankheitsbildes sein, sondern ergreift ambitioniert Partei für seine Protagonistin und ihr aus dem Gleichgewicht geratenes Seelenleben.
- Ab 16.
Das Fremde in mir
Drama | Deutschland 2008 | 98 Minuten
Regie: Emily Atef
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- NiKo Film/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
- Regie
- Emily Atef
- Buch
- Emily Atef · Esther Bernstorff
- Kamera
- Henner Besuch
- Musik
- Manfred Eicher
- Schnitt
- Beatrice Babin
- Darsteller
- Susanne Wolff (Rebecca) · Johann von Bülow (Julian) · Maren Kroymann (Lore, Rebeccas Mutter) · Hans Diehl (Bernhard, Julians Vater) · Judith Engel (Elise, Julias Schwester)
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Sie rennt durch den Wald, die Zweige schlagen ihr hart ins Gesicht. Irgendwann bricht sie zusammen, ein paar Schüler, die auf der Nachtwanderung vom Weg abweichen, finden sie. Sie liegt da wie tot; und vielleicht wäre ihr das auch recht gewesen. Eine Mutter liebt ihr Kind, sie hat es zu lieben. Bei Rebecca will sich die Liebe zu ihrem Baby aber einfach nicht einstellen, es ist ihr ganz fremd. Es nimmt ihre Brust bei den ersten Stillversuchen nicht an, steif wiegt sie es im Arm.
Emily Atef wagt sich mit „Das Fremde in mir“ an ein gesellschaftliches Tabu. 80.000 Frauen erkranken in Deutschland jährlich an einer postnatalen Depression. Dennoch wird das Phänomen weitgehend totgeschwiegen. Bis in die Details zeichnet die Regisseurin das typische Krankheitsbild nach: Erschöpfung, Traurigkeit, sexuelle Unlust, Angst- und Panikattacken. Plötzlich beschließt die Floristin Rebecca, ihren Blumenladen wieder zu eröffnen, räumt auf, bindet Pfingstrosen und dreht dabei die Trage mit dem Kind um, damit es sie nicht mehr anblicken kann. Auch übertriebener Aktionismus kann ein Anzeichen sein für die schwerste Form einer Krise nach der Geburt: die postnatale Psychose.
Obwohl „Das Fremde in mir“ in dieser Hinsicht paradigmatisch ist, werden keinesfalls die Stationen einer Erkrankung und der langsamen Genesung abgehakt. Vielmehr gelingt Emily Atef ein sensibles, packendes Frauenporträt. Die unmittelbare Nähe zur Hauptfigur und die ungekannte Entwicklung machen es so spannend wie einen Thriller. Schon in ihrem außergewöhnlichen ersten Langfilm „Molly’s Way“ (2005) folgte die Regisseurin einer jungen Frau – allerdings auf der Suche nach dem Vater ihres ungeborenen Kindes. In „Das Fremde in mir“ spielt die Hauptdarstellerin Susanne Wolff ganz natürlich, ohne jede Pose: Sie gibt schlicht den Blick frei in die aufgewühlte Seelenlandschaft ihrer Figur. Die Teilnahmslosigkeit Rebeccas, ihr Erschrecken, keine „gute Mutter“ zu sein und sowohl eigene Erwartungen als auch diejenigen der Umwelt nicht zu erfüllen, ihre Verzweiflung wie auch die schrittweise Annäherung an ihr Kind vermittelt die Schauspielerin mit feinen Nuancen.
Am Anfang scheint alles so perfekt: Ein Bilderbuch-Altbau mit kleinem Garten, ein liebender Mann mit festem Job, der Bauch wächst, ein gesundes Kind kommt zur Welt. Doch Rebeccas Baby will sich nicht stillen lassen, sie muss Milch abpumpen. In der anfänglichen Euphorie merken weder ihr Mann noch dessen Schwester, dass mit Rebecca etwas nicht stimmt. Nach dem Zusammenbruch im Wald wird sie in eine Klinik eingeliefert; nur ihre Mutter versteht die Situation und besteht auf psychotherapeutischem Beistand. Die professionelle Unterstützung ist die eine Seite von Rebeccas Erwachen aus der Depression, die andere ein erneuter Kampf – nicht mehr gegen die Krankheit, sondern gegen die Vorurteile, die ihr als vermeintlicher Rabenmutter entgegenschlagen. Ihr Mann ängstigt sich, wenn sie mit dem Kind allein ist, auch die Schwägerin vertraut ihr nicht und hätte das Kind gern weiter zwischen sich und ihrem Bruder aufgeteilt; das Arrangement hatte sich gerade so schön eingespielt. Neben der Beziehung zu ihrem Baby ist auch Rebeccas Verhältnis zu ihrem Mann gestört; sie muss sich durchsetzen und neue Ansätze finden.
„Das Fremde in mir“ ist radikal aus Rebeccas Perspektive erzählt, sie ist in jeder Szene präsent. Bis auf eine Ausnahme: Die Therapeutin, die Rebecca meist zusammen mit ihrem Mann an das Baby heranführt – Wickeln als Videotherapie, gemeinsame Erlebnisse – liest diesem gehörig die Leviten, als er zu früh zur einer Sitzung erscheint. Die Szene fällt unangenehm aus dem Rahmen, hier werden in deutscher Fernsehmanier Dinge erklärt, die nicht erklärt werden müssen: dass er sich falsch verhalten hat, sensibler auf seine Frau hätte reagieren müssen. Gerade diese Szene beweist dann aber auch, wie meisterhaft-zurückhaltend die Mono-Perspektive Rebeccas den Film trägt – ein Konzept, das auf Ausgewogenheit setzt, hätte die bezwingende Kraft des Films, die er aus der durchaus feministischen Parteinahme, der Präsenz der Hauptdarstellerin und seinem unentdeckten, ja tabuisierten Thema zieht, nur verwässert.
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