Dokumentation über Gunter Demnig und sein Stolperstein-Projekt, das an deportierte und ermordete Menschen während des Dritten Reichs erinnert. Ein solider, informativer Film, der gelegentlich die Untiefen der angeschnittenen Themen erspüren lässt. Die familiäre Vertrautheit der Regisseurin mit dem Künstler gewährt intim-entspannte Einblicke in dessen Werk, vermag diese Engführung aber nur selten zugunsten allgemeinerer Kontexte zu weiten.
- Ab 14.
Stolperstein
Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 76 (TV 52) Minuten
Regie: Dörte Franke
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- Hanfgarn & Ufer Filmprod./Troika Ent.
- Regie
- Dörte Franke
- Buch
- Dörte Franke
- Kamera
- Börres Weiffenbach
- Musik
- Andreas Hornschuh · Matthias Hornschuh
- Schnitt
- Jana Teuchert
- Länge
- 76 (TV 52) Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | JustWatch
Diskussion
Von einem solchen „Erfolg“ können andere Kunstschaffende nur träumen: Gunter Demnig ist Schöpfer der „Stolpersteine“, pflastersteingroßer Betonwürfel, die man im Boden vor Häusern findet, aus denen Menschen während der Nazi-Zeit in KZs deportiert wurden. Eine schlichte Messingplatte dokumentiert die biografischen Daten der Ermordeten: „Hier wohnte Ida Arensberg, geb. Benjamin, Jg. 1870, deportiert 1942, ermordet am 18.9.1942 in Theresienstadt“, heißt es etwa vor dem Anwesen in der Kölnstraße 93 in Bonn. Das Konzept entwickelte Demnig Anfang der 1990er-Jahre, um „ausgelöschte Biografien zurück in den Alltag zu bringen“. Die ersten Steine in Köln und Berlin-Kreuzberg wurden noch ohne behördliche Genehmigung verlegt und provozierten mitunter gespenstische Debatten; doch dann verselbständigte sich die Idee – und wuchs sich für Demnig zum Lebensprojekt aus. Was als limitierte Kunstaktion im öffentlichen Raum begann, entwickelte sich zur „Bürgerbewegung“, in der Einzelpersonen, Geschichtsvereine oder Initiativen das Schicksal verschleppter Mitbürger in ihrer Straße oder Siedlung recherchierten und Demnig beauftragten, es mit Stolpersteinen für die Nachwelt sichtbar zu machen. Rund 16.000 handgefertigte Mini-Mahnmale hat Demnig seither in Gehwege oder Hofeinfahrten gemauert, in Deutschland, Österreich und Ungarn; um den wachsenden Anfragen nachzukommen, ist er inzwischen zur Manufaktur übergegangen, mit assoziierten Mitarbeitern für Produktion und Organisation der Steine. Im Film begegnet man dem Künstler meist privat; auf den langen Fahrten zwischen den Einsatzorten plaudert er über Erlebnisse und Erfahrungen, in die Bilder der handwerklichen Fertigung der Steine geschnitten sind. Die Aufnahmen aus Demnigs Atelier, aber auch vom Verlegen der Steine vor Ort verraten vertraute Bewunderung, sind aber nicht frei von Stilisierungen; allzu augenfällig erinnert Demnigs Outfit und Inszenierung an Joseph Beuys, mitunter gerät die Aktion – zumindest in ihrer filmischen Gestalt – selbst zum Ritual. Die Kamera protokolliert dabei stets auch einige skeptisch-verstockte Passanten oder erspäht im deutschen Osten misslaunige Glatzköpfe mit Kampfhunden, die auf Distanz bleiben, weil Demnig in der Regel von Polizisten und die Steinlegung von einem kleinen Festakt begleitet wird. Um die Engführung des Films auf den Initiator aufzubrechen, besucht Dörte Franke in Manchester Peter Jordan, einen Überlebenden, der seit Jahren vergeblich gegen den Münchner Oberbürgermeister Christian Ude kämpft, der Stolpersteine an der Isar nicht duldet. Auch finden sich die Tochter eines SS-Manns und andere Frauen, die stellvertretend für ihre Eltern durch ihr Stolpersteine-Engagement öffentlich Abbitte leisten. Das alles ist informativ und solide. Dokumentarisch spannend wird es erst, wenn der Film nach einer eher kursorischen ersten Hälfte mit Demnig und seiner Lebensgefährtin zur Arbeitsreise nach Österreich und Ungarn aufbricht. Dort begleitet die Kamera ein Gespräch zwischen den Nachfahrinnen einer Sinti-Familie, die fast komplett ausgelöscht wurde, und zwei ortsansässigen Zeitzeugen, die sich noch an die Deportation erinnern können. Der naiv-unverschämte Duktus, mit dem die Einheimischen über das Vergangene reden, verrät mehr über die Gegenwart des Verdrängten als jedes noch so zerknirschte Lippenbekenntnis. Ans Dämonische der Vernichtung rührt ein wortloser Schwenk über zerfallene Häuserzeilen des Dorfes Makò, auf dessen Friedhof eine ungarische Mitstreiterin Demnigs darüber nachdenkt, dass jüdisch sein für sie gleichbedeutend ist mit Angst haben. In solchen Momenten reißt die Folie des Infotainments und lässt die Untiefen der Themen erspüren.
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