Nach dem plötzlichen Tod seiner Geliebten kapselt sich ein junger Mann in seinen Schmerz und seine Trauer ein und ist unempfänglich für Freunde und Verwandte, die ihn aus seiner Lethargie führen wollen. Erst als es ihm gelingt, seine Erinnerungen loszulassen, wird er fähig, eine neue, nun gleichgeschlechtliche Liebe einzugehen. Ein stilsicher inszenierter Liebesfilm über große Gefühle, der auch eine Hommage an die Filme der Nouvelle vague sein will und mit entsprechenden liebevollen Zitaten aufwartet. Die stimmigen Gesangseinlagen kommen immer dann zum Tragen, wenn die Protagonisten ihre Gefühle und Gedanken zum Ausdruck bringen. (O.m.d.U.)
- Sehenswert ab 16.
Chanson der Liebe (2008)
Liebesfilm | Frankreich 2007 | 92 Minuten
Regie: Christophe Honoré
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Filmdaten
- Originaltitel
- LES CHANSONS D'AMOUR
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- Alma Films
- Regie
- Christophe Honoré
- Buch
- Christophe Honoré
- Kamera
- Rémy Chevrin
- Musik
- Alex Beaupain
- Schnitt
- Chantal Hymans
- Darsteller
- Louis Garrel (Ismaël Bénoliel) · Ludivine Sagnier (Julie Pommeraye) · Chiara Mastroianni (Jeanne) · Clotilde Hesme (Alice) · Grégoire Leprince-Ringuet (Erwann)
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 6 (DVD)
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Liebesfilm
Heimkino
Die Standardausgabe (DVD) enthält keine erwähnenswerten Extras. Die Special Edition enthält indes einen Audiokommentar des Regisseurs und des Filmkomponisten, eine Einführung von Regisseur Christophe Honoré (36 Min.), ein Feature über die Aufnahme-Session der Musical-Nummern (23 Min.) sowie die Pressekonferenz von den Filmfestspielen Cannes 2007. Die Special Edition ist mit dem Silberling 2011 ausgezeichnet.
Diskussion
Eigentlich könnten Julie und Ismaël zufrieden sein, auch wenn in ihrer Beziehung die Funken nicht mehr so fliegen wie noch vor Jahren. Ismaël ist in Julies Familie integriert, die gemeinsame Zukunft scheint ausgemacht, doch etwas fehl: Das gewisse Etwas? Ein neuer Kick? Julie glaubt den Ausweg aus dem Dilemma zu kennen: Alice, Ismaëls Mitarbeiterin. Doch die „menage à trois“ schafft mehr Probleme als sie löst. Man ringt um Alices Gunst, zieht sich enttäuscht zurück, und überhaupt drängt sich Alice in allen Belangen zwischen das Paar. Die Fronten scheinen sich erst zu klären, als Alice während eines Konzerts Gwendal kennenlernt und mit ihm anbandelt und Julie und Ismaël sich aufeinander besinnen. Doch das wiedergefundene Glück ist von denkbar kurzer Dauer. Wenige Minuten später bricht Julie vor dem Club zusammen: Hirnschlag. Wiederbelebungsversuche bleiben erfolglos. Das Leben geht weiter, doch Trauer und Hilflosigkeit nisten sich in Ismaëls Leben ein. Auch die Familie ist ratlos, und der Versuch von Jeanne, Julies Schwester, Ismaël abzulenken, auch durch körperliche Avancen, scheitert und ist eher der kaum verhohlene Versuch, selbst Trost zu finden. Überhaupt bietet die gesamte Familie der Toten Hilfe an, signalisiert Gemeinschaftssinn, aber nicht ohne Hintersinn: Wenn es Ismaël gut geht, kann er sie alle auch in ihrer eigenen Trauer tragen. Doch nichts scheint zu helfen, und dann gibt es auch noch Gwendals Bruder, den Abiturienten Ewann, der sich in den Trauernden verliebt. Nach Liebe, erst recht nach gleichgeschlechtlicher, steht Ismaël allerdings nicht der Sinn. Er geht ganz in seiner Trauer auf, klammert sich an seine Erinnerungen. Jeanne will ihn verstehen, kann aber nicht begreifen, dass das Leben für Ismaël nur noch ein trauriges Geheimnis ist. Ein erneuter Besuch an Julies Grab leitet die Wende ein. Ismaël findet sich mit dem Unabwendbaren ab, die Erinnerungen verblassen. Zumindest für einige Zeit gehört Ewann, dem hübschen dickköpfigen Bretonen, die Zukunft mit Ismaël. Wenn der auch nicht mit allen Fasern seines Herzens liebt, so sieht er doch ein, dass es besser ist, weniger zu lieben, dafür aber lange.
Ein Film über Liebe, Tod, Trauer und Abschied: Das hört sich vertraut an. Aber wie sich Christophe Honoré der Themen annimmt, ist bewundernswert, zeugt von Mut und inszenatorischem Feingefühl. Sein Film ist eine detailreiche Reminiszenz an die „Nouvelle vague“, was sich in winzigen Zitat-Vignetten, feinen Anspielungen, Namen, Stimmungen und Atmosphären äußert. Vor allem aber ist „Chanson der Liebe“, der wie alle Filme Honorés auch von einer Familienkrise erzählt, eine Hommage an Jacques Demy, auf den mannigfaltig Bezug genommen wird, nicht nur durch die Einteilung in drei Kapitel („Die Regenschirme von Cherbourg“, fd 30 511). Honoré erzählt seine Geschichte in Form eines Musicals – „Chansonical“ wäre der bessere Begriff, denn trotz aller Leichtigkeit wird eine gewisse Trauer nie ganz überwunden, schwingt immer eine leichte Orientierungslosigkeit mit. Bei aller Nähe zu Demy – und auch zu Alain Resnais, der mit „Das Leben ist ein Chanson“ (fd 33 072) einen vergleichbaren „Singfilm“ schuf – gibt es auch einen entscheidenden Unterschied: Dienten bei Resnais die klassischen Chansons (im Original als Playback eingespielt und den Schauspielern in den Mund gelegt) dazu, die Phrasenhaftigkeit von Gesprächssituationen und -standards zu hinterfragen, und bediente sich Demy in seinen Filmen der Form des Singspiels, indem er die Dialoge singen ließ, so geht Honoré einen Schritt weiter. Er lässt seine Protagonisten Gefühle und Gedanken singen, sodass die Chansons das ausdrücken, was die Personen nicht sagen können oder wollen. So bilden sie eine musikalische Metaebene, auf der keine Gefühle mehr verschleiert werden, ihnen zugleich aber ihre Härte genommen wird. Das führt zu Momenten, in denen Wehmut, Trauer und Wut dicht beieinander liegen und sich die Hilflosigkeit in einem einzigen großen Gefühl Ventil schafft. Die 13 faszinierenden Chansons hat Alex Beaupain eigens für „Chanson der Liebe“ komponiert und wurde dafür mit einem „César“ sowie dem „Etoile d’Or“ (Preis der französischen Filmkritik) ausgezeichnet. Regie, Musik und die überzeugenden Darsteller (die allerdings auf unterschiedlichem Niveau singen) werden durch die kongeniale Kameraarbeit unterstützt: Trist-blaustichige Winterbilder erzeugen das Gefühl einer allgegenwärtigen Kälte, die Bilder scheinen eingefroren, wenn das Leben nicht mehr weitergeht, Neonreklamen werden zu Chiffre-Botschaften. Der Film zieht behutsam alle Register, und am Ende ist es fast selbstverständlich, dass Julie aufersteht, um endlich verabschiedet zu werden und sterben zu können. Eine zauberhaft unwirkliche Szene, die vermittelt, dass mit jedem Neuanfang ein Abschied verbunden ist.
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