Funny Games U.S.

Drama | USA/Frankreich/Großbritannien/Österreich/Deutschland/Italien 2007 | 112 Minuten

Regie: Michael Haneke

Eine dreiköpfige Familie wird während des Sommerurlaubs von zwei unbekannten jungen Männern heimgesucht und gequält - ein Katz-und-Maus-Spiel, das tödlich endet. Mit dem US-Remake seines eigenen Films aus dem Jahr 1997 reflektiert Michael Haneke erneut, nach welchen Mechanismen sich das Böse in die bürgerliche Gesellschaft einschleicht. Zwar variiert der Film die zugrunde liegende Produktion um Einstellungen und kleine Unterschiede, letztlich bleibt jedoch die grauenerregende Versuchsanordnung, deren Konstruiertheit stets sichtbar bleibt und die ihre Geschichte mit einer kalkulierten Albtraumlogik abspult.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
FUNNY GAMES U.S.
Produktionsland
USA/Frankreich/Großbritannien/Österreich/Deutschland/Italien
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
X-Filme/Halycon Pic./Tartan Films/Cellulouid Dreams/Lucky Red/Belladonna Prod./Kinematograf
Regie
Michael Haneke
Buch
Michael Haneke
Kamera
Darius Khondji
Schnitt
Monika Willi
Darsteller
Naomi Watts (Ann) · Tim Roth (George) · Brady Corbet (Peter) · Michael Pitt (Paul) · Devon Gearhart (Georgie)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18; f
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
X Verleih/Warner (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Katz’ und Maus heißt das Spiel, das hier gespielt wird. Zum Wesen dieses Spiels gehört, dass die Maus eine Chance aufs Entkommen hat – nur dann hat die Katze ihren Spaß. Wer genau aber hier Katz’ und wer die Maus ist, darüber lässt sich im Fall von Michael Hanekes „Funny Games U.S.“ mit guten Argumenten streiten. Der Film ist der wohl einmalige Fall, dass ein Regisseur ein Remake seines eigenen Werks verantwortet, das in Einstellungen und Schnitt mit dem Vorläufer weitgehend übereinstimmt. Die Schauspieler sind allerdings andere, und weil in den USA gedreht wurde, sind die Dialoge auch ins Englische übersetzt worden. Zur Erinnerung: „Funny Games“ (fd 32731) erzählte im Jahr 1997 von einer Kernfamilie – Vater, Mutter, Kind – aus wohlsituierten, „gutbürgerlichen“ Verhältnissen, die ihren Sommerurlaub in einem Ferienhaus am See beginnen. Gleich am Ankunftstag bekommen sie Besuch von zwei jungen Männern, die sich erst als Bekannte der Nachbarn vorstellen, sich aber schnell als brutale Eindringlinge erweisen, die die Familie terrorisieren und mit ihr ein grausames Spiel treiben, das schließlich für alle drei tödlich endet. Vater, Mutter, Kind ist auch der Name eines Kinderspiels. Auch sonst ist die Handlung von „Funny Games“ durchzogen von der (Kinder-)Spielmetaphorik. Wer darauf achtet, wird alles entdecken: Versteckspiel, Eierlauf, Blinde Kuh, Abzählreime, „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“, und noch manches mehr. Dass dies weder heiter noch zynisch gemeint ist, macht der Film klar; ein bitterer, auch kämpferischer Grundton durchzieht ihn: Haneke meint ernst, was er tut, und das wird auch bei diesem Film nicht allen gefallen. Die Kenntnis des Plots darf man beim europäischen Publikum voraussetzen. Haneke begründet das Remake auch in erster Linie mit einer pädagogischen Absicht: Der erste Film habe auf ein „Hollywood-Publikum“ gezielt, dieses Ziel aber verfehlt. Das angebotene Remake mit US-Stars habe er als Chance gesehen, jetzt doch das erstrebte Massenpublikum zu erreichen und über die Manipulationszusammenhänge der Kulturindustrie aufzuklären. Der Film verweigert sich den Erwartungen des Publikums und den Stereotypen des filmischen Erzählens konsequent und macht es dem Zuschauer nie behaglich. Auch für ein europäisches Publikum, das den Soupcon gegen jede Form von Erziehung längst zum Reflex verinnerlicht hat, und – fälschlicherweise? – sowieso glaubt, über derartige Informationen erhaben zu sein, hält „Funny Games U.S.“ wichtige Erfahrungen bereit – so man sich auf sie einlässt. Der Vergleich lässt viele kleine Unterschiede erkennen. Keineswegs sind die Einstellungen identisch, gelegentlich sind Winkel verändert, und auch die Differenzen bei Set und Kostüm frappierend und aufschlussreich – wenn auch wohl eher ein Thema für Filmseminare. Selbstverständlich sieht man den Film anders, wenn man das Vorbild kennt, man sucht förmlich kleine Unterschiede, und Haneke wäre nicht Haneke, hätte er derartiges Sehverhalten nicht mitbedacht. Aber „Funny Games U.S.“ ist auch ein Film aus eigenem Recht, ein virtuoses Spiel mit den Mechanismen unserer Wahrnehmung und ihrer Manipulation im Kino, wie auch mit den Versuchen der Zuschauer zur Distanzierung von dem, was da von der Leinwand aus auf einen einbricht. Das Original trug den präzisen Untertitel „Ein Albtraum“. Es geht also um Albtraumlogik, nicht um Realismus. Haneke ignoriert die Konvention der „vierten Wand“, seine bösen Eindringlinge sprechen direkt zum Zuschauer, wie sonst nur Theaterfiguren. Theatralisch sind die beiden auch selbst: Wahlweise Peter und Paul genannt, Beavis und Butthead, Tom und Jerry, sind sie weiß gekleidet, inklusive Handschuhen, wie die Clowns der commedia dell’arte, wie Pantomimen. Oder auch wie Mitarbeiter der Psychiatrie, die gleich jemanden mit der Zwangsjacke abholen wollen. In dieser Zwangsjacke findet sich die Familie wieder, aber auch die Zuschauer dieses Kammerspiels. „Funny Games U.S.“ ist eine „künstliche“ Versuchsanordnung, die mit allem Naturalismus bricht, in vieler Hinsicht nicht „handlungslogisch“ ist. Stellenweise ist das offen plakativ, doch man sollte zumindest nicht annehmen, dass Haneke das nicht wüsste; Die Konstruiertheit ist sichtbar, aber sie lässt dem Zuschauer alle Freiheit. Vollends treibt Haneke sein Medienspiel auf die Spitze, als einmal das Bild von den Tätern selbst zurückgespult wird. Was zeigt: Es geht nicht um Abbildung, es geht um deren Bearbeitung – nicht nur innerhalb des Dargestellten, sondern auch auf der Ebene der Darstellung. In dieser Mischung aus schwarzer Komödie und Horrorfilm knüpft Haneke an klassische Vorbilder an. An Charles Laughtons „Die Nacht des Jägers“ (fd 4918 ) muss man ebenso denken wie an die selbstreflexive „Scream“-Trilogie und an Thomas Clays Meisterwerk „The Great Ecstasy of Robert Carmichael“ (2005). Vor allem drängt sich der Vergleich mit Kubricks „Uhrwerk Orange“ (fd 17806) auf; wie dort interessieren Erklärungen für Taten nicht, werden vielmehr als Illusion entlarvt. Thema ist allein, wie sich das Böse einschleicht in die bürgerliche Gesellschaft, wie man die Bedrohung kommen sehen könnte, und es nicht tut, weil das soziale Immunsystem längst versagt hat. Diese These zielt nicht nur, aber auch auf das Kino. Wenn das nicht aktuell sein soll.
Kommentar verfassen

Kommentieren