- | Österreich 1997 | 103 Minuten

Regie: Michael Haneke

Eine dreiköpfige Familie wird am ersten Urlaubstag in ihrem Ferienhaus von zwei jugendlichen Unbekannten heimgesucht, die sich als gnadenlose und grausame Sadisten entpuppen. Bis zum nächsten Morgen töten sie einen nach dem anderen, ohne daß ihr Verhalten psychologisch oder soziologisch erklärt würde. Eine schockierende, nur schwer erträgliche Medienreflexion, die an Hand der Strukturmerkmale des Thrillers übliche Sehgewohnheiten in Frage stellt und den Zuschauer als heimlichen Mittäter der filmischen Grausamkeiten entlarvt.
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Filmdaten

Originaltitel
FUNNY GAMES
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Wega
Regie
Michael Haneke
Buch
Michael Haneke
Kamera
Jürgen Jürges
Schnitt
Andreas Prochaska
Darsteller
Susanne Lothar (Anna) · Ulrich Mühe (Georg) · Arno Frisch (Paul) · Frank Giering (Peter) · Stefan Clapczynski (Schorschi)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 18; f
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Heimkino

Verleih DVD
Concorde (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt., dts dt.)
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Diskussion
Das Kino des österreichischen Regisseurs Michael Haneke kennt keine "Zuschauer". Der Schock, der einem angesichts der radikalen Zuspitzung von Filmen wie "Der siebente Kontinent" (fd 31 936) oder "Benny's Video" (fd 30 298) in die Glieder fährt, zwingt den Betrachter unweigerlich zur Stellungnahme, verwandelt ihn, ob er will oder nicht, vom passiven Rezipienten in einen, der sich gezwungenermaßen mit den provokativen Bildern herumschlagen muß. Neben Bewunderung und kritischer Beschäftigung hat diese Verstörung, die Hanekes Filmen regelmäßig folgt, ihm aber auch manche Anfeindung eingebracht, wie sie beispielsweise in den Kontroversen nach der Cannes-Premiere seines neuesten Films ihren Niederschlag gefunden haben: Während viele mit den Tabubrüchen seiner Dekonstruktion des Thriller-Genres zu kämpfen hatten und nicht recht wußten, wohin mit der Ahnung, als Voyeur der Gewalt entlarvt worden zu sein, verweigerten sich andere kategorisch der Auseinandersetzung, indem sie auf die schlichte Versuchsanordnung hinwiesen oder sich den moralischpädagogischen Impetus grundsätzlich verbaten.

In der Tat ist das kammerspielartige Drama schwer zu ertragen, obwohl bereits der Vorspann in aller Deutlichkeit ankündigt, welches Ende die Handlung nehmen wird. Auf der Fahrt zu ihrem Ferienhaus am See vertreiben sich Anna, Georg und ihr kleiner Sohn Schorschi die Zeit, indem sie Werke und Komponisten klassischer Musik erraten, die aus den Autolautsprechern tönt. Eine friedliche, gelöste Szenerie, bis plötzlich ohrenbetäubendes Heavy-Metal-Dröhnen losbricht und sich der Filmtitel in schweren, blutroten Lettern leinwandfüllend über die Einstellung legt. Um welche Art von Spielen es sich dabei handelt, bleibt zunächst offen. Vater und Sohn lassen das Segelboot zu Wasser, Anna bereitet das Abendbrot vor. Als Peter, ein jugendlicher Gast der Nachbarn, in ihrer Tür steht und um ein paar Eier bittet, macht sich Anna keine Gedanken. Unsicherheit streift sie erst, als er kurz darauf wieder aufkreuzt und höflich, aber bestimmt, neue Eier verlangt, weil ihm die ersten aus der Hand gefallen seien. In den devot-trotzigen Worten des Unbekannten schwingt Gefahr mit. Ein zweiter Fremder erscheint, Paul, der - ebenfalls in wohlgesetzten Worten - offen zum Machtkampf übergeht. Georg, inzwischen von Anna gerufen, soll einen Ball vom Boden aufheben. Als er sich weigert, saust ein schwerer Golfschläger auf sein Schienbein herab: Terror total. Die beiden Eindringlinge, die auf nichts anderes als sadistische Quälereien aus zu sein scheinen, schlagen eine makabre Wette vor: Binnen zwölf Stunden hätten sich die drei Familienmitglieder befreit oder seien alle tot. Wie ernst es ihnen damit ist, ahnt der Zuschauer, als dem Jungen die Flucht gelingt und er bei den Nachbarn Hilfe holen will. Lange ehe Schorschi einen lebenlosen Kinderfuß durch einen Türspalt entdeckt, weiß man, daß im Haus nebenan niemand mehr am Leben ist. Trotzdem gefriert das Blut in den Adern, als das ganz in Weiß gekleidete Duo den gescheiterten Ausbruch bestraft und ein Schuß durch das Anwesen halt: Auf dem Fernsehschirm kleben die blutigen Überreste des Kindes.

"Ich versuche Wege zu finden, um Gewalt als das darzustellen, was sie immer ist, als nicht konsumierbar. Ich gebe der Gewalt zurück, was sie ist: Schmerz, eine Verletzung anderer", umschreibt Haneke im Presseheft seine Absichten. Auf den Schock folgt eine lastende, minutenlange Stille, eingefangen in einer einzigen Totalen, in der Ulrich Mühe nach unerträglichem Schweigen in markerschütterndes Schluchzen ausbricht und Susanne Lothar sich zum Fernseher schleift, um die Übertragung eines Autorennens abzuschalten. Die grenzenlose Ohnmacht der Gefesselten hallt im Betrachter wider, der nicht zum ersten Mal in diesem Film seine Wut nur schwer kontrollieren kann und am liebsten auf der Leinwand eingreifen möchte. So sehr drängt sich das auf wenige elementare Situationen und Gefühle reduzierte Geschehen auf, daß mancher während des Münchner Filmfestes die Pressevorführung verließ und sich dem Grauen entzog. In diesem Augenblick aber, wenn man sich gegen die Gewalt des Films innerlich zur Wehr setzt, hebt Hanekes eigentliches Attentat auf unsere Sehgewohnheiten an: auf die Frage nämlich, warum man die beiden Erwachsenen nicht gleich über die Klinge springen lasse, wendet sich der Wortführer direkt ans Publikum und erinnert daran, daß noch keine Spielfilmlänge erreicht sei und die Zuschauer außerdem ein Recht auf eine plausible und stringente Story hätten. Schon zuvor hatten gelegentliche Blicke oder ein Augenblinzeln dunkel angedeutet, daß auch die im Kinosaal diesmal nicht ungeschoren davonkommen, sondern eine aktive, in gewissem Sinne sogar interaktive Rolle spielen: als Komplize der Täter und heimlicher Auftraggeber dieser gnadenlosen Quälerei. Wenig später, wenn auch Anna zuerst die Flucht gelungen, sie dann aber ebenfalls wieder eingefangenen worden ist, treibt Haneke sein luzides Spiel mit dem "Zuschauer" auf den Gipfel: mitten im Film wird die Handlung zurückgespult, weil Anna eine Waffe in die Hand bekam und einen der Mörder erschoß. Diese dramaturgische Entlastung aber, die jeden Thriller konstituiert und "als kontrollierte Beschwörung des Bösen die Hoffnung auf seine Kontrollierbarkeit in der Realität erlaubt", verweigert Haneke, weshalb der Film im zweiten Anlauf ungestört seinem tödlichen Ende entgegenstrebt. Das Resultat dieser erschütternden Medienreflxion ist weniger die Anatomie eines Genres, dessen

Konstruktionsprinzipien detailreich offengelegt werden, als vielmehr eine ernüchternde, irritierende Erkenntnis: Die der moralischen Mittäterschaft des "Zuschauers", der mit verborgener Lust durch die Schauer der Thrills geführt werden will und all die Grausamkeiten "verlangt", um mit dem Sieg über das "Böse" am Ende doch ein Gefühl von Sicherheit und Selbstrechtfertigung genießen zu können. Aus diesem Grund ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß sich Haneke keine Sekunde um eine psychologische oder soziologische Erklärung des mörderischen Handelns interessiert, sondern den beiden beliebig variierbare Sätze in den Mund legt. Die Mordbuben bleiben erkennbar synthetische Figuren, die Opfer gequälte, über jedes Maß des Erträglichen hinaus malträtierte Leidensgestalten; suspekt und in tieferen Sinne sich fraglich aber wird, vor dessen Auge sich das makabre Spiel entfaltet hat. Wer dies als ästhetischen Moralismus oder menschenunwürdige Schlachterei abtut, muß sich des Verdachts erwehren, die Brisanz der Fragen, die Haneke in diesem grausamen Spiel anschneidet, nicht ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen.

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