Nach dem Tod seiner Frau öffnet sich ein bisher im Alltagstrott gefangener bayerischer Beamter und Familienvater den Träumen der Verstorbenen. Auf einer Reise nach Japan, ihrem nie erreichten Wunschziel, gelingt es ihm auf besondere Weise, in einen inneren Dialog mit der Toten zu treten. Unbeschadet vom Unverständnis seiner drei erwachsenen Kinder findet er dabei auch zu sich selbst, blüht noch einmal auf, bevor auch er stirbt. Ein subtiles und partiell hoch emotionales filmisches Memento mori, das vom Thema des Todes und der "Trauerarbeit" stets wieder zum Leben und den Lebenden hinführt. Die Frage, wie wir miteinander umgehen, wird mit kritischem Blick besonders auf das Verhältnis der Generationen vorgetragen. Den beiden hervorragenden Hauptdarstellern gelingt es, die sichtbaren und auch verborgenen Seiten ihrer Figuren glaubhaft und anrührend darzustellen. (Kinotipp der katholischen Filmkritik)
- Sehenswert ab 14.
Kirschblüten - Hanami
Drama | Deutschland 2007 | 127 Minuten
Regie: Doris Dörrie
Kommentieren
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- Olga-Film/BR/ARD-Degeto
- Regie
- Doris Dörrie
- Buch
- Doris Dörrie
- Kamera
- Hanno Lentz
- Musik
- Claus Bantzer
- Schnitt
- Inez Regnier · Frank Müller
- Darsteller
- Elmar Wepper (Rudi) · Hannelore Elsner (Trudi) · Nadja Uhl (Franzi) · Maximilian Brückner (Karl) · Aya Irizuki (Yu)
- Länge
- 127 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
In den Anfangsszenen von Doris Dörries neuem Film „Kirschblüten – Hanami“ erfährt Trudi, dass ihr Mann Rudi nur noch kurze Zeit zu leben hat. Der behandelnde Arzt überlässt es der Frau, wie sie mit dieser Wahrheit umgeht: Weiht sie Rudi ein, oder wird sie das Geheimnis für sich behalten? In einer beiläufigen, wunderschönen metaphorischen Szene gibt Doris Dörrie die Antwort: Während Trudi bügelt, tropft eine Träne auf ein Taschentuch; sie fährt mit dem Bügeleisen darüber und macht sie unsichtbar.
„Kirschblüten – Hanami“ zeigt ein Paar, das in einer merkwürdigen, aber doch überaus alltäglichen Symbiose verbunden ist. Beide sind nebeneinander alt geworden. Der Mann, Mitarbeiter im Verwaltungsreferat eines bayerischen Landkreises, ruht in sich selbst; nichts vermag seine Kreise zu stören; jeden Morgen fährt er zur gleichen Zeit mit Frühstücksbrot, Apfel und stets demselben Sinnspruch zur Arbeit. Die Frau an seiner Seite hat ihm drei Kinder geboren, die längst ihre eigenen Wege gehen. Sie weiß, dass er zufrieden ist, auch wenn er gern über dies und jenes grantelt. Er jedoch weiß von ihr und den Kindern nur wenig. Das offenbart die Regisseurin aber erst nach und nach, und sie nutzt dafür die außerordentlichste aller dramaturgischen Wendungen: Nicht Rudi stirbt, sondern Trudi, plötzlich und unerwartet, wie es in Traueranzeigen heißt. Im Gespräch mit Franzi, der Lebenspartnerin seiner Tochter, erfährt Rudi dann von den Träumen seiner Frau, über die sie mit ihm nie gesprochen hatte und die sie sich nie erfüllte: dem Wunsch, die Kunst des Butoh-Tanzes zu erlernen und nach Japan zu reisen, um den göttlichen Berg Fujiyama zu sehen.
Bis dahin ist „Kirschblüten – Hanami“ zügig, ja beinahe atemlos erzählt: der Alltag in Bayern; die von Trudi angeregte Fahrt zu den beiden in Berlin lebenden Kindern; der Ausflug an die Ostsee; der Tod der Mutter. Als sich Rudi nun selbst auf die Reise nach Japan macht, nimmt der Film ein langsameres Tempo an, er wird impressiver, gibt den Bildern bewusst mehr Raum, um sich atmosphärisch entfalten zu können. Der filmische Rhythmus, der nicht zuletzt auch der Montagekunst von Inez Regnier geschuldet ist, unterstreicht die Wandlung und Verwandlung des bis dahin völlig in seinem Regelwerk festgezurrten Helden und trägt dazu bei, dass der besondere innere Dialog Rudis mit seiner verstorbenen Frau glaubhaft erscheint. Vor allem aber ist es Elmar Wepper zu verdanken, dass er auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Kitsch nie abrutscht und seine Figur, selbst wenn sie plötzlich in Frauenkleidern durch Tokio spaziert und im Park Butoh tanzt, nie der Lächerlichkeit preisgibt. In diesem Zusammenhang hat Doris Dörrie von Rudis „geglückter Trauer“ gesprochen: Der Mann habe in seinem Schmerz auch sich selbst gefunden. „Er kann, wie die Kirschblüte, noch einmal aufblühen in all dem, was er ist. Das entspricht ja einem zentralen Gedanken im Zen-Buddhismus: Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind, und jedem Ding, jedem Menschen die Gelegenheit zu geben, sich zu zeigen.“
Mit „Kirschblüten – Hanami“ gelingt Doris Dörrie ein subtiles und partiell hoch emotionales filmisches Memento mori. Ein Stoff also, der vom Thema des Todes und der „Trauerarbeit“ stets wieder zum Leben und den Lebenden hinführt. Immer geht es um die Frage, wie wir miteinander umgehen: Was wissen wir wirklich voneinander; interessieren uns die Träume und Hoffnungen derer, die uns umgeben; öffnen wir uns deren Wünschen oder sind wir nicht zu stark mit der Pflege des eigenen Ego befasst? Ist unsere Zivilisation, was die so genannten zwischenmenschlichen Beziehungen anbelangt, an einem Punkt angekommen, der einer Einkehr, vielleicht sogar einer Umkehr bedarf? Besonders kritisch sieht die Regisseurin das Verhältnis der Generationen: Sowohl die beiden Kinder, zu denen Trudi und Rudi nach Berlin reisen, als auch der in Tokio wohnende Sohn haben keine Zeit für die Eltern, wissen mit ihnen nichts anzufangen, empfinden sie als Belastung, lassen sie spüren, dass manche Ungerechtigkeit in Kindheit und Jugend längst nicht vergessen ist. Mit solchen Szenen verbeugt sich Doris Dörrie tief vor dem japanischen Klassiker Yasujiro Ozu, dessen 1953 gedrehtes Werk „Die Reise nach Tokio“ (fd 13 565) den Zerfall familiärer Traditionen eindrucksvoll gespiegelt hatte und dem „Kirschblüten – Hanami“ in einigen inhaltlichen Momenten sehr nahe kommt. Allerdings hätte man sich die Figuren der drei Kinder differenzierter vorstellen können, ihre Reaktionen weniger vorhersehbar, und auch im Spiel von Felix Eitner, Birgit Minichmayr und Maximilian Brückner wirkt manches hölzern und pauschalisiert. Dabei wären stärkere Zwischentöne durchaus möglich gewesen, was besonders jene Szene in Tokio belegt, als Sohn Karl mitbekommt, dass der Vater sein Telefongespräch mit der Schwester mitgehört hat, in dem er davon sprach, wie sehr er durch den Alten genervt ist. Dass Karl am Ende des Films, nach dem Tod Rudis, nichts dazu gelernt hat, wirkt dann eher wie ein agitatorisches Ausrufezeichen der Regie, weniger als logische Konsequenz aus der letzten, doch auch nachdenklichen Begegnung zwischen dem Sohn und einer jungen Japanerin, die Rudi in die Geheimnisse des Butoh-Tanzes eingeführt und ihn auf seiner letzten Reise zum Fujiyama begleitet hatte. Ungeachtet solcher Einwände bleibt „Kirschblüten – Hanami“ ein guter Film, das Beste, was die deutsche Produktion derzeit zu bieten hat. Hannelore Elsner überzeugt mit ihrem warmen, dialektal gefärbten Tonfall und ihrem Mut, weitgehend ungeschminkt vor die Kamera zu treten. Und Elmar Wepper als bayerischer Bürokrat, der alle Grenzen überschreitet, war vielleicht noch nie so grandios wie in dieser Rolle, die mit vollem Recht als die Rolle seines Lebens bezeichnet werden darf.
Kommentar verfassen