„Alas my love, ye do me wrong/ To cast me off discourteously/ And I have loved you so long/ Delighting in your company...“ Die romantischen Verse des Liedes „Greensleeves“ sind längst zum britischen Volksgut avanciert. Angeblich stammen sie von Heinrich VIII., der als „Blaubart“ in die Geschichte eingegangen ist und sechs Ehefrauen verschlissen hat. Adressatin des Liebesliedes soll Anne Boleyn gewesen sein – die in Heinrichs Bett, dann auf dem Thron von England und im Jahr 1536 auf dem Schafott landete. Um die Ehe mit ihr eingehen zu können, hatte sich Heinrich 1533 trotz päpstlichen Verbots von seiner ersten Frau, Katharina von Aragon, scheiden lassen und damit den Bruch zwischen der englischen Kirche und Rom eingeleitet, der 1534 im „Act of Supremacy“ besiegelt wurde und den König zum Oberhaupt der Anglikanischen Kirche machte. Eine spektakuläre Geschichte, die Drehbuchautor Peter Morgan aufgreift und auf eine marginale historische Figur, Annes Schwester Mary Boleyn, fokussiert.
Wie in Morgans Drehbüchern zu „Die Queen“
(fd 37 965) und „Der letzte König von Schottland“
(fd 38 069) geht es auch hier um die Leidenschaften der Mächtigen sowie jene, die um die Macht kreisen wie Motten ums Licht. Nur leider banalisiert Morgan den faszinierenden Stoff und macht daraus eine Art misogynes Melodram, wogegen auch die famosen Hauptdarstellerinnen Natalie Portman und Scarlett Johansson nur mühsam anspielen können. Als bekannt wird, dass es in der königlichen Ehe kriselt, weil die Königin keinen männlichen Thronfolger gebären kann, wird Anne Boleyn von ihrem Onkel und ihrem Vater auf den König angesetzt. Sie soll ihn verführen, um als Mätresse ihrer Familie Vorteile zu verschaffen. Heinrich VIII. jedoch interessiert sich mehr für ihre ehrliche, tugendhafte Schwester Mary, die denn auch, obwohl sie bereits verheiratet ist, von ihrer Familie gegen ihren Willen wie ein Opferlamm an den Hof geschickt wird – und sich nach einer Liebesnacht in den König verliebt. Anne fühlt sich von ihrer Schwester ausgestochen und sinnt eifersüchtig auf Rache. Ihre Chance kommt, als Mary schwanger wird und der König das erotische Interesse an ihr verliert. Mit in Frankreich erlerntem Raffinement macht sich Anne Heinrich gefügig und bringt ihn dazu, sich scheiden zu lassen und sie zur Königin zu machen, während sie Mary und ihr Kind aufs Abstellgleis schickt. Doch dafür zahlt Anne einen hohen Preis, als auch sie nicht den gewünschten männlichen Nachkommen zur Welt bringen kann.
Die eigentlich spannende Figur dieser historischen Tragödie, der monströse, ebenso faszinierende wie abstoßende Machtpolitiker Heinrich VIII., den Charles Dickens nicht ohne Grund als „Blut- und Fettfleck im Buch der englischen Geschichte“ schmähte, der indes mit seiner Politik auch die Basis für Englands Aufstieg zur Weltmacht legte, wird hier zur blassen Nebenfigur degradiert: ein wankelmütiger Mann, der in den Netzen einer „femme fatale“ alle Vernunft fahren lässt und dem auch ein versierter Mime wie Eric Bana kein Format verleihen kann. Die spektakulären politischen Dimensionen seines Handelns spielen denn auch kaum eine Rolle. Im Zentrum stehen die beiden Schwestern – und zumindest Mary ist vom Drehbuch dermaßen übertrieben madonnenhaft-makellos angelegt, dass das Interesse an ihr kaum einen Spielfilm tragen kann, auch wenn sich Scarlett Johansson tapfer schlägt und das eindimensionale Gutmenschentum ihrer Figur erträglich macht, indem sie Mary eine stille Würde und innere Kraft verleiht, wie sie einst etwa Olivia de Havilland zu verkörpern verstand. Natalie Portman hat die spannendere Rolle; und nicht zuletzt an ihr liegt es denn auch, dass der Film immerhin solide unterhält und vor allem gegen Ende an Intensität gewinnt: Wie Anne merkt, dass sie mehr abgebissen hat, als sie schlucken kann, und zwischen Panik, mühsam bewahrter Fassung, wilder Entschlossenheit und Verzweiflung changiert, das zeigt einmal mehr das Niveau der Schauspielerin. Das eigentliche Drama der Boleyn-Mädchen, die entwürdigende Einspannung der weiblichen Körper in Machtinteressen und Intrigen (was ähnlich in den „Elizabeth“-Filmen von Shekhar Kapur, fd 33 398/38 504, eine Rolle spielt) wird zwar nicht unter den Tisch gekehrt, erhält aber durch die Polarisierung der beiden Hauptfiguren eine befremdliche frauenfeindliche Färbung: Während die hingebungsvolle, schicksalsergebene und von jedem Ehrgeiz freie Mary als positive Heldin fungiert, wird Annes Versuch, nicht nur Schachfigur zu sein, sondern aktiv im Spiel der Macht mitzuspielen, als schuldhafte Verfehlung dargestellt. Letztlich hinterlässt der Film den Eindruck, dass hier viele wundervolle Kostüme, großartige Darsteller und nicht zuletzt ein spannendes Sujet „verbraucht“ wurden, ohne das Potenzial der Geschichte auch nur annähernd auszuschöpfen.