Belle toujours

Drama | Frankreich/Portugal 2006 | 70 Minuten

Regie: Manoel de Oliveira

40 Jahre nach Luis Buñuels Filmklassiker "Belle de Jour" greift Manoel de Oliveira die Handlung auf und lässt die Gelegenheitsprostituierte von einst, die ihr großbürgerliches Milieu für einige Stunden hinter sich ließ, auf einen Freund ihres verstorbenen Mannes treffen, der ihr damaliges Doppelleben beobachtete. Der metaphysische Film umkreist das Geheimnis der menschlichen Beziehungen sowie der menschlichen Existenz an sich und stellt die Dichotomie von Eros und Thanatos in den Vordergrund. Die kunstvoll-raffinierte, darstellerisch hervorragende Reflexion zeigt Menschen, die an ihren kranken Gefühlen leiden und sich ihrer vermeintlichen Bestimmung nicht entziehen können. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
BELLE TOUJOURS
Produktionsland
Frankreich/Portugal
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
Filbox/Les Films d'Ici/ICAM//CNC/RTP
Regie
Manoel de Oliveira
Buch
Manoel de Oliveira
Kamera
Sabine Lancelin
Schnitt
Valérie Loiseleux
Darsteller
Michel Piccoli (Henri Husson) · Bulle Ogier (Séverine Serizy) · Léonor Baldaque (junge Prostituierte) · Ricardo Trêpa (Barmann) · Júlia Buisel (ältere Prostituierte)
Länge
70 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
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Diskussion
Manoel de Oliveiras Farce ist eine melancholische, augenzwinkernde Hommage auf Luis Buñuels Klassiker „Belle de Jour – Schöne des Tages“ (fd 15 004). Nach 40 Jahren verspricht Henri Husson der vordem von perversen Obsessionen geplagten Gelegenheitsprostituierten Séverine, ein Geheimnis zu lüften. Sie will erfahren, ob ihr verstorbener, an den Rollstuhl gefesselter Ehemann je von ihrem Doppelleben erfahren hat. Bulle Ogier mit blonder Perücke ersetzt die an diesem Projekt desinteressierte Catherine Deneuve. „Belle toujours“ brilliert als ironisches Kammerspiel, als eine Miniatur, ein Divertimento über die erotische Anziehungskraft und das Mysterium der Frau. Bei einem Dvorak-Konzert in Paris sieht Henri seine alte Bekannte Séverine wieder. Diese aber entzieht sich dem Zusammentreffen. In einem Lokal erfährt der ergraute Libertin vom Barkeeper Benedetto, dass die Gesuchte im Hotel Regina logiert. Dort fragt Henri nach Séverines Zimmernummer, verfehlt die Frau jedoch während der Aufzugfahrt. In der Bar erzählt Henri – er konsumiert erneut doppelte Whiskys ohne Eis – die Geschichte von der Frau seines besten Freundes. Zwei Damen, offensichtlich Prostituierte, hören der Plauderei aufmerksam zu. Nach dem nächsten Misserfolg im Hotel betrachtet Henri die vergoldete Statue Jeanne d’Arcs auf der Place des Pyramides, wobei er sich vom Pferd ernst gemustert fühlt. Beim anschließenden Bar-Besuch erzählt der alte Charmeur von Séverines sexuellen Abenteuern, ihrem Verrat. Er sei damals nur Beobachter gewesen, die Frau habe den Ehemann täuschen wollen. Eines Tages trifft Henri Séverine auf dem Boulevard und überredet sie zum Dinner. Im Separée eines Luxushotels empfängt er sie mit einem Lob auf ihre Schönheit. Wortlos verzehrt man die Vorspeise, beide lächeln sich an. Nach dem Essen schaltet der Gastgeber die Beleuchtung aus, und das Paar redet bei Kerzenlicht miteinander. Für Séverine bleibt die Vergangenheit eine Sünde. Aber sie sei nach dem Tod ihres Mannes eine andere geworden, wolle Nonne werden und ins Kloster gehen. Sexualität betrachtet die Witwe als eine Form von Katharsis. Nun sei sie allein und im Reinen mit ihrer Seele. Für Henri sind die Frauen „das größte Rätsel der Natur“. Beim Öffnen des auf dem Tisch liegenden Geschenks, einem Kästchen, brummt ein Insekt. Séverine durchschaut die Intrige und Lüge, steht angewidert auf und geht. Vor der Tür des Separées stolziert ein Hahn. Henri zündet sich eine Zigarre an und nimmt das Trinkgeld für die Kellner aus der Handtasche, die Séverine vergessen hat. „Belle tourjours“ ist ein Film über das Warten, die Vergänglichkeit, die Veränderung von Erinnerungen und Gefühlen. Henri – standesgemäß verkörpert vom hinreißenden Michel Piccoli – wirkt wie ein unmoralischer Richter, wie ein Priester, der eine Sünderin ertappt hat. Der verschmähte Liebhaber, auf der Suche nach der perfekten Beziehung zum einsamen, dem Alkohol verfallenen Zyniker geworden, entpuppt sich als eitler Gockel. Die Anspielung auf Buñuels „Das Gespenst der Freiheit“ (fd 19 165) ist voll beißender Ironie. Séverine, die Arzt-Ehefrau, wollte ihren Mann mit ihm, dem besten Freund, betrügen – aus „Selbstverteidigung“. Henri, ganz Sadist, quält sie mit dem Wissen um die heimlichen Rendezvous. Ist der Barkeeper für ihn ein Beichtvater-Eersatz, bei dem er Absolution sucht, sein schlechtes Gewissen beruhigend? Die Verbindung von „Vergangenheit und Gegenwart“ (wie ein Film Oliveiras heißt) problematisiert auch die Schwierigkeiten menschlicher Beziehungen. Regiert das Spiel des Lebens der Zufall möglicherweise? Ist der Mensch nur eine Laune der Natur im Kontext der Schöpfung, ausgeliefert dem Reich des Zweifels, der Versuchung? Oliveira skizziert die Dekadenz einer Welt im Todeskampf: eine Atmosphäre, eine Aura der frustrierten Liebe, einen religiös-spirituellen Kosmos, das Rätsel der menschlichen Bestimmung und des göttlichen Geheimnisses. Die Heimlichkeiten des Großbürgertums – bei Buñuel das Bordell, die Wohnung – decouvriert er in öffentlichen Räumen (Konzertsaal, Hotel, Restaurant). Im Gegensatz zum Spanier, dem ausgewiesenen Antikleriker, ist der Portugiese ein Metaphysiker. Bei Oliveira treten das Wort, der Geist, das Geheimnis hinter den Dingen, die Dichotomie von Eros und Thanatos in den Vordergrund. „Das ist das Mysterium der Schöpfung. Das große Geheimnis – Gott? Allah? Wir sind unbedeutend, wir sind Kommentatoren, die sich nach Kräften bewegen, die uns ignorieren. Wir halten uns für frei in unseren Entscheidungen und führen doch nur Befehle aus. Wir sind Vorbestimmte“, erklärt er. Der surrealistische Ton des Films karikiert das Klischee von der Stadt der Liebe, in der die Menschen an ihren kranken Gefühlen leiden. Henri flieht in den Alkohol, Séverine ins Kloster. Alle sind sie Gefangene ihrer selbst, Insassen einer imaginären Anstalt. Die Zwischenschnitte, Panorama-Ansichten von Paris, erzählen von einer versteinerten, leblosen Stadt mit zu Schaufensterpuppen degradierten Menschen, Marionetten und Monumenten. Die Beziehung zwischen den Geschlechtern scheitert am Mysterium der Seele, an der gutbürgerlichen Gesellschaft, gefangen in ihren Konventionen, in der Absurdität des Alltags. Dem Inhalt entspricht die Dramaturgie, die „theaterhafte Fixation“ bei Oliveira: Das Konzert, das Dinner, das Spiel von Licht und Schatten, der Gegensatz von Künstlichkeit und Natur (Kerzen) werden kunstvoll-raffiniert zelebriert.
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