Episoden aus dem Studentenleben einer Berliner Wohngemeinschaft Mitte der 1990er-Jahre. Im Mittelpunkt stehen zwei Freunde, die Musiker werden wollen, aber von unterschiedlichen Karrieren träumen. Während sich dem einen alle Türen öffnen, scheint der andere auf der Stelle zu treten. Richtig kompliziert wird es, als für drei Wochen eine Politikstudentin einzieht. Debütfilm mit hübschen Einfällen und reizvollen Bildideen, der sich an vielen Facetten eines postpubertären "Coming of Age" abarbeitet. Zwar nimmt er es mit historischen und anderen Bezügen nicht so genau, überzeugt aber durch die hervorragenden Darstellerleistungen.
- Ab 14.
Berlin am Meer
Drama | Deutschland 2007 | 98 Minuten
Regie: Wolfgang Eißler
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- AlinFilmprod./Red Cloud Filmprod.
- Regie
- Wolfgang Eißler
- Buch
- Wolfgang Eißler
- Kamera
- Florian Schilling
- Musik
- Moritz Denis · Eike Hosenfeld
- Schnitt
- Anna Kappelmann
- Darsteller
- Robert Stadlober (Tom) · Anna Brüggemann (Mavie) · Axel Schreiber (Malte) · Jana Pallaske (Margrete) · Claudius Franz (Mitsch)
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Davon hat schon Kurt Tucholsky geträumt: die Hipness Berlins mit der Idylle Hiddensees zu verbinden; in Gestalt einer Wohnung in der Friedrichstraße, vor deren Fenster das Leben pulsiert, während im Hinterhof die Dünen der Ostsee beginnen. Schenkt man dem ersten langen Spielfilm von Wolfgang Eißler Glauben, dann war diese Vision Mitte der 1990er-Jahre zum Greifen nahe, zumindest im studentischen Milieu an der Spree, wo das Leben aus lauter lauen Sommerabenden zu bestehen schien, einer nicht endenden Folge von Partys, Musik und (Liebes-)Abenteuern. Das gilt jedenfalls für Typen wie Malte, der mit seinem besten Freund Tom als DJ in den Berliner Clubs auflegt, jede Frau abschleppt, auf die sein Auge fällt, und außerdem recht erfolgreich an seiner Karriere als angehender Pop-Musiker bastelt. Skrupel oder moralische Bedenken kennt der charmante Aufschneider kaum, wie er sich generell stets mehrere Optionen offen hält, ohne dass ihm jemand böse wäre. Tom hingegen ist aus drögerem Holz geschnitzt. Ihm fällt nichts in den Schoß, aber wo es lang gehen soll, weiß er deshalb noch lange nicht. Seine sehnlichsten Wünsche, etwa das Studium der Komposition an einer Musikhochschule, trägt er in seinem Inneren wie einen Altar vor sich her, ohne ihnen auch nur einen Schritt näher zu kommen; und auch bei den Frauen ist er alles andere als ein Gewinner. Das könnte sich ändern, als Mavie, die Schwester seines Mitbewohners Mitch, für drei Wochen in ihre WG einzieht. Tom verliebt sich auf Anhieb und hätte bei der zielstrebigen Politikstudentin aus München auch durchaus Chancen; doch immer, wenn er sich ihr offenbaren will, kommt etwas dazwischen, und sei es auch nur Malte, der mit Mavie prompt im Bett landet. Als der Freund dann auch noch den begehrten Platz an der Musikhochschule ergattert, das Studium aber gar nicht antreten will, weil er gerade seinen ersten Plattenvertrag unterschrieben hat, stürzt Toms Welt wie ein Kartenhaus in sich zusammen: Für ihn ist es offenbar an der Zeit, der Spaßfraktion und ihrer Berliner Enklave den Rücken zu kehren – falls solches überhaupt möglich ist. Denn in Wahrheit liegt Berlin nicht am, sondern mitten im Meer, wie der durchtriebene Abspann insinuiert: Ein vom Rest der Welt gänzlich losgelöstes Eiland, dessen cooler Mix aus preußischem Design und italienischer Lebensart anscheinend auch die extremen Folgen der Klimakatastrophe übersteht.
Nicht nur der verklärende Schluss legt es nahe, den vitalen, an Einfällen und schönen Bildideen reichen Debütfilm keineswegs als Auseinandersetzung mit den Stimmungen und Trends am Vorabend von Schröders „Neuer Mitte“-Ära zu verkennen. Schon in den ersten Szenen signalisiert die als Rückblende erzählte Romanze, dass man historische und andere Bezüge nicht auf die Goldwaage legen sollte; so posiert Tom etwa zu den Klängen der „La Wally“-Arie aus „Diva“ (fd 23 908) vor dem Spiegel, ohne dass die Beineix-Anleihe mehr als dekorative Bedeutung hätte; bei einem alten italienischen Liebesfilm, der als Running Gag die Handlung ins Imaginäre weitet, wurde vorsorglich ganz auf eine Referenz verzichtet und die schwarzweißen Szenen selbst gedreht; am Unbedarftesten erscheint allerdings der neue Berliner Hauptbahnhof als Setting fürs Finale; existierte das Bauwerk während der Handlungszeit doch höchstens als Baustelle. Es geht also einiges durcheinander oder lässt sich bestenfalls und mit viel Wohlwollen als ironische Verschränkung interpretieren, etwa in dem Sinne, dass die Generation Golf auf die neue Zielstrebigkeit trifft. Ein plakatives, auch provokatives Unterfangen, aus dem freilich keine Funken geschlagen werden, weil die Inszenierung vollauf damit beschäftigt ist, das grobe Patchwork in eine luftige Episoden-Revue zu verwandeln, bei der pointierte Einfälle allemal mehr zählen als eine stringente Dramaturgie. Unterlegt mit trendiger Szene-Musik, lässt sich die Handlung ähnlich entspannt wie ihre Protagonisten durchs Berliner Stadt- und Studentenleben treiben, obwohl das avisierte Ende von Mavies Praktikum eine finale Steigerung nahe legen würde. Da Tom und Malte aber Teil einer unternehmungsfreudigen Clique sind, hat das Drehbuch auch die Nebenfiguren mit kleinen farbigen Einfällen bedacht, von denen am Ende manche wohl dem Schnitt zum Opfer fielen, was die ein oder andere Asymetrie erklären mag. Auch darin ist „Berlin am Meer“ ein typischer Erstlingsfilms, dessen Unebenheiten und Schwächen offen zutage liegen, der aber nichtsdestotrotz durch sein Powerplay für sich einnimmt. Das gilt auch für die junge Garde der Nachwuchsstars, allen voran Robert Stadlober, der in der Rolle des orientierungslosen Tom zu einer sehr differenzierten Darstellung findet, sowie Axel Schreiber, der als Falco-Verschnitt durch seine Unverfrorenheit punktet. Bemerkenswert ist vor allem auch die HD-Kamera von Florian Schilling, der die neue Freiheit des filmischen Apparates für Experimente nutzt, etwa für eine im Zeitraffer wiedergegebene Umrundung der Mitte Berlins in der S-Bahn. Was zunächst wie eine bloße Spielerei erscheint, entwickelt aus der Perspektive der „Insel“ vom Ende her fast mythische Textur.
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