Das Münchner Schickeria-Pärchen ist begeistert: Der Berlin-Trip hat sich schon jetzt gelohnt, denn eine Spreefahrt mit einiger Distanz zu den „Eingeborenen“ hat den Reiz einer gefahrlosen Safari. Mulmig wird den Hauptstadttouristen allerdings, wenn die alkoholisierten Hartz-IV-Empfänger nicht am Ufer bleiben, sondern den Dampfer stürmen. „Hier ist Feindesland!“, brüllt ein unbefugt an Bord gelangter Wilder namens Peter, zeigt dem bajuwarischen Eindringling die Krallen und ruiniert das teure Freizeitkleid der Begleiterin mit seinem Mageninhalt. Indes bekommt in Oliver Rihs’ zweiter Regiearbeit auch das vielfältig über die Stränge schlagende, munter-exzentrische, wenig zielstrebige Völkchen dieser (Film–)Metropole sein Fett weg. Und darum geht es in „Schwarze Schafe“ eigentlich: Wie sich ein Haufen Städter zwischen 20 und 45 über Wasser hält, den üblichen Träumen von Liebe, Freiheit, Sex und Geld hinterhertrottet und manchmal ordentlich draufzahlt.
Da ist Charlotte, die als Spreedampfer-Guide tapfer ihr Brot verdient, bis ihr sturzbetrunkener Freund Peter die Passagiere anpöbelt. Und Boris, Ex-Handmodell für Armbanduhrenwerbung, der nach dem High-Society-Leben mit einer feschen Mode-Redakteurin giert und sich für eine kräftige Versicherungssumme sprichwörtlich die Hand abhacken lassen würde. Die gewaltig pubertierenden Ali, Birol und Halil suchen vergeblich ein Ventil für ihre sexuelle Energie im berüchtigten Kit-Kat-Club und auf einer Drogenparty im Berliner Umland. Fred und Arnold wiederum, zwei Satanisten, benötigen ein Opfer für die ultimative schwarze Messe und finden es ausgerechnet in Arnolds Oma, die im Koma liegt. Diese wohl provokativste Erzählstation gipfelt in einer gewagten Inzest-Szene auf dem improvisierten Opferaltar, die allerdings ein (aus satanischer Perspektive) ungewolltes Ergebnis zeitigt: Die Oma wird vom Enkel aus dem komatösen Dornröschenschlaf geweckt.
Wenn man dem Schweizer Oliver Rihs („Brombeerchen“, 2001) und seinen fünf Mitautoren unterstellt, dass sie eine Art „Pulp Fiction“-Menü zwischen Moabit und Müggelsee anrichten wollten, haben sie dieses mutmaßliche Ziel nur einmal, nämlich bei den Teufelsanbetern, erreicht. Andere Episoden kranken streckenweise an inhaltlicher Schlaffheit; mal mangelt es ihnen an Glaubwürdigkeit, mal an Notwendigkeit, wie etwa bei der Geschichte von zwei Jungs, die sich über ihre revolutionären Ziele streiten, dann gemeinsam einen Umzugsjob antreten und dabei ein zerstrittenes homosexuelles Paar wieder zusammenbringen. Schwule, häufige Wohnungswechsel, halbherziges Revoluzzertum – in diesen Szenen wird eher ein Berlin-spezifisches Pflicht- und Klischeeprogramm abgehakt, statt dass ein schlüssiger Erzählstrang geknüpft würde. Obwohl man auf die Quirligkeit von Robert Stadlober und Tom Schilling ungern verzichten möchte. Mehr Drehbuch-Biss wäre der für einen Low-Budget-Film erstaunlich prominent besetzten Schauspielerriege ohnehin zugute gekommen. So oder so gelingt indes Bruno Cathomas ein eindringlicher Auftritt als Boris’ gutmütig-zaghafter Kumpel Roger, der im Affekt dann doch das Hackebeilchen schwingt, wie es dem Wunsch des Versicherungsbetrügers entspricht. Oktay Özdemir, der in Züli Aladags „Wut“ (2005) und in Detlev Bucks „Knallhart“
(fd 37 503) brillierte, gibt diesmal eine sympathische Lightversion des Krawall-Kanaken, der ziemlich viel einstecken muss und mit zwei blauen Augen davonkommt. Und auch Milan Peschels die Wodkaflasche schwingender Peter gehört zu den darstellerischen Glanzlichtern des Films.
Die für Berlin typische Schnoddrigkeit verdankt sich wahrscheinlich der Tatsache, dass die meisten Darsteller wirklich vor Ort leben und einige davon aus Frank Castorfs Ensemble der Volksbühne stammen. Auch gefällt an dem in Schwarzweiß mit wenigen Farb-Akzenten gedrehten Film (sehr gute Hand-Kameraarbeit von Olivier Kolb), dass hier ein ausgewogenes Bild des urbanen Raums zwischen hektischer Großstadtkakophonie und Momenten meditativer Stille entworfen wird. In einem Finale, das die Episoden überzeugend miteinander verschränkt, finden die Protagonisten schließlich, was sie eigentlich gar nicht gesucht haben und was ihnen insgeheim wohl doch die ganze Zeit vorschwebte: die Ruhe nach den Alltagsstürmen. Am Schluss liegen die abgehackten Finger säuberlich in einer Frischhaltetüte, ist die Spree warm genug für ein Bad zu zweit, der Melissentee in der Wohnküche so sonnenklar, wie die Zukunft es nie sein wird. Das Türkentrio schließlich erwacht aus dem Drogenrausch und findet sich auf einem Floß wieder, das auf dem lauschigen Müggelsee zwischen Frühnebelschwaden dahintreibt – ein fellinesker Ausklang in der Tradition von „La Dolce Vita“ (fd 4488)“. „Natur is’ immer da“, pfeift Birol durch die Zahnlücken und fügt begeistert hinzu: „Ist das nicht geil, Jungs?“ Und für einen Moment hat er glatt den Stress, den Sex und die Kohle vergessen.