Das koloniale Missverständnis

Dokumentarfilm | Kamerun/Frankreich/Deutschland 2005 | 78 Minuten

Regie: Jean-Marie Téno

Auf den Spuren der Rheinischen Missionsgesellschaft, die ab 1830 im heutigen Namibia tätig war, analysiert der Dokumentarfilm den ideologisch-religiösen Überbau der deutschen Kolonialisierung und Missionierung der Region. Eindrucksvolle "Relecture" wichtiger Stationen der Kolonialgeschichte von "Deutsch-Südwest", die auf die Frage nach einer afrikanischen Identität jenseits ihrer europäischen Sklerose zielt. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LE MALENTENDU COLONIAL | THE COLONIAL MISUNDERSTANDING
Produktionsland
Kamerun/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
Les Films du Raphia/Bärbel Mauch Film
Regie
Jean-Marie Téno
Buch
Jean-Marie Téno
Kamera
Dieter Stürmer · Jean-Marie Téno
Schnitt
Christiane Badgley
Länge
78 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Die Geschichte des deutschen Kolonialreichs dauerte nur 30 Jahre, zählt aber zu den folgenreichsten Kapiteln des Kolonialismus, weil im Krieg gegen die Hereros die Instrumente der NS-Vernichtungspolitik entwickelt wurden: Konzentrationslager, Zwangsarbeit, der rassistisch motivierte Genozid. Die Truppen von General Lothar von Trotha brauchten 1904 nur einige Monate, um den Großteil der Hereros auszurotten, was weniger ihrer militärischen Überlegenheit als vielmehr einer barbarischen Weltanschauung geschuldet war: Die Bewohner von „Deutsch-Südwest“ galten bestenfalls als Menschen zweiter Klasse, die erst durch Zucht und Arbeit an die Zivilisation heran geführt werden sollten. An vorderster Front dieser „Kulturmission“ agierten christliche Missionare, die den Kolonisatoren nicht nur zeitlich, sondern auch ideologisch oft den Weg ebneten. Diesen ideologisch-religiösen Überbau unterwirft der aus Kamerun stammende Regisseur Jean-Marie Teno am Beispiel der einflussreichen Rheinischen Missionsgesellschaft einer kritischen Analyse. Die 1799 in Wupperta-Elberfeld gegründete Vereinigung wurzelte in der evangelischen Erweckungsbewegung und war ab 1830 in Namibia tätig. Die Missionare bemühten sich zwar, die Sprache der Hereros, Namas oder Ovambos, zu erlernen; für die religiösen Traditionen und Kulturen der Einheimischen entwickelten sie aber kein Verständnis, sondern stülpten den Afrikanern das Christentum pietistisch-deutscher Provenienz – und damit alle ihre anderen Wertvorstellungen – über. Die Folgen dieses „weißen“ Zivilisationsmodells waren für die meisten Hereros tödlich; die Überlebenden schickten sich in ihr Los, einer bevormundeten Unterklasse anzugehören. Erst als einer der Missionare, Heinrich Vedder, 1950 als Minister in den Dienst des südafrikanischen Apartheits- Regimes trat, regte sich offener Widerstand. Es kam zur Gründung der evangelisch-lutherischen Kirche, die im Kampf gegen Apartheit und Rassismus eine eigenständige Form namibischen Christentums entwickelte. Der Perspektivenwechsel, wie er sich exemplarisch in Gestalt des schwarzen Bischofs Zephania Kameela vollzog, bildet das inhaltliche Schanier der unterschiedlichen Diskurse und Themen, die Teno nur lose ineinander webt. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Entdeckung, dass nicht der Engländer Alfred Saker, sondern der schwarze Missionar Joseph Merrick, ein ehemaliger Sklave, die erste Kirche in Tenos Heimatland Kamerun gegründet hat. Ein früher Versuch der Inkulturation des Christentums in die Lebens- und Vorstellungswelt der Afrikaner, der gegen das „Evangeliums der Knechtschaft, wie es etwa Friedrich Fabri, der Direktor der Rheinischen Mission, 1879 in seiner Agitationsschrift „Bedarf Deutschland der Kolonien?“ propagierte, jedoch keine Chance hatte. Die Stationen der namibisch- deutschen Kolonialgeschichte sind jedoch nur das Material für Tenos Frage nach einer afrikanischen Identität, die ihre „europäische Sklerose“ endlich abgeschüttelt hat . Der Weg in die Archive, den der Film beschreitet, vermag in seiner kritischen „Relecture“ zwar Zusammenhänge neu zu bewerten und auch überraschende Erkenntnisse zu Tage zu fördern; konstruktive Antworten für ein postkolonialistisches Selbstverständnis sind damit aber noch nicht gefunden. Wohl auch aus diesem Grund greift Teno bisweilen zum melancholisch gefärbten Stilmittel des ironischen Off-Kommentars, um allzu selbstsichere Gutmenschen in ihre Grenzen zu weisen und Vorurteile aufzuspießen. So ist „Das koloniale Missverständnis“ nicht nur ein Film über das Verhältnis von Christentum und Kolonialismus, sondern vor allem eine für Europäer gedachte Zwischenbilanz auf dem langen Weg zum „Afrika der Afrikaner“.
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