Biografische Anmerkungen zu Rio Reiser, dem Sänger der Agit-Rock-Band "Ton, Steine, Scherben", der am 20. August 1996 im Alter von 46 Jahren starb. Ohne deren Musik und die obligatorischen Aufzeichnungen von Auftritten wird ein Porträt angestrebt, das über Reiser hinausweist und, eingebettet in einen politisch linken Hintergrund, ein Stück deutscher Pop- und Kulturgeschichte auffächert. Ein spröder, gleichwohl interessanter Film, der jüngste deutsche Vergangenheit durch Interviews mit Weggefährten vergegenwärtigt.
- Ab 16.
Für immer und dich - Ein Abend in Erinnerung an Rio Reiser
Dokumentarfilm | Deutschland 2006 | 80 Minuten
Regie: Elser Maxwell
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Salzgeber & Co. Medien
- Regie
- Elser Maxwell
- Buch
- Elser Maxwell
- Kamera
- Thomas Malz · Olaf Merker · Egon Bunne
- Schnitt
- Thomas Malz
- Länge
- 80 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Auf den ersten Blick – und auch beim zweiten Hinhören – erscheint es befremdlich: eine Erinnerung an Rio Reiser, den am 20. August 1996 verstorbenen Frontmann der legendären Berliner Rock-Band Ton, Steine, Scherben, die in ihren Anfangsjahren um 1970 aus ihren Sympathien fürs politisch äußerst linke Spektrum keinen Hehl machte, ohne eine einzige Note von Ton, Steine, Scherben! Letztlich aber gereicht dieser Ansatz Elser Maxwells Kompilation zur Ehre. Hier wird kein Musik-Mythos beschworen, auch wenn die Interview-Partner einer Mythologie-Bildung mitunter nicht abgeneigt scheinen, sondern ein Stück Pop-, Kultur- und Alternativ-Geschichte der jüngsten deutschen Vergangenheit vergegenwärtigt. Es geht eben nicht um Songs wie „Keine Macht für niemand“ oder „Macht kaputt, was euch kaputt macht“, sondern um das gefühlte sowie das gelebte Leben, das hinter solchen Zeilen stand. Während die Rolling Stones zu jener Zeit noch heftig mit dem Teufel sympathisierten, meinten die „Scherben“ es schon ernst, wenn sie zu Hausbesetzungen aufriefen, Gewalt gegen Sachen propagierten und am Rand einer linken Szene agierten, deren Gewaltbereitschaft immer deutlichere Konturen annahm und die einer massiven staatlichen Gegengewalt das Wort redete.
Heute distanzieren sich die „Scherben“-Mitglieder von vielen ihrer damaligen Positionen, schütteln den Kopf angesichts der weitgehend unreflektierten Nähe zur RAF (Rote Armee Fraktion), deren unbewaffnete Aktionen zunächst unterstützt wurden, sowie zu „Bommi“ Baumann, dessen Anleitung zum Bombenbasteln und bewaffneten Widerstand lange Zeit auf dem Index stand und doch für jeden einschlägig Interessierten beschaffbar war. Maxwells Dokumentarfilm ist eher spröde und nicht immer leicht zu dekodieren, weil den vielen Interview-Partnern kein namentliches Insert zugewiesen wird, sodass man sich in der bundesdeutschen Underground-Pop-Geschichte der 1970er-Jahre wahrlich gut auskennen muss; zugleich zeichnet er aber durchaus auch ein Stück Kulturgeschichte nach. Er beschreibt den Aufstieg einer Lehrlingstheatertruppe zur angesagten Band, die Probleme des Sängers Ralph Möbius, der sich erst ab 1978 Rio Reiser nennt, angesichts der homophoben linken Szene, die Versuche, „Schritt für Schritt ins Paradies“ zu finden, mit einer Zwischenstation im Berliner Rauch-Haus und der Endstation im nordfriesischen Fresenhagen. Finanzielle Probleme werden angesprochen; der anfängliche Stolz, Pop-Stars ohne Star-Gagen zu sein, Streitereien um Konzerte, bei denen es um 1.200 Mark für einen Abend geht (nicht nur für Reiser, sondern für alle zwölf angereisten Band-Mitglieder zusammen), und wie das Feuer bei der „Freiwilligen Feuerwehr im linken Veranstaltungsbetrieb“ so langsam erlischt. Am Ende wird das Paradies in Fresenhagen nur noch von vier „Scherben“-Trümmern bewohnt; wenn Reiser nicht gerade Geld auftreibt, perfektionieren andere ihre Fähigkeiten in Sachen Mundraub.
„Ein Abend in Erinnerung an Rio Reiser“ also, zugleich ein desillusionierender Blick auf eine die deutsche Pop-Gegenwart immer noch prägende Band, die auch mit dem Namen Claudia Roth verbunden ist, der jetzigen Grünen-Vorsitzenden, die als Tour-Managerin der „Scherben“ tätig war. Ein Blick natürlich auch auf den ebenso scheuen wie charismatischen Rio Reiser, der im Alter von 46 Jahren starb, wohl weil er von allem ein bisschen zu viel hatte und sich doch nie ins Paradies singen, lieben, rauchen und trinken konnte.
Der beeindruckende Film widersetzt sich konsequent allen Fan-Erwartungen, wobei zwei lange, ermüdende Lesungen aus den „offiziellen“ Biografien, Kai Sichtermann im Campingstuhl auf der Wiese („Keine Macht für niemanden“) und Hollow Skai auf dem Dach eines Hauses („Die inoffizielle Biografie des Königs von Deutschland“), mit ihren Redundanzen doch arg strapazieren, auch wenn sie offensichtlich zum filmischen Konzept gehören.
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