Porträt des ruhelosen Künstlers, Entertainers und Witze-Erzählers Martin Kippenberger (1953-1997), der zu einer Art Pop-Star und Kunstclown aufstieg, durch sein nomadisches Leben mit Alkohol und Drogen jedoch seine Gesundheit ruinierte. In dem anekdotisch aufgefächerten Film kommen Freunde, Verwandte und Gefährten des Künstlers zu Wort. Da er aber eine grundsätzliche Distanz zu seinem Protagonisten spüren lässt, erschließen sich Leben und Charakter Kippenbergers nur bedingt.
Kippenberger - Der Film
Dokumentarfilm | Deutschland 2005 | 75 Minuten
Regie: Jörg Kobel
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Barbarossafilm
- Regie
- Jörg Kobel
- Buch
- Jörg Kobel
- Kamera
- Ralf M. Mendle · Vita Spiess
- Musik
- René Dohmen · Joachim Dürbeck
- Länge
- 75 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
„Dialog mit der Jugend“, „Gitarren die nicht Gudrun heißen“, „Durch die Pubertät zum Erfolg“, „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“, „Schwarz-Brot-Gold“ – das sind Titel einschlägiger Arbeiten von Martin Kippenberger. Über den ruhelosen Künstler, Entertainer und Witze-Erzähler (1953–97) kursieren so viele lustige oder boshafte Anekdoten, dass eine kurzweilige Dokumentation über Leben und Werk ein Leichtes gewesen wäre. Wer in den vergangenen Jahren eine der zahlreichen Kippenberger-Ausstellungen in Karlsruhe, Tübingen oder London besucht hat, konnte problemlos Zeuge werden, wie bestimmte Einfälle Kippenbergers noch heute Besuchern explosionsartig ein Lachen ins Gesicht zauberten. Doch Jörg Kobels Film mit dem Untertitel „Dieses Leben kann nicht die Ausrede für das nächste sein“ gibt sich mit der Verdopplung von Entertainment nicht zufrieden, sondern bemüht sich, mit unterschiedlichem Erfolg, um ein differenzierteres Bild der Kunst hinter dem überlebensgroßen Künstler, dessen Dominanz den Blick auf das Werk häufig verstellt habe.
Im Frühjahr 1977, nach einem „Vierteljahrhundert Kippenberger“, beschloss dieser, dass er nunmehr als Maler seinen Zenith überschritten habe, wurde stattdessen Mitgeschäftsführer des legendären Kreuzberger Szene-Treffpunkts „S.O.36“ und gründete „Kippenbergers Büro“. In der seinerzeit neuen Bewegung der „Genialen Dilettanten“ fiel Kippenberger zunächst durch Aktionen auf, die darauf zielten, die unterschiedlichen Szenen West-Berlins in personelle und kommunikative Zusammenhänge zu bringen. Kunst und Leben fielen – alter Traum der Avantgarden – beinahe in eins: Im Juni 1980 wurde Kippenberger anlässlich der Aktion „Die letzte Nacht im S.O.36“ von Punks krankenhausreif geprügelt, woraus der bandagierte Künstler dann seinerseits die Bildfolge „Dialog mit der Jugend“ entwickelte.
Anekdotisch, gewissermaßen mit amüsiertem Lächeln erzählt Kobels Film aus jener Zeit, bietet dem (am besten bereits einigermaßen informierten) Zuschauer vielfältige Interviews mit Freunden wie der Galeristin Gisela Capitain, den Künstlerkollegen Werner Büttner oder Albert Oehlen, dem Besitzer der „Paris Bar“ Michel Würthle, dem „Pop-Theoretiker“ Diedrich Diederichsen, der Mäzenen-Familie Grässlin im Schwarzwald, den Schwestern und vielen anderen. Er hat zudem einige dokumentarische Filmschnipsel aus den Archiven geborgen und folgt der Biografie des „Wirbelwinds“ Kippenberger chronologisch. Wie dessen Assistent Ulrich Strothjohann einmal über die Kölner Jahre sagt: Das soziale Leben Kippenbergers diente stets der Produktion von Kunst. Diederichsen bringt es auf den Punkt: Um 1980 ging es (auch) dem Konzeptualisten Kippenberger darum, ganz andere Öffentlichkeiten als die kleine, abgeschlossene Kunstszene zu erreichen. „Nichts ist sicher vor des Künstlers makaber zersetzendem Witz“, weiß ein Fernseh-Feature aus dem Jahr 1986 angesichts der Skulptur „Familie Hunger“ mit ihren schwarzen Löchern in Bauchhöhe zu berichten und verrät damit ein Erfolgsgeheimnis Kippenbergers. Sein erstaunlicher Sinn für die böse Pointe und auch die stupende Unterhaltsamkeit der vielschichtigen Aktionen machten ihn, der sich durchaus reflektiert in der Tradition von Andy Warhol und Joseph Beuys bewegte, selbst zu einer Art Pop-Star, der als augenzwinkernder Kunstclown eine größere Öffentlichkeit erreichte. Wiederholt kam es dazu, dass Kippenberger seine Arbeit als „Lebensmittel“ einsetzte, indem er Tauschgeschäfte einging und seine Bilder gegen lebenslange Nutzung von Hotelzimmern oder lebenslange Bewirtung tauschte.
Der Preis, den Kippenberger für sein nomadisches Leben im Zeichen permanenter Kunstproduktion zahlte, war hoch. Recht spät im Film wird von Kasper König eine Grundeinsamkeit Kippenbergers angesprochen, werden frühkindliche Verletzungen thematisiert, kommen auch die Sexismen, Chauvi-Allüren und Skrupellosigkeiten zur Sprache, in die die forcierte politische Unkorrektheit münden konnte. Systematisch ruinierte Kippenberger seine Gesundheit mit Drogen und Alkohol, trank jedoch gegen den Rat der Ärzte weiter, weil er, wie er gegenüber seiner Schwester einräumte, ohne Alkohol die Menschen nicht ertragen könne. So sammelt Kobel kommentarlos Stimmen zu Kippenberger, und teilweise sind diese Stimmen so kontrovers, dass sie einander offen widersprechen. Dabei scheint der Filmemacher nicht den Ehrgeiz entwickelt zu haben, eine grundsätzliche Distanz zum Objekt seiner Spurensuche zu überwinden; und so gerät das Bild Kippenbergers, das der Film entwirft, widersprüchlich und irritierend oberflächlich. Der Künstler wird zu einer Projektionsfläche von Erinnerungen, bleibt auch posthum ein Rätsel. Mitunter bekommt man den Eindruck, dass einige der Interviewten erst jetzt merken, wie wenig sie sich im Rausch der Events für den Martin hinter „Kippenberger“ interessiert haben. Es bleibt Kasper König vorbehalten, einigermaßen überraschend anzudeuten, dass ein Reduzieren Kippenbergers aufs Anekdotische, das die Fan-Entourage pflegt, nicht verfängt. Kobel hat diesen Hinweis aufgezeichnet, verzichtete aber darauf, ihm systematisch nachzugehen. Insofern gilt: Nach dem, was man über Kippenberger erfährt, dürfte der Künstler mit dem Film ausgesprochen zufrieden gewesen sein. Oder, um Kippenberger selbst zu Wort kommen zu lassen: „Nie mehr murren, niemals klagen, einfach dumm stellen, denn Fragen schaden.“
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