Man kann Lars von Trier vieles nachsagen, aber sicher nicht, dass er selige Erinnerungen bei seinen Hauptdarstellerinnen hinterlassen würde. Keine wollte es zweimal mit ihm aushalten, und so trägt Bryce Dallas Howard jetzt die Kleider auf, die in „Dogville“
(fd 36 175) noch Nicole Kidman schmückten. Dies ist nicht der einzige Verfremdungseffekt in einem Fortsetzungsfilm, der Brechts episches Theater mit der „Geschichte der O“ zu einem Pamphlet über die Rassenunterdrückung in der amerikanischen Demokratie verbindet. Wie ernst es von Trier dabei mit seiner Grundsatzkritik tatsächlich ist, war schon beim ersten Teil der „Amerika“-Trilogie ein viel bestauntes Rätsel; denn um so etwas wie zeitgemäßes Erzählen ist es dem legitimen Erben Carl Theodor Dreyers nie gegangen. Zieht man die Ironie aus seinen Filmen ab, bleibt von ihnen nur die immer gleiche Fabel von der sich opfernden Unschuld. Seit „Breaking the Waves“
(fd 32 145) weiß man, dass auch sie lediglich ein Vorwand ist, um das Kino an seine Grenzen zu führen. Von Trier glaubt nicht an Stoffe, er glaubt nicht einmal an seine auch diesmal wieder großartigen Schauspieler. Er misshandelt die klassischen Vorstellungen davon, wie ein Film auszusehen hat, weil er auf eine paradoxe Weise der Kraft der Bilder vertraut. „Wie weit kann ich das Kino biegen, bis es bricht?“, scheint sich von Trier zu fragen, um mit der Erleichterung eines Kindes festzustellen, dass sein Lieblingsspielzeug allen Belastungsproben standhält.
Die Gangstertochter Grace hat es diesmal an die Tore einer Baumwollplantage verschlagen, in der die Zeit stehen geblieben scheint. Obwohl man sich im Jahr 1933 befindet, herrscht hinter den Mauern von „Manderlay“ noch immer das Gesetz der Sklaverei. Die weiße Herrenfamilie gebietet mit der Peitsche über ein Dutzend Leibeigene, die es nicht anders kennen und sich auch gar nichts anderes vorstellen können. Wer „Dogville“ gesehen hat, ahnt, dass Grace dem schreienden Unrecht nicht einfach seinen Lauf lässt. Sie trotzt ihrem Vater einen Teil seiner Bande ab und entlässt die Sklaven unter ihrer Aufsicht in die Freiheit. Da diese damit nicht viel anzufangen wissen, übernimmt sie bald den Vorsitz im von ihr geschaffenen Erziehungslager. Doch wie bringt man jemandem die Vorzüge der Freiheit bei? Mit sanfter Autorität, unendlicher Geduld und dem erklärten Willen, ihn selbst über die Uhrzeit abstimmen zu lassen. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der hohnlachende Schöpfergott Lars von Trier diesmal den sexuellen Empfindungen seiner Heldin. Die schleicht mit weichen Knien um das Badehaus der männlichen Arbeiter herum und befürchtet nicht ohne Grund, dass die Lust ihre edlen Absichten kompromittieren könnte. Und siehe da: als die Natur obsiegt und Grace sich nach langem Sträuben endlich der gemischtrassigen Liebe hingibt, bricht von ihr unbemerkt die Hölle los, und Mord und Totschlag greifen unter den ehemaligen Sklaven um sich. Das ist die Bürde der weißen Frau: Sie unterwirft sich, wo sie dominieren sollte. Wie „Dogville“ ist „Manderlay“ eine ästhetische Entrümpelung. Erneut hat von Trier das Dekor mit Kreidestrichen auf den nackten Fußboden gemalt und sein Ensemble in einer mit Requisiten spärlich bestückten Lagerhalle kaserniert. Es gibt keine Wände, das nach allen Seiten hin offene Herrenhaus steht zweistöckig frei im Raum, und auch der Grenzzaun von „Manderlay“ macht seinem Namen keine Ehre. Schon immer haben die Anti-Illusionisten unter den Filmemachern versucht, die Uhr zurückzudrehen und das Kino wieder in seine Einzelteile zu zerlegen: aus den Filmbildern wieder Malerei werden zu lassen, aus den Dialogen wieder Literatur und aus dem Kino wieder einen Theatersaal. Einer der größten Magier der Entzauberung, vielleicht der größte nach Jean-Luc Godard, ist Lars von Trier. Während Godard in seinen späten Filmen die Malerei als Matrize seiner Bilder kenntlich machte, betreibt von Trier seit seinem „Dogma“-Manifest die Dekonstruktion des Kinos aus dem Geiste des Theaters. Auch „Manderlay“ ist erfüllt von dieser geradezu zwanghaften Experimentierlust, die in ihrer Konsequenz etwas Faszinierendes hat; eine Faszination allerdings, die sich im Fortgang der „Amerika“-Trilogie immer stärker abzunutzen scheint. Was an „Dogville“ noch aufregend war, ist diesmal schon Gewohnheit, und die Geschichte wirkt gerade in ihrer berechneten Frivolität ermüdend. Dass Graces Aufklärung alsbald in Totalitarismus umschlägt und an der Korrumpierbarkeit der Menschen zu Grunde geht, ist so sicher wie das Amen in der Kirche und bringt nichts Neues in die Passion der Grace – auch wenn die Schlusspointe schon beinahe Shyamalansche Dimensionen hat. Vom allwissenden Erzähler wird ihre abermalige Wandlung vom Unschulds- zum Racheengel mit allen Mitteln der Ironie vorweggenommen. „Nur wenig kann ich geben“, steht als Warnung vor zuviel Weltverbesserungsfuror auf dem Portal von „Manderlay“. Entsprechend gründlich wird das Scheitern der liberalen Utopie an der Protagonistin vorgeführt – sexuelle Niederlagen inklusive.