Die Geschichte, die Lars von Trier erzählt, könnte direkt aus einem Groschenheft stammen, so einfach ist sie gebaut und so sehr ist sie getragen vom Gefühlsleben der Protagonisten. Doch gerade dadurch gewinnt der Regisseur viel Spielraum, um in allen Facetten und ganzem Ausmaß die Gefühle darstellen zu können, die das Leben seiner Figuren prägen. Dank der Loslösung von den Zwängen einer dicht gedrängten Handlung wird der Blick frei auf das Thema des Films: den uneingeschränkten Glauben an das Gute, an die Liebe und an Gott - und wie dieser Glaube ins Verderben führen kann.Der Schauplatz ist ein entlegenes Dorf an der nordschottischen Küste. Bess, eine junge, unerfahrene Frau, heiratet den einige Jahre älteren Jan, der auf einer Bohrinsel arbeitet. Ihr Glück scheint vollkommen, wird aber im Dorf mit Skepsis betrachtet, weil Bess als geistig labil gilt. Als Jan für einige Monate auf die Bohrinsel muß, ist Bess verzweifelt. Einmal mehr setzt sie sich allein in die Kirche und hält einen Dialog mit Gott - indem sie ihn selbst spricht, mit verstellter Stimme und im Duktus eines strengen Kirchenvaters. Sie fleht um Jans Rückkehr. Als er kurz darauf tatsächlich heimkehrt, allerdings durch einem Unfall schwer verletzt, gibt sie sich die Schuld daran: Ihr Egoismus habe ihm das eingehandelt, glaubt sie. Jan wiederum, der wahrscheinlich gelähmt bleibt, will nicht, daß Bess auf körperliche Liebe verzichtet und bittet sie, sich einen Liebhaber zu nehmen; sie könne sein Leben i retten, wenn sie ihm anschließend davon erzähle, läßt er sie glauben. Nach einiger Überwindung läßt Bess sich darauf ein - was im Dorf nicht unentdeckt bleibt. So wird aus dem unschuldigen Mädchen, das sich willig den strengen Gesetzen des örtlichen Protestantismus unterordnete, eine Ausgestoßene.Nachdem seine bisherigen Filme von der Existenz des Bösen erzählt hätten, habe er einen Film machen wollen, in dem "alle treibenden Kräfte 'gut'" seien, so von Trier; aber "weil 'das Gute' oft mißverstanden wird, (...) weil wir ihm so selten begegnen, entstehen Spannungen". Seine beiden Hauptfiguren wollen sich in der Tat nur Gutes tun, bewirken damit aber das genaue Gegenteil. Ihr Verhalten erscheint absurd in der abgeschlossenen Welt des Dorfes, die einerseits vom Verstand beherrscht wird, von Medizin und Moral, und andererseits von institutionalisierter Güte, die außerhalb des Gotteshauses nicht stattzufinden hat. Die Zustände sind, man befindet sich in den 70er Jahren, mittelalterlich: Frauen haben keinen Zutritt zu den Gottesdiensten, und der Ältestenrat der Männer entscheidet über Wohl und Wehe der Bürger; schon ein Fehltritt kann zum Ausschluß des Betroffenen aus der Gemeinde führen. Es ist eine ähnlich düstere Sicht auf die Kirche, wie sie Ingmar Bergmans Filme kennzeichnet. Aber wie bei Bergman sind auch bei Lars von Trier die Konflikte nicht allein auf überkommene Moralvorstellungen und gesellschaftliche Strukturen zurückzuführen. Es ist auch die Skepsis der Menschen voreinander, die dem Guten keinen Raum läßt. Da ist Bess' Schwägerin, die mit Bitterkeit auf das Glück der reinen Liebe schaut, zumal sie selbst ihren Mann, Bess' Bruder, verloren hat. Da ist der Arzt, der Jan behandelt, außerhalb seiner Diagnose nichts gelten läßt und schließlich für eine Einweisung von Bess in die Heilanstalt plädiert.Augenfällig ist die Stilistik, in die von Trier seine Geschichte gehüllt hat und die man in ähnlicher Weise schon von seiner Krankenhausreihe "The Kingdom"
(fd 31 390) kennt. Er selbst nennt es einen "reportagehaften Stil". Die Bilder sind ausschließlich mit der Handkamera gedreht, nicht selten ohne Steadicam und dadurch verwackelt. Oft wird auf Schnitte verzichtet und stattdessen ein Reißschwenk eingesetzt, dazu kommen "falsche" Schnitte, jump cuts, und zahllose Unschärfen. Dies führt zu einer hohen Unmittelbarkeit des Dargestellten und erweckt den Eindruck von Unvorhersehbarkeit: als sei man der Handlung und den Gefühlen der Figuren machtlos ausgesetzt. Auch führt dieser Stil zu einer großen Bewegungsfreiheit der Akteure, die eine grandiose Leistung bieten, allen voran Emily Watson und Stellan Skarsgard als Bess und Jan. Lars von Trier und sein Kameramann Robby Müller setzen diese Technik allerdings mit viel Präzision und Feingefühl ein: sehr genau folgen Kamera und Schnitt gerade in den entscheidenden Szenen deren innerer Dramaturgie. Von einer Verselbständigung des Wackelkamera-Stils wie in einigen jüngeren Fernsehproduktionen keine Spur. In seinen bisherigen Filmen hat von Trier kaum mit naturalistischer Farbwiedergabe gearbeitet. Die gelblich-blasse Farbgebung in "Breaking the Waves" erinnert an OrWo-Qualität, die jahrzehntelang den ostdeutschen und osteuropäischen Film kennzeichnete. Zusammen mit dem Zeitkolorit - den Kleidern und Autos, den Rockmusik-Klassikern - entwirft der Film eine ästhetische Reminiszenz an die 70er Jahre, die aber in keinem Moment ihren retrospektiven Charakter zugunsten einer bloßen Reproduktion aufgibt. Darauf weisen deutlich auch die Tableaus hin, mit denen die einzeln benannten Kapitel voneinander getrennt sind: Landschaftstotalen, ausnahmsweise mit Stativ gefilmt, die durch Kolorierung wie gemalt wirken, nahe am Kitsch und beinahe ironisch von 70er-Jahre-Popmusik untermalt. Der Regisseur nennt diese Bilder "Blick Gottes auf die Landschaft", der über das Geschehen wacht - und dem Lars von Trier am Ende noch einmal eine unerwartete Reverenz erweist.