Ein elfjähriger Junge aus einem Dorf in El Salvador rutscht Mitte der 1980er-Jahre in die Rolle des Familienoberhaupts, nachdem sein Vater verschwunden ist und sein Onkel sich den Rebellen angeschlossen hat. Inmitten des Bürgerkriegs versucht er, ein normales Leben aufrecht zu erhalten. Eindringliches Drama, das vom seelischen Mord an Kindern und Jugendlichen erzählt, die durch die Zeitläufte aus ihrer Entwicklung gerissen werden. Der von außergewöhnlichen Darstellern getragene Film tendiert bisweilen allzu sehr ins Allegorisch-Allgemeine, was seine Aussagekraft zwar schmälert, ihn aber nicht konterkariert.
- Ab 16.
Innocent Voices - Unschuldige Stimmen
Drama | Mexiko/USA/Puerto Rico 2004 | 120 Minuten
Regie: Luis Mandoki
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Filmdaten
- Originaltitel
- VOCES INNOCENTES
- Produktionsland
- Mexiko/USA/Puerto Rico
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- Altavista Films/Lawrence Bender Prod./Santo Domigo Films/Muvi Films
- Regie
- Luis Mandoki
- Buch
- Luis Mandoki · Oscar Torres
- Kamera
- Juan Ruiz Anchía
- Musik
- André Abujamra
- Schnitt
- Aleshka Ferrero
- Darsteller
- Carlos Padilla (Chava) · Leonor Varela (Kella) · Gustavo Muñoz (Ancha) · José Maria Yazpik (Okel Beto) · Ofelia Medina (Mama Toya)
- Länge
- 120 Minuten
- Kinostart
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- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Berühmte (Anti-)Kriegsfilme wie „Platoon“ (fd 26 111), „Apokalypse Now“ (fd 22 192) oder „Der schmale Grat“ (fd 33 554) sind Soldatenfilme, die Akteure des Tötens in den Mittelpunkt rücken. Sie suchen die Schrecken des Krieges in Militärcamps, auf Schlachtfeldern; dort, wo die Action stattfindet. Ihre drastischen Bilder vermitteln nicht nur ungeschöntes Grauen, sondern oft auch eine unterschwellige Faszination am Blutrausch, die es zwar tatsächlich geben mag, sich aber nur schwer vermitteln lässt, ohne Gefahr zu laufen, den Krieg zu ästhetisieren. Erstaunlich wenige (Anti-)Kriegsfilme interessieren sich für die Opferperspektive, für die Leiden von Frauen, Kindern oder Zivilisten. Dabei ist gerade der kindliche Blickwinkel auf den Krieg der am wenigsten beschönigende. Bahman Ghobadis „Auch Schildkröten können fliegen“ (fd 37 023) schildert den Irakkrieg beispielsweise entlang der Spuren, die er Kampf hinterlassen hat: ein vermintes Land, verkrüppelte Körper, verstümmelte (Kinder-)Seelen. Im Bild des schutzlos dem Sterben ausgelieferten Kleinkindes bündelt sich die militärische Perversion wie in keinem anderen. Hier werden die Folgen des Krieges auch für die Zuschauer unerträglich. Der Krieg beraubt die Kinder ihrer Kindheit, indem er ihnen das Leben nimmt oder ihre Unschuld raubt, wie dem jungen Protagonisten in Andrej Tarkowskijs „Iwans Kindheit“ (fd 12 327).
Auch Luis Mandokis „Innocent Voices“ thematisiert den Seelenmord, den Kinder durchleiden, die zum Töten gezwungen werden. Das autobiografisch motivierte Drehbuch von Oscar Torres zeichnet entlang des Bürgerkrieges in El Salvador das Schicksal jener Jungen nach, die in den 1980er-Jahren von der Regierung oder den Rebellen als Kindersoldaten rekrutiert wurden. Schon Zwölfjährige konnten vom Staat zwangsverpflichtet werden. Sie erhielten eine kurze Ausbildung und wurden dann zum Töten und Sterben losgeschickt. Selten kamen sie weit. Gleich zu Beginn von „Innocent Voices“ ist eine Gruppe von Kinderrebellen zu sehen, die von Regierungssoldaten abgeführt werden. Es regnet in Strömen, das Wasser weicht die Erde auf, schwere Stiefel verspritzen Matsch, Kinderfüße stolpern vorwärts. Die kleinen Jungen haben Tränen in den Augen; keiner der Männer achtet darauf. Sie treiben die Kinder als Gefangene vor sich her, die nicht wissen, wohin sie verschleppt werden. Der kleine Chava ahnt nur, dass ihn dort der Tod erwartet.
Bevor er sich tatsächlich neben den anderen Kindern in den Schlamm knien muss und der auf die Exekution wartet, erinnert sich Chava an das, was geschehen ist, was ihn hierher geführt hat. Die chronologisch strukturierte Rückblende beginnt an jenem Tag, an dem Chavas Vater die Familie im Stich lässt. „Mein Vater hat uns verlassen“, erinnert sich Chava aus dem Off, „er ging nach Amerika, mitten im Krieg. Meine Mutter kam nicht heraus, um ihn zu verabschieden. Sie sagte, dass ich jetzt der Mann im Hause sei. Doch erst einmal musste ich Pipi machen.“ Ähnlich kontrastreich wie in diesen Sätzen inszeniert Mandoki generell den gewaltsamen Einbruch der Erwachsenen in die Kinderwelt. Das gerät bisweilen recht plakativ, was Mandockis Anliegen etwas von seiner Überzeugungskraft nimmt, die ihm die großartigen Darsteller – allen voran Carlos Padilla und Leonor Varella – durch ihr Spiel verliehen haben.
Auch die in den Handlungsfluss eingeschnitten, idyllischen Zwischensequenzen – Tanz- und Gesangseinlagen – wirken eher deplaziert. Sie stören umso mehr, da sie unnötig sind, weil man den Protagonisten den verzweifelten Kampf um ihre Kindheit schlicht und durchaus ergreifend an den Augen abgelesen kann. Mandokis Hang zur pointierten Zuspitzung zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Man spürt dies in didaktisch arrangierten Szenen – wenn sich ehemalige Mitschüler plötzlich als Feinde gegenüber stehen –, an klischeehaften Nebenfiguren und einer recht augenscheinlichen Symbolik.
Doch obwohl der Versuch, das Geschehen ins Allegorisch-Allgemeingültige zu überhöhen, eher dessen Aussagekraft schmälert, bleibt die historische Wahrheit dahinter letztlich unangetastet. Den Protestsong, den Chava hört („Casas de Carton“), gab es wirklich; er war ein Fanal des Widerstandes. Chava, der mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in einem kleinen Dorf versucht, trotz des Bürgerkrieges ein einigermaßen normales Leben aufrecht zu erhalten, steht für viele. Während etliche seiner Mitschüler zwangsrekrutiert werden, folgt er seinem Onkel zu den Rebellen. Für den Einzelnen ist es dabei eigentlich egal, auf welcher Seite er kämpft. Ein Film über Kinder, kein Kinderfilm, aber doch ein Film für Heranwachsende und für ein Leben, in dem sie davon träumen dürfen, erwachsen zu werden.
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