Fast 30 Jahre nach den historischen Ereignissen im Frühjahr 1974 erinnern sich die Söhne des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt und seines "Beraters" Günther Guillaume an ihre Väter und wie deren schicksalhafte Verknüpfung ihr Leben beeinflusste. Dabei stehen private Erinnerungen im Vordergrund, auch wenn die exponierte Stellung der Väter immer wieder durchschimmert. Der interessante Dokumentarfilm versteht es, sein nur scheinbar sprödes Thema durch die reizvolle Aufbereitung aufzulockern.
- Ab 14.
Schattenväter
Dokumentarfilm | Deutschland 2005 | 95 Minuten
Regie: Doris Metz
Kommentieren
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2005
- Produktionsfirma
- Pan European Pictures/ZDF-arte
- Regie
- Doris Metz
- Buch
- Doris Metz
- Kamera
- Sophie Maintigneux
- Musik
- Markus Stockhausen · Funy van Dannen
- Schnitt
- Gaby Kull-Neujahr
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb
Heimkino
Diskussion
Sie waren zwölf bzw. 17 Jahre alt, als sich ihr Leben auf dramatische Weise änderte. Am 24. April 1974 wurden die Eltern von Pierre Guillaume, dessen Vater Günther Guillaume als Berater von Willy Brandt arbeitete, wegen Landesverrat verhaftet. Der zwölfjährige Matthias Brandt erlebte zwei Wochen später, wie sein Vater vom Amt des Bundeskanzlers zurücktrat. Das war zwar nicht das Ende einer Kindheit, aber doch das Ende eines Lebens in vertrauten Bahnen. Pierre Guillaume nannte sich später nach seiner Großmutter Boom. Fast drei Jahrzehnte später konfrontiert die Filmemacherin Doris Metz die beiden Söhne mit ihren Erinnerungen. In „Schattenväter“ lässt sie beider Familienleben Revue passieren, die sich mitunter in amüsanten Anekdoten verlieren; im Falle von Pierre Boom, der 1975 in die DDR übersiedelte, handelt es sich um das Leben eines Vertriebenen, der im Osten keine Heimat fand, vom Staat missbraucht wurde und auch nach der Haftentlassung der Eltern nur noch in losem Kontakt zu ihnen stand. Es sind kleine Erinnerungsmosaike, aus denen sich die große Geschichte, aber auch kleine Familiengeschichten zusammensetzen. In den Interviews, die monologisch bleiben – die Söhne treten nie in einen Dialog miteinander –, nehmen die toten Väter sukzessive Gestalt an, auch wenn die Optik sich retrospektiv deutlich verschiebt. Während Matthias Brandt weitgehend auf seinen Vater fokussiert und das Familienleben in der Villa am Venusberg beschreibt, Erinnerungsorte aufsucht, sich über die Angelruten-Sammlung des Vaters amüsiert, der gar kein passionierter Angler war, doch Angeln immer wieder als Staatsgeschenke bekam, chaotische Fahrradausflüge memoriert, an denen einzig „Onkel Wehner“ Gefallen fand und sich auch heute noch über die Veröffentlichung privater Inhalte echauffiert, bleibt Pierre Boom mehr bei sich. Er reflektiert das Leben mit seinen Eltern, die stets mit Geheimnissen lebten, weshalb er eigentlich nie ein rechtes Vertrauen zu ihnen aufbauen konnte. Auch das zunächst privilegierte Leben in der DDR ist ein Thema. Er erinnert sich der zahlreichen Gefängnisbesuche in der Bundesrepublik und an das abrupte Ende der Ausreisegenehmigungen, als die Eltern 1981 ausgetauscht wurden. Danach ließen sich die Familienbande nicht wieder kitten; im Gästehaus der DDR wuchs die Familie nicht mehr zusammen. 1988 stellte Pierre Guillaume einen Ausreiseantrag und trat aus der SED aus.
Doris Metz hat die auf Video aufgenommenen Interviewszenen, insgesamt über 25 Stunden, und mit Super 16 gefilmte Ortsskizzen dialektisch montiert, wobei sich der eine Gesprächspartner zeitlich meist auf der Höhe des anderen bewegt. Dabei entstand ein dichter Film, der trotz des vordergründig spröden Themas keine Langeweile aufkommen lässt. Kleine inszenatorische Tricks wie Schwenks und Kamera- oder Kranfahrten tragen dazu bei, die typische Interviewsituation aufzubrechen und atmosphärische Räume und Gegenden zu inszenieren, zu denen die Protagonisten einst ein besonderes Verhältnis hatten. „Schattenväter“ interessieren keine politischen Schuldfragen; der Film dämonisiert weder den „Kanzleramtsspion“, noch wird Brandt als Opfer dargestellt. Es geht nicht um die Einschätzung der geschichtlichen Sachlage, sondern um die Menschen hinter der Geschichte und darum, was sie aus ihr gemacht haben – und die Geschichte mit ihnen.
Kommentar verfassen