Drama | Niederlande/Deutschland/Frankreich 2004 | 91 Minuten

Regie: Hany Abu-Assad

Zwei junge Palästinenser werden aus ihrem Alltag gerissen, als sie für ein Selbstmordattentat in Israel ausgewählt werden. Als die Aktion im ersten Anlauf scheitert, wachsen die Zweifel am Sinn ihrer Gewalttat. Das aufwühlende Drama lässt sich auf die Perspektive zweier Terroristen ein, ohne deren Tun damit verharmlosen oder gar entschuldigen zu wollen. Vielmehr versucht es, sich aus der Binnenperspektive den Lebensumständen in den besetzten Gebieten und den fatalen Mechanismen von Gewalt und Gegengewalt, von Hoffnungslosigkeit und falschen Idealen anzunähern. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PARADISE NOW
Produktionsland
Niederlande/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Augustus Film/Razor Film/Lumen Film
Regie
Hany Abu-Assad
Buch
Hany Abu-Assad · Bero Beyer · Pierre Hodgson
Kamera
Antoine Héberlé
Musik
Jina Sumedi
Schnitt
Sander Vos
Darsteller
Kais Nashef (Saïd) · Ali Suliman (Khaled) · Lubna Azabal (Suha) · Amer Hlehel (Jamal) · Hiam Abbass (Saïds Mutter)
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Constantin (1:1.85/16:9/Dolby Digital 5.1/dts
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Diskussion
Nachmittags sitzen sie träge zusammen auf den Hängen oberhalb der Stadt. Man könnte Khaled und Saïd für zwei klassische „Slacker“ halten: junge Männer, die nicht recht wissen, was sie mit sich und ihrem Leben anfangen sollen. Khaled hat gerade seinen Job in einer Autowerkstatt verloren, weil er einem penetranten Kunden gegenüber die Geduld verlor. Saïd zeigt Interesse an einer jungen Frau, Suha, die länger im Ausland gelebt hat und gerade wieder in die Heimat zurückgekehrt ist. Er hat sich eine Kassette aus ihrem Wagen „geliehen“, und nun hören er und sein Freund Musik, trinken Tee, tauschen einige Worte, schweigen. Typen wie Saïd und Khaled begegnen dem Zuschauer auch in europäischen Filmen nicht selten. Dort sind sie harmlose, liebeswert verschrobene Zeitgenossen, die sich irgendwie durchs Leben schlagen, in einer vergammelten WG hausen, sich für Musik, vielleicht auch für Drogen interessieren und höchstens dem Herzen der ein oder anderen Frau gefährlich werden können. Aber Saïd und Khaled kommen nicht aus Europa. Sie stammen aus Nablus im Westjordanland, und ihre Welt ist nicht das alltägliche Chaos westlicher Industrienationen, sondern der tödliche Wahnsinn, der seit Jahrzehnten in Israel und Palästina tobt. Wie Regisseur Hany Abu-Assad („Rana’s Wedding“, fd 36328) diese Lebenswelt zeigt, hat nichts Reißerisches. „Eine kleine Geschichte über einen großen Konflikt“, hat die Jury den Film genannt, die ihn bei der diesjährigen „Berlinale“ mit dem Friedenspreis von Amnesty International auszeichnete; gerade das Kleine, Beiläufige, das hier erzählt wird, offenbart umso nachdrücklicher die Absurdität der Situation in den von Israel besetzten Gebieten: Wenn wieder irgendwo geschossen wird oder eine Bombe explodiert, ziehen die Leute die Köpfe ein, sonst passiert nichts. Man kann Videos mit den letzten Worten von Selbstmordattentätern kaufen oder leihen; besser gehen allerdings die Bekenntnisse von palästinensischen Kollaborateuren kurz vor ihrer Exekution als „Verräter“. Ganz beiläufig kommt auch der Auftrag daher, der Saïd s und Khaleds Leben völlig aus der Bahn wirft: Sie, beide Mitglieder einer Terrororganisation, sind auserwählt worden, um einen Selbstmordanschlag in Israel zu verüben. Der Funktionär ihrer Gruppe, der Saïd diesen Auftrag überbringt, tut so, als würde es sich um eine normale Dienstreise handeln. Saïd zeigt seine Gefühle höchstens in seinem Schweigen, doch als später alle schlafen, sucht er das Haus der attraktiven Suha auf. Mit ihr redet er über das, was unter den Männern nicht mehr debattiert wird: über den Sinn des Terrorkriegs gegen Israel. Suha ist sich sicher, dass die Gewalt nur zu immer neuer Gewalt führt; dieser Kreislauf muss unterbrochen werden, um zu politischen Lösungen zu kommen. Saïd gibt ihr zwar nicht recht, aber man merkt, dass er ins Nachdenken gerät. Als er am nächsten Tag – mit einem Sprengstoffgürtel unter dem Hemd – zusammen mit Khaled auf einen Mittelsmann wartet, der sie nach Tel Aviv bringen soll, gesteht er dem Freund seine Zweifel. Khaled weiß keinen anderen Rat, als sich Koranverse in Erinnerung zu rufen, bis beide israelisches Gebiet betreten. Weit kommen sie allerdings nicht: Eine Patrouille taucht auf, ihr Mittelsmann sucht das Weite, und auch Khaled und Saïd verlieren sich bei der Flucht aus den Augen. Khaled landet rasch wieder bei seiner Terrorgruppe und wird von der Bombe befreit. Saïd hat weniger Glück und irrt, den tödlichen Sprengkörper immer noch um den Bauch gebunden, durch das Grenzgebiet. Getrennt voneinander müssen beide erneut entscheiden, ob sie ihr Leben und das anderer wegwerfen, um ihren „Kampf um Freiheit“ fortzusetzen, oder ob sie eine neue Orientierung suchen wollen. Abu-Assad hat sich in seinem Film über den Nahostkonflikt dafür entschieden, die Perspektive zweier Selbstmordattentäter darzustellen. Die Kritik, er würde deren barbarische Verbrechen „entschuldigen“, indem er ihnen ein menschliches Gesicht verleihe, braucht er nicht zu scheuen – hat er doch etwas gewagt, was in palästinensischen Filmen öfters vermieden wird, nämlich die Darstellung der Palästinenser nicht (nur) als Opfer, sondern auch als Täter. Wirklich verstehen, was einen Menschen dazu bringt, sich selbst von einer Bombe zerfetzen zu lassen und andere Menschen mit in den Tod zu reißen, wird man auch nach seinem Film nicht. Da bleiben Leerstellen, Saïd s und Khaleds Gesichter, die immer wieder vor allem eines ausdrücken: eine große Ratlosigkeit. Die dargestellten Zustände in Nablus – die Not, das Eingesperrtsein, die Demütigung bei Grenzkontrollen, die Angst vor israelischer Gewalt – vermitteln zwar eindrucksvoll die Unerträglichkeit der Situation in den besetzten Gebieten. Gleichzeitig aber zeigt Abu-Assad auch, wie hohl und zynisch die Phrasen der „Freiheitskämpfer“ sind: Als Khaled am Abend vor dem Einsatz ein Video aufnehmen will, um damit in Heldenpose der Welt zu sagen, wofür er kämpft, versagt das Aufnahmegerät; Khaled muss seinen vorformulierten Text mehrmals wiederholen, bis er die Nase voll hat und statt der heroischen Plattitüden einfach eine letzte Nachricht an seine Mutter aufzeichnen lässt. Und Saïd s Überdruss am Leben in Nablus, der die Sehnsucht nach dem Paradies, das „Märtyrern“ winken soll, befeuern mag, gerät durch die Begegnung mit Suha gehörig ins Wanken. „Paradise Now“ soll, so Regisseur Hany Abu-Assad, sein Publikum zum Nachdenken bringen und Diskussionen anregen. Das dürfte ihm mit seinem Porträt zweier durchschnittlicher junger Männer in einer wahnwitzigen Situation auch gelingen. Zugleich erweist er sich einmal mehr als talentierter Kinoerzähler. Sein Film ist ein eindringliches psychologisches Drama und ein spannender politischer Thriller, der mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Schön wäre, wenn er nicht nur international, sondern gerade auch in den Ländern, über die er erzählt – Israel und Palästina – auf reges Publikumsinteresse stoßen würde.
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