- | Deutschland 2003 | 91 Minuten

Regie: Hans-Günther Bücking

Im Jahr 1877 wurde nahe des Tegernsees der Wilderer Jennerwein erschossen, dessen Gestalt in volkstümlichen Liedern und Geschichten in der Folge zu einer eigenwilligen Heldenfigur aufstieg. Der Film greift sowohl anekdotische als auch historisch verbürgte Elemente auf und verbindet sie zur flüchtigen Skizze einer verblassenden Legende. Der inhaltlich wie formal bezwingende Heimatfilm lebt von der Kraft der Reduzierung und reflektiert in seinem distanziert-gelassenen Blick ein zeitgemäßes Verständnis. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2003
Produktionsfirma
Sonne, Mond & Sterne Filmprod./BR/ORF
Regie
Hans-Günther Bücking
Buch
Hans-Günther Bücking
Kamera
Hans-Günther Bücking
Musik
Haindling
Schnitt
Klaus Bieland
Darsteller
Fritz Karl (Jennerwein) · Christoph Waltz (Pföderl) · Sabrina White (Agerl) · Monika Baumgartner (Maria) · August Schmölzer (Mayr)
Länge
91 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
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Diskussion
Den Wildschütz Jennerwein kennt auch in Bayern nicht mehr jedes Kind. Sein Andenken lebt in einem bittersüßen Volkslied voller melancholischer Schwere fort, das die wichtigsten Memorabilia zusammenfasst: Dass der schöne Schütz’ nämlich weggeputzt wurd’ von einem Schuss von hint’. Der Vorfall ist auch gerichtlich verbürgt: Am 6. November 1877, so steht es in den Prozessakten, wurde der 29-jährige Georg Jennerwein von seinem früheren Freund, dem Tegernseer Jagdgehilfen Johann Josef Pföderl, auf einer Waldlichtung am Peißenberg erschossen. Genau so erzählt es auch Hans-Günther Bücking in seiner neuen Regiearbeit, die fürs Fernsehen entstanden ist, aber unbedingt ins Kino gehört. Beide Quellen, die wuchernden Legenden um den verwegenen Wilderer und Weiberhelden, aber auch die nüchternen Fakten finden darin zu einem bezwingenden Heimatfilm zusammen, der drei Jahrzehnte nach „Jaider – Der einsame Jäger“ (Regie: Volker Vogeler, fd 17 401) allen ideologischen Ballast abgeschüttelt, dafür aber zu historischer Genauigkeit gefunden hat.

Jennerwein wurde 1848 als uneheliches Kind geboren. Als junger Mann verdingte er sich als Holzarbeiter in der Gegend um den Schliersee, galt als guter Zitherspieler, Sänger und Schütze, stand aber auch im Ruf, ein Raufbold und Wirtshausbruder zu sein, der sich gerne bei der Kellnerin des „Henner“ herumtrieb und mit der Sennerin Agathe ein Kind hatte. Bücking lässt kaum etwas davon aus, selbst der Frankreichfeldzug 1870/71 findet seine Entsprechung, in dem Jennerwein unter königlich-bayerischem Kommando kämpfte. Doch jedes Detail dient der klug austarierten Inszenierung nur als Einzelelement, als Pinselstrich in einer verhaltenen Annäherung an die Legende, deren Konturen in dem Maß hervortreten, wie auch Zeit- und Lebensumstände greifbar werden. Bückings „Jennerwein“ ist weder Melodram noch Freiheitsode und erst recht keine Ganghofersche Wilderer-Mär, sondern am ehesten die flüchtige Skizze einer verblassenden Größe, eine Fantasie, wie ein Foto für den Moment fixiert, aber dennoch dem Wandel unterworfen. Mit schwarz-weiß-Fotografien vom harten Leben der Holzarbeiter beginnt auch der Film, die verschlossene Gestalten aus einer anderen, fernen Epoche zeigen, die so fremd aber auch wieder nicht sein kann, weil Haindlings warme Gitarrenklänge und das geheimnisvolle Gesicht der letzten Überblendung eine Brücke in die Gegenwart schlagen. Es sind die hübschen Züge von Agerl, einer stillen, energischen Frau, auf die auch Pföderl schon lange ein Auge geworfen hat. Als er mit Jennerwein heil aus dem Krieg zurückkehrt, denkt er ans Heiraten; doch die Sennerin liebt insgeheim seinen Freund. Der will davon zunächst nichts wissen. Erst als er die Armut und das Elend um ihn herum nicht mehr übersehen kann, lässt er die schwere Holzarbeit fahren und geht in den Bergen wieder auf Pirsch, was ihn auch in Agerls Nähe bringt. Pföderl schäumt vor Eifersucht und schwört Rache; obwohl selbst ein Wilddieb, lässt sich vom Forstbeamten Mayr anwerben, der gnadenlos gegen Wilderer vorgeht. Ein erster Mordversuch misslingt, weil Agerl den schwerverletzten Jennerwein auf dem Pferdeschlitten bis nach Tirol schleppt; beim zweiten Mal geht Pföderl deshalb auf Nummer sicher und schießt dem Rivalen aus nächster Nähe in den Rücken.

Im Gegensatz zu „Die Häupter meiner Lieben“ (fd 33 779) weiß der erfahrene Kameramann Bücking diesmal auch als Regisseur die Kunst der Auslassung zu schätzen. Mehr noch: „Jennerwein“ lebt ganz von der Kraft der Reduzierung, die dem ausufernden Ornat des Kitsches karge Totalen, das eisige Pfeifen des Windes und eine Farbgebung entgegenstemmt, die alle grellen und satten Töne vermeidet. Es ist ein distanzierter, abgeklärter und damit auch gelassener Blick auf eine legendäre Figur, der auch von den Schauspielern übernommen wird, die zurückhaltend und damit überzeugend agieren. Gerade auch die heute nur noch schwer vorstellbaren Lebensumstände, die Menschen buchstäblich verhungern ließen, lassen sich durch ihre zurückhaltende Bebilderung am ehesten nachempfinden. Die seltsame, zwischen Feierlichkeit und Selbstmitleid changierende Vanitas-Stimmung des Volksliedes, die zu vorgerückter Stunde vielleicht immer noch in manches Wirtshaus passt, hat hier so wenig Platz wie Vogelers Rächer-Pathos oder peinlicher Bajuwarismus. Auch wenn man „Jennerwein“ ins Genre des Heimatfilmes zählen muss, so doch in eine Subkategorie, die sich durch ein Wissen um historische Relationen und ihre ästhetische Vermittlung auszeichnet.

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