Bereits der Anfang ist ein Keulenschlag: ein heftiger, lauter und aggressiver Streit zwischen einer Frau und einem Mann, der berechtigte Zweifel daran aufkommen lässt, ob dieses Paar nach all den verbalen Verletzungen je wieder zu einer normalen, auf Vertrauen und Zuneigung fußenden Beziehung fähig ist. Oskar Roehler hält sich nicht mit langen Vorreden auf – er kommt sofort zur Sache, taucht mit einem einzigen Sprung hinein ins Schlachtfeld Leben, in die (Selbstvergewisserungs-)Nöte und Verletzungen seiner Protagonisten, ihre Zweifel und Verzweiflung, ihre Hysterie und Hilflosigkeit. Man mag dieses Roehlersche Generalthema inzwischen für weitgehend abgegrast, ja abgeschmackt halten; auch mag man sich intuitiv weigern, diese ebenso heftige wie betont artifizielle Achterbahnfahrt sprachlicher wie visueller Attacken auf dem schmalen Grat von Aggression und Selbstzerfleischung mitzumachen. Doch wer sich auf die „verrückte“ Liebesgeschichte von Marie und Robert einlässt, der wird bald eine Intensität menschlicher Auseinandersetzungen spüren, wie man sie nur in den filmischen Versuchsanordnungen von Fassbinder – etwa „Martha“
(fd 31 074) – oder Ingmar Bergman – etwa „Szenen einer Ehe“
(fd 19 216) – erlebte.
Dabei hilft Roehlers Meisterwerk „Die Unberührbare“
(fd 34 197) wohl nur bedingt zum besseren Verständnis, obwohl dessen inszenatorische Kraft, Konsequenz und Dichte (begrenzt) auch in „Der alte Affe Angst“ zu spüren sind. Eher findet man Anknüpfungspunkte an die veräußerlichte Rasanz von „Silvester Countdown“
(fd 33 052), der nun wie der erste Teil eines Diptychons erscheint, dessen zweites „Flügelbild“ „Der alte Affe Angst“ ist. Damals waren die nie vertieften Gefühle des noch „unfertigen“ jungen Berliner Liebespaares Romeo und Julia an einen Endpunkt aus Ratlosigkeit und Unsicherheit gestoßen, wobei sich Roehler nur wenig um die Innenwelten des Paares scherte; jetzt holt er dies beim älteren und erfahreneren, aber nicht unbedingt reiferen Paar Marie und Robert um so deutlicher nach, indem er sich auf dessen Zwänge und Zweifel, Sehnsüchte und Enttäuschungen stürzt. Einmal mehr geht es dabei um die Pole (und Grenzen) von Sexualität und Liebe, aber auch um die Dichotomie von Eros und Thanatos, die sich auf einer äußeren Handlungsebene in jener bizarr-surrealen Theaterszene manifestiert, die der Regisseur Robert unentwegt probt – quasi ein beklemmendes Abbild seiner eigenen Daseinsangst, nicht zuletzt wohl auch eines tiefsitzenden Komplexes, der auf einer vagen Idee des Todes und der gleichzeitigen Furcht davor fußt. Um angesichts so vieler Ängste im Alltag überhaupt noch zu „funktionieren“, sucht Robert Halt in seiner Liebe zur Kinderärztin Marie, kann aber seinen undurchdringbaren Schutzmechanismus nicht sprengen. Seit einem halben Jahr hat er mit Marie nicht mehr geschlafen; hinter ihrem Rücken sucht er derweil aber sexuelle Befriedigung bei Prostituierten. Marie wiederum könnte angesichts ihres schweren Berufs, der sie mit AIDS und Krebs bei Kindern konfrontiert, privaten Halt dringend brauchen; im permanenten Wechselbad aus Vertrauen und Verrat wird sie von Robert aber immer wieder maßlos enttäuscht. Dennoch glaubt sie felsenfest die Tragfähigkeit ihrer Liebe, räumt seiner sexuellen Blockade Zeit und Verständnis ein und verteidigt ihre Haltung vehement gegenüber einem verschrobenen „Seelenklempner“, zu dem sie Robert schleppt. Doch die Dinge spitzen sich zu: Roberts Vater Klaus stirbt einen unerwarteten Krebstod, Marie wird schwanger, verliert aber das ungeborene Kind – doch Robert kann immer noch nicht aus seiner Haut, setzt Leben und Liebe weiter und ständig unkontrollierter aufs Spiel.
Es ist ein an den Nerven zerrendes, eruptives Auf und Ab, dem sich zwei großartige Schauspieler vorbehaltlos und rigoros hingeben. Vor allem Marie Bäumer, bei der die vielen Brüche und Lücken der Handlung zusammenlaufen, interpretiert ihre Rolle im Zentrum des emotionalen Wechselbades mit großer Intensität, einem sensiblen Ausloten der Ränder und letztlich auch einer Würde, die den Film erst glaubwürdig erscheinen lässt. Kleine Randepisoden sind dabei ebenso heterogen wie angreifbar, freilich aber auch reizvoll und beachtenswert: das „hässlich-sentimentale“ Sterben des Schriftstellers Klaus, das „lustvolle“ Drogenstelldichein zwischen André Hennicke und Herbert Knaup (ein darstellerisches Kabinettstück), während die leisen Szenen mit Maries Eltern wiederum Assoziationen an „Die Unberührbare“ wecken. Dabei werden die ebenso raffinierten wie spannungsreichen Arrangements in der riesigen Loftwohnung von Marie und Robert immer häufiger mit der schreienden Kolportage mancher Drehbuchwendung gekreuzt (Roberts sexueller Kontakt mit der AIDS-kranken Prostituierten, deren krebskrankes Kind ausgerechnet von Marie behandelt wird), sodass sich der Film zu einer seltsamen Hybride entwickelt, die sich am Ende in einem kitschigen Spiel in der Natur, mit Gänseblümchen auf sattgrüner Wiese, kathartisch positioniert. Was an all dem letztlich tolerabel ist, was eine Frage des guten Geschmacks, vielleicht sogar eine Zumutung oder ein „Fauxpas“ sein mag, das wird jeder Betrachter für sich selbst entscheiden müssen. Zweifellos fordert Oskar Roehlers eigentümliche, zwischen Verzweiflung und Orientierungslosigkeit changierende „Weltordnung“ heraus, verlangt eine Positionierung, verdient aber in gleichem Maße Respekt und Offenheit für eine ernsthafte Auseinandersetzung.