Während Leseratten immer ungeduldiger auf das fünfte Buch („Harry Potter and the Order of the Phoenix“) um den jungen Zauberschüler warten, ist auf die Filmfabrik Verlass: Minutiös wie ein Uhrwerk startet Hollywood exakt ein Jahr nach „Harry Potter und der Stein der Weisen“
(fd 35 161) den zweiten Film – Kino ist eben halt doch primär (auch) eine Industrie, und da wird produziert, solange der Bedarf da ist. Aber Joanne K. Rowling hat es auch zweifellos schwerer, muss sie doch, auf sich selbst gestellt, die herkulische Aufgabe lösen, zugleich ein gutes Fantasy-Buch und einen garantierten Bestseller zu schreiben, und das mit einem hohen Maß an Originalität, die sie davor wappnet, als Plagiatorin ihrer selbst sowie anderer Autorinnen und Autoren zu erscheinen, die lediglich eine Erfolgsmasche weiterstrickt. Hollywood hat es da ungleich leichter: die Fantasie-Arbeit für eine schnelle Adaption ist bereits geleistet, die weltweit millionenfach gelesene Geschichte steht, und jetzt geht es „nur“ noch darum, bestmögliche Spezialeffekte und Digitaltricks aufzuwenden, um die magische Welt Harry Potters zu kreieren. Nun, ganz so leicht ist es dann ja wohl doch nicht, denn der magische Funke, der eine Geschichte beseelt und mit Leben füllt, muss noch aus einem ganz anderen Stoff gewirkt werden, und den Zauberstab dafür hat Hollywood – Gott sei dank! – noch nicht erfunden.
Auch in diesem Harry-Potter-Abenteuer meint man immer wieder den strategisch-taktischen Spagat zu spüren, den die Hersteller unternommen haben, um es möglichst allen recht zu machen: den eingefleischten Potter-Lesern, die am liebsten Szene für Szene bebildert sähen, wie auch den Fantasy-Filmfreunden, die – vor allem in den Zeiten von „Der Herr der Ringe“
(fd 35 197) – hohe Erwartungen an eine filmische Verdichtung literarischer Traumgebilde stellen. Chris Columbus erweist sich dafür als der nicht schlechteste Regisseur: ein Handwerker ohne besondere inszenatorische Individualität, zugleich aber routiniert und erfahren genug, um den „Apparat“ jederzeit zu bewältigen; statt die schaurig-schönen Möglichkeiten der Buchvorlage in aller Tiefe – und all ihren Schrecken! – filmisch auszukosten, weiß er offensichtlich ganz genau, wo und wann die Bremse anzuziehen ist. Da, wo es richtig gruselig und bodenlos werden müsste, entscheidet er sich lieber für den lauten Actioneffekt und kokettiert lediglich mit dem weit tiefer lotenden narrativen Material der Vorlage. Damit bewahrt er dem Film immerhin seine Familientauglichkeit, sodass auch jüngere Zuschauer in der Lage sind, mit „ihrem“ Harry mitzufiebern, wobei sie zwar manchen Schrecken überstehen müssen, letztlich aber doch den Eindruck bewahren können, dass es hier um ein Heile-Welt-Spiel geht, bei dem das Gute über das Böse siegt. Es bleibt abzuwarten, wie Hollywood mit den weiteren Potter-Büchern umzugehen gedenkt, werden diese doch zunehmend komplexer, ja „philosophischer“ in dem Sinne, dass sie sich immer vehementer und düsterer mit den Prüfungen sowie der Integrität eines Jungen angesichts globaler Bedrohungen beschäftigen.
Als fabulierfreudiges Unterhaltungsspektakel hat dieser zweite Teil zweifellos noch mehr zu bieten als der erste. Nachdem die wichtigsten Figuren, Schauplätze und Szenarien nunmehr eingeführt sind, kann er weit gelöster und gewitzter auf der Klaviatur der Variation spielen, kleine Gags für Eingeweihte einbauen und sich ausgiebiger auf das Setting einlassen: geradezu wunderbar sind die „Flüge“ über Schloss Hogwarts mit all seinen Zinnen, Ländereien und Gewächshäusern, faszinierend die an Höhepunkten reiche Ausgestaltung kleinster Handlungselemente; die schrillen Alraunenwurzeln, Mutter Weasleys umwerfender Heuler, der „mörderische“ Klatscher, der beim Quidditch Jagd auf Harry macht, der niedlich-skurrile Hauself Dobby – die spektakulären Szenen reihen sich nahezu nahtlos aneinander. Genüsslich goutiert man die süffig-verspielte Dekadenz und Selbstverliebtheit, die Kenneth Branagh als eitler Magier Lockhart an den Tag legt, worunter die zentrale Fabel um Lord Voldemort bemerkenswerter Weise nicht leidet; die bereits im Buch raffiniert gestaffelte Steigerung, die Harry sowie seine Freunde Hermine und Ron schrittweise näher an die „Kammer des Schreckens“ heranbringt, funktioniert auch im Film: die flüsternde Stimme, die nur Harry hört, die versteinerten Opfer eines Unbekannten, schließlich Tom Riddles Notizbuch, das Harry zu einer packenden Zeitreise durch einen stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Film aufruft. Das Finale, der reißerische Kampf gegen die Riesenschlange, fällt dagegen als überlautes Effektspektakel ab, das vor allem nicht zur Essenz der Vorlage vordringt. Denn „Harry Potter“ ist ja auch eine Fabel, die sich engagiert gegen jede Form von Elitarismus, Arroganz und Fremdenhass ausspricht, was sympathischer Weise auch der Film noch vermittelt; doch dass Harry im abschließenden Kampf sogar bereit ist, sein eigenes Leben für ein „höheres“ Ideal zu opfern und dafür quasi mit der heilenden Gnade einer übergeordneten Instanz belohnt wird – das war dem Film dann wohl doch zu philosophisch und damit zu wenig massenkompatibel.