Die Klavierspielerin

- | Österreich/Frankreich 2001 | 130 Minuten

Regie: Michael Haneke

Eigenständige Adaption des gleichnamigen Romans von Elfriede Jelinek um die Klavierlehrerin Erika Kohut, die mit ihrer Mutter in einer ambivalenten Symbiose lebt. Als sie einer ihrer Schüler nachhaltig umwirbt, gibt sie schließlich nach und offenbart ihm ihre sadomasochistischen Fantasien, was in einer Katastrophe endet. Hervorragend inszenierter Film, in der Hauptrolle von Isabelle Huppert extrem beeindruckend gespielt. Er beginnt als psychologisches Drama, das etwas an Überzeugungskraft einbüßt, als die Pianistin ihre verdrängten Seiten enthüllt. Die insgesamt dennoch dichte, aufs Wesentliche konzentrierte Inszenierung arbeitet mit provokativen Leerstellen und spannenden Subplots, unter denen die Geschlechter-Thematik etwas übergewichtet ist. (DVD-Titel "Die Klavierspielerin - Obsession & Verletzlichkeit ") - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
LA PIANISTE
Produktionsland
Österreich/Frankreich
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Les Films Alain Sarde/MK2/Wega Film/arte/France Cinéma
Regie
Michael Haneke
Buch
Michael Haneke
Kamera
Christian Berger
Schnitt
Nadine Muse · Monika Willi
Darsteller
Isabelle Huppert (Erika Kohut) · Benoît Magimel (Walter Klemmer) · Annie Girardot (Mutter) · Anna Sigalevitch (Anna Schober) · Susanne Lothar (Frau Schober)
Länge
130 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Elfriede Jelineks fünfter Roman „Die Klavierspielerin“ erschien 1983 und wurde von der Kritik als eine „ins Monströse vergröberte“ Analyse (klein-)bürgerlicher Mentalität aufgefasst, in der die Autorin in gewohnt rabulistischer Weise das Verhältnis von Macht, Besitz und (sexueller) Lust seziert. Ihr Skalpell ist dabei eine entfesselte Sprache, die ihren Gegenstand mal ironisch karikiert, mal zynisch attackiert, dabei aber ständig umfließt und in einer seltsamen Schwebe hält. Im Mittelpunkt steht, Erika Kohut, eine Frau Mitte Dreißig, die am Wiener Konservatorium Klavier unterrichtet und mit ihrer Mutter in einer sadomasochistisch gefärbten Symbiose lebt. Wenn die Tochter nach der Arbeit nicht sofort nach Hause eilt, empfängt die Mutter sie bereits mit heftigen Vorwürfen an der Tür, wobei sie die Tochter einem peinlichen Verhör unterzieht, das auch vor der Visitation ihrer Handtasche nicht halt macht. Mit einer solchen Szene beginnen Roman und Michael Hanekes Adaption, die den Handlungslinien der Vorlage weitgehend folgt (lediglich einige Randepisoden sind weggelassen) und für Jelineks eigenwilligen sprachlichen Duktus nicht weniger eigenwillige Bilder findet. Streng genommen ist Hanekes Film gar keine „Verfilmung“, sondern ein eigenständiges Werk, das sich der Vorlage bedient und mit seiner Autorin auch eine Reihe Ansichten teilt, dennoch aber etwas vollständig Eigenes schafft. Der Unterschied lässt sich bereits in der Eingangsszene verdeutlichen. Während in Jelineks atemloser Textmontage Beschreibung, Deutung, Satz- und Gedankenfetzen den innersten Bannkreis der Kohutschen Hölle gespenstisch ausleuchten, prallen bei Haneke zwei Charaktere – und zwei Schauspielerinnen: Isabelle Huppert und Annie Girardot – aufeinander, deren vertrackte Abhängigkeit schlaglichtartig greifbar wird. Was im Buch wie Quecksilber von Satz zu Satz andere Schattierungen gewinnt und mit seinem Sprachnetz auch zentrale Begriffe wie „Besitz“ oder „Gehorsam“ auswirft, gerinnt im insistierenden, ungeschnittenen Bild Hanekes nicht nur zur physiognomischen Kontur, sondern auch zur Gestalt eines psychischen Dramas. Es fällt manchem vielleicht nicht leicht, sich mit der Vorstellung von Haneke als dem Regisseur von Figuren und Neurosen anzufreunden, weil Haneke bislang noch jedem Stoff seine Klischees und Konventionen ausgetrieben hat. Doch in der Zusammenarbeit mit Isabelle Huppert entfaltet sich im ersten Drittel tatsächlich so etwas wie ein Drama, dessen Konflikte sich primär in den Nuancen ihres unglaublich differenzierten Gesichtsausdrucks manifestiert. Isabelle Hupperts Erika Kohut ist eine resolute, gefühlskalte Mittvierzigerin, die ihre Schüler bis aufs Blut traktiert und schikaniert, eine ebenso unnahbare wie unangreifbare Erscheinung, die nur am Klavier ansatzweise Empfindungen zeigt. Doch erst der Griff zur Rasierklinge, mit der sie in der Badewanne ihr Geschlecht verstümmelt, oder ihre Besuche im Porno-Kino deuten auf extreme Gefühle hin, die landläufig als sadomasochistisch beschrieben werden. Selbstredend meidet Haneke solche Formeln, wie seine Inszenierung bei aller bedrückenden Klarheit nie ins Plakative verfällt. Statt dessen wird alles aufs Notwendige reduziert, das dann aber eine Darstellung erfährt, deren Intensität die Schmerzgrenzen der Zuschauer auslotet. Vorwärts getrieben wird die Handlung durch einen jungen, sportlichen Bewunderer der Klavierlehrerin, Walter Klemmer, der es sich in den Kopf gesetzt hat, sie zu erobern. Ihre kalte Arroganz stachelt ihn dabei noch mehr an; seine Unverfrorenheit hinterlässt anderseits aber auch feine Spuren im seelischen Panzer der Pianistin. Auf der Toilette kommt es zur ersten heftigen sexuellen Begegnung, bei der Erika Kohut die Zügel noch in Händen hält. Die Kehrseite ihrer dominanten Herrschsucht bleibt allerdings nicht lange verborgen: ein abgründiger Hang zur Unterwerfung, den sie dem stürmischen Eleven schriftlich offenbart. Ihre masochistischen Fantasien sind dabei derart heftig, dass dem Verführer jede Lust vergeht und er überstürzt das Weite sucht. Doch nun kennt die Lehrerin keine Grenzen mehr: Sie drängt sich auf und ihn in die Enge, bis ihre Fantasmen mit einer Gewalt und Gnadenlosigkeit über sie herein brechen, die ihresgleichen sucht. Hier ist Haneke längst wieder bei sich und in vertrautem Fahrwasser: Niemand vermag Gewalt grausamer und verletzender auf die Leinwand zu bringen, weil Schläge bei ihm nicht nur Schmerzen bereiten, sondern auf eine viel tiefere Weise demütigen und erniedrigen. Die Gewalt vermittelt sich in einer Form, die verstummen lässt. Man kann Hanekes Film durchaus als Studie über „abweichendes Sexualverhalten“ oder über den Zusammenhang von Herrschaft und Unterwerfung verstehen. Vor allem im ersten Drittel ist das Wechselspiel zwischen Quälen und gequält werden dank Hupperts Darstellungskunst leicht nachzuvollziehen, ebenso auch das radiale Umschlagen, obwohl die Inszenierung hierbei ins Stolpern gerät. Das beginnt ab dem Augenblick in der Toilette, weil Haneke dann nicht mehr Einzelfiguren, sondern ein „Paar“ vor der Kamera hat, dessen eigentliche „Tätigkeit“ er nicht zeigen will. So monströs wie unbeholfen aber gerät die „Offenbarungsszene“ in Erikas Zimmer, wenn sie unter dem Sofa eine Kiste mit S/M-Utensilien auspackt und Klemmer die Verfügungsgewalt über sie andient. Das droht unfreiwillig ins Lächerliche abzugleiten; erst in der Vergewaltigungsszene und dem konsequenten Schlussakkord gewinnt der Film inszenatorisch dann wieder ein ausbalancierendes Gegengewicht. Schwerer wiegt hingegen einer der Subplots, den Haneke nicht nur in Interviews selbst ins Spiel brachte, sondern den er auch szenisch deutlich markiert hat. Dabei geht es um „Gender“-Themen, etwa den männlichen Herrschaftsblick auf den weiblichen Körper. Weil die Klavierlehrerin sich über die Grenze ihres Geschlechts hinweg setzt und sich dieselben Freiheiten wie das andere Geschlecht herausnimmt, muss sie am Ende mit dem Leben bezahlen. Vor diesem Hintergrund rückt auch Hanekes Einfall, Klemmer Eishockey spielen zu lassen, ebenso ins Zwielicht wie dessen seltsame Travestie, wenn er im halbausgezogen Sportdress wie in Strapsen da steht. Dennoch: Haneke bleibt Haneke, dessen „intellektuelle“ Filmkunst mit provokativen Leerestellen arbeitet und deshalb der interpretativen Leistung des Zuschauers ein konstitutive Rolle zuerkennt. In der Schlusssequenz wartet Erika Kohut in der Eingangshalle des Konservatoriums auf Klemmer; bei einem Schulkonzert soll sie die Klavierbegleitung zur „Winterreise“ von Schubert übernehmen (das Lied markiert eine weitere spannende Interpretationsfolie). Als Klemmer in einem Rudel anderer erscheint und sie kaum zur Kenntnis nimmt, zieht sie ein Messer aus ihrer Tasche und rammt es sich in die Brust; weit hinten, im Saal, verebbt gerade der Lärm, und plötzlich wird man gewahr, dass der ganze Film nur O-Töne kennt; die Lehrerin wankt zur Tür; draußen sieht man sie in einer Totale das erleuchtete Gebäude verlassen und an der mächtigen Fassade entlang nach rechts aus dem Bild stolpern, während Straßenbahnen immer wieder das Gesichtsfeld durchschneiden. In Szenen wie dieser manifestiert sich eine Präsenz und Dichte, denen Hanekes Filme ihre Faszination und ihre Wirkung verdanken, weil man über sie zu Recht und nachhaltig ins Grübeln gerät.
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