Ein in der Hochblüte des Stalinismus von deutschen Emigranten eingerichtetes filmisches Lehrstück, das vor dem Hintergrund des "Reichtstagsbrand-Prozesses" um Georgi Dimitroff die Geschichte einer kommunistisch geprägten Familie erzählt. Nach der Ermordung ihres Sohns durch Nazi-Schergen gelingt es der Mutter, aktiven Widerstand gegen die politische Willkür zu organisieren. Selbst ihr lange Zeit distanzierter Sohn schließt sich der Bewegung an. Der Film lässt sich aus heutiger Sicht nicht mit den üblichen Kategorien messen, stellt aber ein sehenswertes Dokument dar. Von der Botschaft her plump und oft mangelhaft in der formalen Umsetzung, ergeben sich verblüffende Einsichten in die innere Logik von Demagogien.
Gustav von Wangenheim: Kämpfer
Drama | UdSSR 1936 | 85 (gek. 80) Minuten
Regie: Gustav von Wangenheim
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Filmdaten
- Originaltitel
- BORZY
- Produktionsland
- UdSSR
- Produktionsjahr
- 1936
- Produktionsfirma
- Rot-Front
- Regie
- Gustav von Wangenheim
- Buch
- Gustav von Wangenheim
- Kamera
- Boris Monastyrski
- Musik
- Hans Hauska
- Schnitt
- Gustav von Wangenheim
- Darsteller
- Alexander Granach (Georgi Dimitroff) · Bruno Schmidtsdorf (Fritz Lemke) · Lotte Loebinger (Mutter Lemke) · Gregor Gog (Peters) · Ingeborg Franke (Anna)
- Länge
- 85 (gek. 80) Minuten
- Kinostart
- -
- Genre
- Drama | Arbeiterfilm
Diskussion
Hinter dem Studio-Namen „Rot-Front“ verbirgt sich eines der widersprüchlichsten Firmenkonglomerate, die die sowjetische Filmgeschichte hervorgebracht hat, einige der wichtigsten Produktionen gehen auf sie zurück („Aelita“, „Die Mutter“ oder „Der lebende Leichnam“). Als Aktiengesellschaft „Rus“ unmittelbar nach der Revolution von 1917 gegründet, firmierte sie später als „Meshrabpom-Rus“ (1924-1928), noch später als „Meshrabpomfilm“ (1929 - 1936), schließlich unter dem Namen „Rot-Front“. Zwischen 1926 und 1931 gab es mit der „Prometheus-Film“ sogar eine deutsche Dependance - die Brecht-Dudow-Kollaboration „Kuhle Wampe“ (1932) wurde noch aus der Konkursmasse dieses Ablegers hergestellt. Vorher konnten bereits andere Ausnahmefilme der Weimarer Republik wie „Schinderhannes“ (1928) oder „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ (1929) unter dem Dach der Firma realisiert werden. Mitte der 30er-Jahre, als der Binnenterror in der UdSSR eskalierte und endgültig noch das letzte, künstlerische Rückzugsgebiet okkupiert wurde, waren auch die Tage von „Rot-Front“ gezählt. Für zahlreiche deutsche Emigranten, die gerade dem Nationalsozialismus entronnen waren und für die die Sowjetunion die Hoffnung auf ideologische Heimat verkörperte, stellte das Studio eine kurze, trügerische Hoffnung nach autonomer Artikulation dar. Die Besetzungsliste von „Kämpfer“ liest sich wie eine Agenda des Scheiterns (teilweise auch wie ein Totenbuch); jeder einzelne Name erzählt Geschichten, die Stoff für gleich mehrere Filme und Romane bieten würden. Sei es Lotte Loebinger, die im Moskauer Exil mit dem KPD-Kader Herbert Wehner verheiratet war, sei es der zur kommunistischen Bewegung konvertierte Berliner „Vagabundenkönig“ Gregor Gog, der erschossen wurde, oder das Ehepaar Fritz Erpenbeck und Hedda Zinner, das in der frühen DDR zu militanten Einpeitschern und Brecht-Gegnern wurde. Das Bühnenbild stammt von keinem geringeren als von dem Jugendstil-Maler Heinrich Vogeler, der 1942 erbärmlich in Kasachstan verhungerte. Diesen Film heute zu sehen, heißt deshalb auch immer, das „Hotel Lux“ und den Gulag mitzudenken. Dabei stellen die Schicksale der Prominenten nur die Spitze des Eisbergs dar, unerzählt bleiben die der vielen Namenlosen, die von einem Tag zum anderen verschwunden sind, einfach nicht mehr am Drehort auftauchten; wie beispielsweise die der zahlreichen Kleindarsteller, die aus der vom NKDW aufgeriebenen Kabarett-Gruppe „Kolonne links“ oder aus wolgadeutschen Laienspielzirkeln rekrutiert worden waren.
Gustav von Wangenheim, der als Charakterdarsteller u.a. für Ernst Lubitsch („Kohlhiesels Töchter“, 1920) und Fritz Lang („Frau im Mond“, 1929) gearbeitet hatte, sich vor allem aber als unglückseliger Transsylvanien-Reisender Hutter in Murnaus „Nosferatu“ (1922) in die Filmgeschichte eingeschrieben hat, griff in seinem Regiedebüt auf eine Idee von Alfred Kurella zurück, des späteren, dogmatischen DDR-Kulturfunktionärs. Nicht ungeschickt verknüpft der Stoff den historisch konkreten Fall Georgi Dimitroffs mit einer auf proletarischem Niveau angesiedelten Komplementärebene: Der junge Kommunist Lemke wird von Nazis totgeschlagen, sein Tod aber offiziell als Selbstmord deklariert. Seine Genossen, allen voran Mutter Lemke, rennen gegen die Willkür an, sehen sich aber ohnmächtig gegenüber der mit NSDAP, SA und SS paktierenden bürgerlichen Justiz. Die hemmungslose Willkür radikalisiert den Widerstand, der spektakuläre Prozess gegen Dimitroff in Leipzig und der damit einhergehende Triumph dienen dabei als Leitbild und Hoffnungszeichen. Selbst der lange Zeit politisch passive Fritz Lemke, Bruder des Ermordeten, findet schließlich zur kommunistischen Bewegung, gewinnt damit gleichzeitig das Herz der angebeteten Anna: Politik und Liebe fließen zusammen: „Alles wird eins!“
„Kämpfer“ lässt sich aus heutiger Sicht nicht mit den üblichen filmästhetischen Kategorien vermessen, stellt dennoch aber ein unbedingt sehenswertes Dokument dar. Die Botschaft ist plump, es wimmelt von Fehlern, mitunter fallen die szenischen Überzeichnung derart grob, ja geradezu absurd aus, dass man einen frühen Mel Brooks auf dem Regiestuhl wähnt. Die Grenzen zwischen möglicherweise angelegter Stilisierung und blanker Entgleisung erweisen sich als fließend (zum Beispiel die Sauf- und Folterexzesse der Nazis). In den Fantasie-Uniformen vermischen sich heillos Rangabzeichen und Insignien von SS und SA, an den Wänden krakelige, teilweise falsch geschriebene Inschriften, der Schnaps fließt in Strömen. Sturmbannführer Eickhoff, ganz die blonde Bestie, führt mit dem „agent provocateur“ Peters einen dionysischen Tanz auf, dessen unterschwellige Homoerotik durch die flankierenden, teilweise besinnungslos übereinander liegenden Nazi-Schergen noch betont wird. Dann aber wieder subtilere Noten: Gregor Gog als Peters ist in seiner windhundartigen Zeichnung (mit knappem Anzug und in den Nacken geschobenem Hut) deutlich an Fritz Rasp als „Mann mit dem steifen Hut“ in Lamprechts „Emil und die Detektive“ (1931) angelegt. Als er von den kommunistischen Kindern durch die Straßen gescheucht wird, erfolgt sogar ein unmittelbares Zitat. Als Kinderstar ist der elfjährige Konrad Wolf zu bewundern; der Sohn des Dramatikers Friedrich („Zyankali“) und Bruder des späteren MfS-Generals Markus Wolf wartet sogar mit einigen Zeilen Text auf.
„Kämpfer“ löst ein Wechselbad an Gefühlen aus. Die Grenzen der Botschaft zwischen Naivität und Demagogie verschwimmen - es zeigt sich wieder einmal, wie eng behauptetes Gutmenschentum und praktizierter Terror nebeneinander liegen können. Eine Oszillation, die sich gleichermaßen im Film wie in den historischen Begleitumständen spiegelt. Selbstverständlich wurde dieses filmische Lehrstück 1939, nach dem Abkommen zwischen Ribbentrop und Molotow, in der Sowjetunion verboten. Zahlreiche Mitwirkende wurden vom NKDW direkt an die Gestapo überstellt. Und noch eine Fußnote der „Nachgeschichte“ (Vilém Flusser): Nachdem eine wichtige Magistrale Ost-Berlins bereits Anfang der 90er-Jahre in Danziger Straße rückbenannt wurde, erfolgte im vergangenen Jahr auch der Abriss eines gigantischen Mausoleums im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt Sofia, das einst dem Nationalhelden Georgi Dimitroff gewidmet war.
Ein in der Hochblüte des Stalinismus von deutschen Emigranten eingerichtetes filmisches Lehrstück, das vor dem Hintergrund des „Reichstagsbrand-Prozesses“ um Georgi Dimitroff die Geschichte einer kommunistisch geprägten Familie erzählt. Nach der Ermordung ihres Sohns durch Nazi-Schergen gelingt es der Mutter, aktiven Widerstand gegen die politische Willkür zu organisieren. Selbst ihr lange Zeit distanzierter Sohn schließt sich der Bewegung an. Der Film lässt sich aus heutiger Sicht nicht mit den üblichen Kategorien vermessen, stellt aber ein sehenswertes Dokument dar. Von der Botschaft her plump und oft mangelhaft in der formalen Umsetzung, ergeben sich verblüffende Einsichten in die innere Logik von Demagogien.
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