Grüne Wüste

- | Deutschland 1999 | 93 Minuten

Regie: Anno Saul

Zwei Heranwachsende hängen nach der Schule im Odenwald ihren Tagträumen nach, um der Enge ihrer fränkischen Heimat zu entfliehen. Als der Junge an Leukämie erkrankt, gewinnt für das Mädchen zunehmend eine alte Sage an Bedeutung, in der ein Ritter beim Versuch, seine entführte Frau zu befreien, den Tod fand. Leiser, eindringlicher Film über das Ende einer Kindheit, der durch seine visuelle Gestaltung und vor allem den ambitionierten Versuch überzeugt, einen neuen Zugang zum überfrachteten Topos des deutschen Waldes zu finden. - Ab 12.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1999
Produktionsfirma
Trebitsch Prod./ZDF
Regie
Anno Saul
Buch
Swenja Karsten
Kamera
Gero Steffen
Musik
Marcel Barsotti
Schnitt
Ingrid Broszat
Darsteller
Tatjana Trieb (Katja) · Robert Gwisdek (Johann) · Martina Gedeck (Doris) · Ulrich Noethen (Detlef) · Heino Ferch (Simon)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs.

Verleih DVD
McOne (2.35:1, DD2.0 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Man hat den Deutschen eine besondere Liebe zum Wald nachgesagt, weil er in ihren Liedern und Gedichten eine nennenswerte Rolle spielt. Was sich in solchen Zuschreibungen spiegelt, entstammt meist vergangenen Epochen, deren kulturelle Prägekraft längst erloschen ist. So hatte auch der deutsche Wald schon Jahre, bevor er im sauren Regen zu Grabe getragen wurde, in Alexandras trauriger Ode an den toten Baum quasi die Krise moderner Individualisierung durchlitten und war der deutsche Schlager schließlich bei Karl, dem Käfer, gelandet, nachdem Umweltthemen in die Parlamente Einzug gehalten hatten. Es mag daher zunächst überraschen, dass in Anno Sauls zweitem Spielfilm das schweigende Grün des Odenwalds eine nicht nur ästhetisch beeindruckende Revision erfährt: als ebenso rätselhafte wie widersprüchliche (Titel-)Metapher, die auf sehr unterschiedlichen Ebenen elementare Spannungen der Gegenwart zur Anschauung bringt. Der unverbrauchte Umgang mit dem überfrachteten Seelenbild bildet bei Saul den erzählerischen Rahmen einer Entwicklungsgeschichte an der Schwelle zum Erwachsensein, die lokale Bezüge mit universellen Themen verbindet. Denn „Grüne Wüste“ wagt den Ausbruch aus den stereotypen Großstadtmilieus und spielt tief in der fränkischen Provinz, wo sich zwei 14-Jährige nach der Schule in die Wälder flüchten, um in einer alten Burgruine ihren Fantasien nachzuhängen. Katja und Johann suchen dort nach den Spuren des tapferen Ritters Heinrich, der beim Versuch, seine entführte Frau zu befreien, den Tod gefunden haben soll. Was in der örtlichen Sage anklingt, das enge Wechselverhältnis von Liebe, Leidenschaft, Verlust und Tod, wird zum kreativen Resonanzraum für ihre beengten Lebensumstände: Beide Heranwachsende tun sich mit ihren Familien schwer. In der Ehe von Katjas Eltern kriselt es seit längerem; unter anderem auch, weil ihre Mutter ein Verhältnis mit Johanns Vater hat. Die Stille der sommerlichen Laubwälder und die spielerische Beschäftigung mit der Sage bieten ein Refugium, in dem auch die Zuneigung der Teenager scheue Knospen treibt - bis zu dem Tag, an dem Johann heftiges Nasenbluten befällt und Leukämie diagnostiziert wird. Während er auf der Intensivstation einer Frankfurt Krebsklinik verschwindet, bleibt Katja allein mit ihren Gedanken und der Figur des Ritters zurück, an dem sich ihre Ängste und Hoffnung so sehr kristallisieren, dass er ihr gelegentlich leibhaftig vor Augen tritt. Die schmerzhaften Prozesse der Pubertät werden noch dadurch beschleunigt, dass sich mit Johanns Erkrankung die Koordinaten der Erwachsenen verschieben; ihre gespannten Beziehungen explodieren, weil sich im Ansturm des Unheils die schwelenden Konflikte nicht länger verdrängen lassen. „Grüne Wüste“ ist ein leiser, eindringlicher Film, der immer wieder bildhafte Verdichtungen sucht, ohne die psychologische Feinzeichnung zu vernachlässigen. Nicht alles an ihm ist gelungen, vor allem die Besetzung der Erwachsenen lastet wie ein Mühlstein auf der filigranen Geschichte: Selten hat man Martina Gedeck oder Heino Ferch so hölzern und deplatziert erlebt; nur Ulrich Noethen als Katjas konfliktscheuer Vater gelingt es, seiner Figur den Anschein von Plausibilität zu verleihen. Was hier zu wünschen übrig lässt, wird von den Nachwuchsdarstellern Tatjana Trieb („Jenseits der Stille“, fd 32 278) und Robert Gwisdek mehr als ausgeglichen, die mit Ernsthaftigkeit und Intensität am Werke sind. Hoch spannend wird der emotional aufwühlende Film, wenn man nicht an Details kleben bleibt, sondern sich dem verhaltenen Duktus der unprätentiösen CinemaScope-Bilder überlässt und die schleichende Veränderung des Waldes spürt, der sich von der sonnendurchfluteten Oase zur fahlen Baumschlucht verwandelt. Der Doppelsinn des Filmtitels benennt die innere Bewegung des Dramas, das aus sommerlichen Gefilden in die Ödnis führt und in einem Brief Katjas an Johann gipfelt, in dem sie den Wald als alles verschlingende Macht beschwört, der das Dorf und mit ihm alle Einschränkungen vernichten soll. Katjas Grenzgänge ins Reich der Fantasie ermöglichen es ihr, mit den Ereignissen besser als die Erwachsenen fertig zu werden, die sich in ihre Neurosen einbetoniern. Sie ist die eigentliche Hauptfigur, deren Reifungsprozess mit aufschlussreichen Erfahrungsmomenten nachgezeichnet wird, wobei der Zuschauer nicht von heftigen emotionalen Wechselbädern verschont bleibt. Der Wald tritt im Lauf der Handlung visuell zwar etwas zurück, bleibt als zentrierendes, durchwegs ambivalentes Sujet jedoch präsent: nicht als Sphäre romantischer Schwärmerei, sondern „lediglich“ als ästhetisches Material künstlerischer Subjektivität. Inwieweit man einen solchen Umgang mit dem Nationaltopos noch als „deutsch“ charakterisieren will, scheint angesichts der Zeitläufte zwar eine altmodische, aber anregende Frage.
Kommentar verfassen

Kommentieren