Närrische Weiber

Drama | USA 1920/21 | 120 (VoD: 143) Minuten

Regie: Erich von Stroheim

In Monte Carlo trifft ein Hochstapler auf den amerikanischen Botschafter und dessen Frau, die zum Spielball seiner Interessen werden, als er die Frau verführt. Kunstvoll rekonstruierte Fassung des Stummfilmklassikers, der als entlarvende Farce auf die Welt der Reichen, die sich als Fälschung und Lüge entpuppt, fesselt. Stroheims zynischer Generalangriff auf die Repräsentanten der feinen Gesellschaft wartet mit faszinierenden Bildern und unvergesslichen Licht- und Schattenwechseln auf. (Vor der Restaurierung lag der Film auch in einer starken gekürzten Fassung von 70 Minuten vor.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FOOLISH WIVES
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1920/21
Produktionsfirma
Universal
Regie
Erich von Stroheim
Buch
Erich von Stroheim
Kamera
Ben Reynolds · William Daniels
Musik
András Hamary
Schnitt
Erich von Stroheim · Arthur D. Ripley
Darsteller
Erich von Stroheim (Graf Wladislaw Sergius Karamzin) · Maude George (Prinzessin Olga Petschnikoff) · Mae Busch (Prinzessin Vera Petschnikoff) · Rudolph Christians (Andrew J. Hughes) · Robert Edeson (Andrew J. Hughes)
Länge
120 (VoD: 143) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Stummfilm
Externe Links
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Diskussion
Ein Film – morbid, dekadent und zynisch. Ein Frontalangriff auf die Repräsentanten der feinen Gesellschaft, der Politik, auf die guten Traditionen. Ein Skandalon, 1922, in den USA. Der Held, der falsche „Graf“, ein Gourmet, Hochstapler, Frauenschänder und Dragonerhauptmann aus Petrograd (laut Visitenkarte), entlockt dem Abenteuer Leben den letzten Zauber, das letzte Tabu. Demgegenüber ist der steife, in Fragen der Etikette ungeübte US-Botschafter ein Trottel und Schwächling. Das temperamentvolle Europa triumphiert über das naiv-verklemmte Amerika und decouvriert 1919, wenige Monate nach dem Ersten Weltkrieg, den Vergnügungsort der Hautevolée, Monte Carlo, als eine moralische Farce. Die scheinbar sichere Oberfläche einer gerade wieder intakten Welt der schönen Reichen entpuppt sich als Fälschung und brodelnder Vulkan.

Erich von Stroheim, der grausame Moralist des Kinos, entlarvt hinter der Maske des sardonischen Lächelns den Macho, durch die Verbindung von Geld und Sex die Geilheit seiner Männerfantasien. Der „realisateur maudit“ und sein obsessiver Detailrealismus entlocken dem Glanz des schönen Scheins eine neue Dimension von Gier, dunkler Leidenschaft der Seele und gesellschaftlicher Krankheit. Überall nur Lug und Trug. Alles ist käuflich. Hier wird die Faszination der Kommerzialisierung der Gefühle und Triebe gefeiert. Auf allen Ebenen. „Foolish Wives“ ist eine Kampfansage wie Buñuels „Un chien andalou“ oder „L’age d’or“. Den amerikanischen Botschafter - er ist ein unromantischer „blinder“ Ehemann - überfordert die Etikette. Und seine unbefriedigte Frau liest zufällig ein Buch mit dem Titel „Foolish Wives“, während der falsche Aristokrat ihre Beine mustert. Er und seine „Cousinen“ sind Entwurzelte und Hazardeure, das neue Terrain sondierend. Und überall sind noch Spuren des gerade beendeten Krieges: versehrte Veteranen, spielende Kinder mit Soldatenhelmen, nur en passent eingestreut.

Der ursprünglich auf sechseinhalb Stunden konzipierte Film wurde für die Premiere nach einer Testvorführung auf dreieinhalb Stunden, für den Massenstart um weitere anderthalb Stunden gekürzt. Die Wiederaufführung 1928 war noch einmal 30 Minuten kürzer. „Sie zeigten nur das Skelett meines toten Kindes“, klagte Stroheim. „Närrische Weiber“ ist und bleibt ein Torso, eine Ahnung von der Poesie, der Sprengkraft der Kinematografie auf dem Zenit seiner Entwicklung. Ein Dokument der vielen Leerstellen – geschändet, verstümmelt, verfälscht. Es sind nur zwei zensierte Versionen bekannt: eine amerikanische vom Ende der 20er-Jahre und eine viragierte, europäische Exportkopie (aus der Cineteca Italiana in Mailand), die zusätzliche Einstellungen enthält, hinsichtlich Szenenabfolge und Inszenierungsstil aber differiert. Die europäische Fassung besitzt eine homogene Bildqualität, gilt als authentisch bezüglich Schauspielerführung, Schnitt und Kameragestaltung. Für die Fernsehpremiere wurden die italienischen gegen die amerikanischen Zwischentitel ausgetauscht und um 40 gestrichene Titel ergänzt. Sie weist im Gegensatz zur Rekonstruktion des American Film Institute von Anfang der 70er-Jahre die wunderschönen überlieferten Viragen auf – gelb, orange, blau (Tinting) und blauorange (Tinting und Toning). Das lässt – insbesondere bei Aktwechseln - über einzelne Beschädigungen der sprunghaften Kopie hin wegsehen.

Der Film hat faszinierende Bilder: unvergessliche Licht- und Schattenwirkungen, flirrende Aufnahmen einer sturmgepeitschten Landschaft, verstörende Halbnah- und Nahaufnahmen fragender, verzweifelter Gesichter. Die aufwühlende, furiose Sequenz des Unwetters, wenn das Boot mit Karamzin und der Frau des Botschafters sich immer mehr mit Wasser füllt, er sie an Land, in die Hütte trägt. Die Totale bei Nacht mit dem Widerschein von Karamzins Figur im beleuchteten Fenster. Ist das Nosferatu, ein Vampir in Menschengestalt? Ein Getriebener seiner Obsessionen, ein Opfer? Das Meer im Hintergrund der Villa Amorosa, das Hôtel des Rêves, die Hütte für den Unterschlupf. In der Nacht, stahlblau, eiskalt, voller Sinnlichkeit und Versuchung, stiehlt sich Karamzin, entlarvt und gedemütigt vom Botschafter, hinaus in die Finsternis, steigt in das Zimmer der Tochter des Geldfälschers, um sich an ihr zu vergehen (Szene fehlt). Und immer wieder sind es die Blicke, die stummen, zustimmenden, fragenden, vortäuschenden Blicke, das aufgesetzte Monokel, das als Kameraauge und Irisblende fungiert. Die neue Musik stammt von dem 1950 in Budapest geborenen András Hamary, seit 1986 Professor für Klavier in Würzburg. Seine Komposition für sieben Soloinstrumente wurde mit ihm am Klavier vom Ensemble KONTRASTE unter Leitung von Frank Strobel präzise und virtuos eingespielt. Sie nimmt das Tempo der Handlung geschickt auf, die Figuren gut charakterisierend. Im Klang der einzelnen Instrumente, im Wechsel der Tempi stellen sich so Thrill und Suspense ein.
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