Maboroshi - Das Licht der Illusion

Drama | Japan 1995 | 110 Minuten

Regie: Hirokazu Kore-eda

Der rätselhafte Tod ihres Mannes stürzt eine unter der traumatischen Erfahrung des Selbstmordes ihrer Großmutter leidende junge Frau in tiefe Depressionen, aus der sie auch eine neuerliche Heirat zunächst nicht herausreißen kann. Erst allmählich gelingt es ihrem Mann, sie mit der Schönheit der Natur zu versöhnen, so daß sie sich in den Rhythmus von Leben und Sterben, Freude und Trauer einfügen kann. Ein minimalistisch, kalligrafisch hingehauchter Film, der wie beiläufig und tief poetisch die Themen Stille, Einsamkeit, Menschlichkeit und Religiosität behandelt. Fern von bedeutungsvollen Metaphern läßt er die Natur und die Gesichter der Menschen für sich sprechen, wobei der Gegensatz von Licht und Schatten sowie lange Einstellungen den kontemplativen Charakter verstärken. Eine außergewöhnliche Reflexion über den Fluß des Lebens. (O.m.d.U.; TV-Titel: "Das Licht der Versuchung") - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
MABOROSHI NO HIKARI
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
TV Man Union
Regie
Hirokazu Kore-eda
Buch
Yoshihisa Ogita
Kamera
Masao Nakabori
Musik
Chen Ming-Chang
Schnitt
Tomoyo Oshima
Darsteller
Makiko Esumi (Yumiko) · Takashi Naito (Tamio) · Tadanobu Asano (Ikuo) · Midori Kiuchi (Michiko, Yumikos Mutter)
Länge
110 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Trigon (16:9, 1.66:1, DD2.0 jap.)
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Diskussion
Mit „Das Licht der Versuchung“ ist eines der schönsten und nachhaltigsten Erstlingswerke der letzten Jahrzehnte zu sehen. Es betritt eine Ebene, eine Kategorie von absoluter Präsenz, Meditation, Kontemplation, Stille, Einsamkeit, Menschlichkeit und Religiosität. Und es behandelt diese großen Themen so leicht, so beiläufig, so tief poetisch, daß man wirklich sehen, hören und förmlich fühlen kann, wie die Personen, die Gegenstände, die Landschaften, die Elemente atmen, kommen und gehen im Fluß des Lebens, im Rhythmus des Gleichklangs, eins mit der Natur. In einer Traumsequenz erinnert sich eine 25jährige verheiratete Frau an einen großen Verlust: Als Yumiko zwölf Jahre alt war, verließ ihre über alles geliebte Großmutter die Familie in der Stadt, um in ihrem Heimatdorf zu sterben. Unglücklich darüber, daß sie ihren Tod, den Selbstmord nicht verhindern konnte, erwacht Yumiko aus diesem Traum. Sie selbst führt ein scheinbar glückliches und zufriedenes Leben. Ihr Mann Ikuo arbeitet in einer nahegelegenen Fabrik. Yuichi, ihr gemeinsamer Sohn, ist gerade einmal drei Monate alt. Die kleinen Dinge des Lebens – der Diebstahl eines Fahrrades, das dröhnende Radio der Nachbarn, der regelmäßige Besuch des Cafes – kennzeichnen den friedvollen, idyllischen Alltag. Da klingelt eines Tages die Polizei: Ihr Mann ist verunglückt, offensichtlich durch Selbstmord. Die junge Ehefrau steht vor einem Rätsel. Die Schwiegermutter macht ihr Vorwürfe. Voller Trauer zieht sich Yumiko vom Leben zurück. Fünf Jahre später heiratet die junge Witwe auf Drängen einer Heiratsvermittlerin erneut. Tamio, ihr zweiter Mann, lebt mit seiner achtjährigen Tochter in einem kleinen Fischerdorf am Meer. Yumikos Leben scheint wieder an Stabilität zu gewinnen. Einige Monate später folgt sie der Einladung ihres Bruders zur Hochzeit in die Stadt. Die Vergangenheit, die Trauer um den verstorbenen Mann, überfällt Yumiko von neuem. Zurück im Fischerdorf, erzählt ihr an einem Wintermorgen eine alte Fischerin vom Fang der Taschenkrebse, und auch jene scheint plötzlich nicht zurückzukehren. Die Frau stürzt in neue Depression. Bald danach betrachtet sie vom Kliff aus einen Trauerzug vor einem träumerischen Horizont. Yumiko rätselt wieder um den Tod ihres ersten Mannes. Da entgegnet Tamio, sein Vater, ein Fischer, pflegte zu sagen, irgendwie werden alle Menschen von einem wundervollen Licht des Meeres angezogen. Der Frühling zieht ein, und Yumiko ist geheilt. Das offene Fenster mit Blick auf das Meer verheißt ein neues Leben.

„Das Licht der Versuchung“ ist ein stiller, leiser Film: minimalistisch, kalligraphisch, puristisch. Hingehauen wie ein Monolith, so in sich selbst ruhend und Größe ausstrahlend wie nur wenige Meisterwerke der Filmgeschichte. Mit einem Hang zur Ästhetik des Stummfilms – im Meer, in den Wellen des Ozeans versinkend, in die unendlichen Weiten des Universum schwebend. Eine Dimension jenseits der lärmenden, entmündigenden Gegenwart, in das Gestern und Morgen gleitend, ohne den Weg des Fatalistischen, der Flucht zu beschreiten. Das Schweigen, die Trauer und die gesamte Atmosphäre des Films erweisen den großen Meistern des japanischen Kinos – Ozus „leeren Bildern“, Mizoguchis unvergleichlichen Frauenfiguren, Naruses Melodramen – ihre Referenz. Hirokazu Kore-Eda schätzt aber auch Theo Angelopoulos, Hou Hsiao-hsien oder Robert Bresson. Eine gewisse Nähe zu dem Polen Krzysztof Kieslowski oder dem Portugiesen Manoel de Oliveira ist ebenfalls nicht zu leugnen. Das Wissen, das Bewußtsein vom Leben und Sterben, von Trauer und Freude bestimmt und durchzieht alle Räume, Stadtansichten, Landschaften sowie den Wechsel der Jahreszeiten. Yumiko, glänzend gespielt von dem japanischen Model Makiko Esumi, ruht ganz in ihrem Schicksal, ihrem unterkühlten Pessimismus. Mit dem Tod, dem Verlust der Großmutter, einer traumatischen Kindheitserfahrung, wird die Angst zum ständigen Begleiter. Sie nährt die Furcht, jeden zu zerstören, umzubringen. Die essentiellen Werte des Lebens, die Familie, das Zuhause, sie sind immer in Gefahr. Das stille, introvertierte Ritual der Trauer zeigt aber auch die Dimension und die Funktion der Zeit für den Menschen, die Vergänglichkeit alles Irdischen. Die Kräfte zur Überwindung liegen außerhalb des Menschlichen – in der Natur, im Meer, im reinigenden Regen, in der Spiritualität. Der Regisseur erzählt seine Geschichte ohne bedeutungsschwere Metaphern, ohne effektvolle Dramatik, ohne eine moralische Wertung oder Botschaft. Yumikos Gefühle sind nur in der Beobachtung der Alltagsrituale, der Routine ablesbar. Lautes Wehklagen und Tränen des Schmerzens wird man vergeblich suchen. In winzigen Gesten, kleinen Details, wie einem Blick, einem Lächeln, in der Stille, im Wechsel von wolkig-grauen zu sonnendurchfluteten, glücklichen Tagen deutet sich ein Stimmungsumschwung an. „Das Licht der Versuchung“ ist komponiert um das Gegensatzpaar Licht und Schatten, von einer expressiven visuellen Handschrift und Ursprünglichkeit, welche in langen Einstellungen, wenigen Großaufnahmen und fehlenden Kamerafahrten die nötige Distanz, die Bewegungslosigkeit und -unfähigkeit ausdrückt. Auf der Ebene des Tons wird diese Aura des Films ergänzt durch geheimnisvolle Töne von lauten, wie ziellos dahinfahrenden Zügen, dem Fahrradklingeln, der rauschenden Brandung des Meeres, dem Wehen des Windes.
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