Die Geschichte sei "älter als die Zeit", heißt es im Titelsong. Jedenfalls ist sie beträchtlich älter als das Kino, und wie es sich für ein Märchen gehört, ist sie immer wieder und in unzähligen Varianten erzählt worden. Am bekanntesten ist wohl die der französischen Romantikerin Madame le Prince de Beaumont, die auch Jean Cocteau zu seinem Film "Es war einmal" ("La Belle et 1a Bête" (fd 149) inspirierte. Aber, wie gesagt, Märchen sollte man immer wieder von Neuem erzählen. Walt Disney wollte dies ursprünglich schon Ende der 40er Jahre in Angriff nehmen, entschied sich dann aber für ein anderes Märchen - das vom Aschenputtel. Das Grundmotiv ist beiden gemein: die Suche nach der Schönheit im Verborgenen.In einem Dorf in der französischen Provinz lebt das Mädchen Belle, das sich von den übrigen Dorfbewohnern nicht nur durch seine Schönheit unterscheidet. Unablässig liest Belle in Büchern von einer Welt, die nicht mit der Dorfgrenze endet. Ihr Kleid ist blau, was sie dem bäuerlichen Milieu auch für den Zuschauer entrückt. Blau war schon die Fee in "Pinocchio", und auch Disneys "Dornröschen" trug diese Farbe. Es ist die Farbe der Ferne, und in diese schweift Belle unablässig in ihren Tagträumen. Nichts interessiert sie weniger als das Buhlen des einfältigen, aber gutaussehenden Dorfmachos Gaston. Eines Tages verirrt sich ihr Vater im Wald. Als er in einem Schloß Schutz sucht, begrüßt ihn ein liebenswertes, aber sonderbares Empfangspersonal, angeführt vom sprechenden Kerzenleuchter "Lumière". Weit weniger freundlich ist der Hausherr: das "Biest" (das präziser übersetzt "Bestie" hieße). Dieses ist in Wahrheit ein verzauberter Prinz, der einmal den Fehler begangen hatte, eine alte Bettlerin abzuweisen, die ihn darauf mit einem Fluch belegte: wahre Schönheit sei eben nicht äußerlich. Würde das Biest nicht bis zum 21. Geburtstag die Liebe eines Mädchens gewinnen, sei ihm die furchterregende Gestalt für immer gewiß. Liebenswert ist das jähzornige Biest aber in keiner Weise - Belles Vater jedenfalls wirft es kurzerhand in den Kerker. Belle, die ihren vermißten Vater im Schloß aufspürt, bietet ihre eigene Freiheit zum Tausch. Bald erahnt sie die menschliche Seele des Biestes, das sich - unter fachkundiger Anleitung des Zeremonienmeisters "Lumière" sowie der Uhr "von Unruh" und der Teekanne "Madame Pottine" langsam Manieren angewöhnt. Die sich anbahnende Romanze wird jäh vom Überfall des eifersüchtigen Gaston unterbrochen, der die Dorfbewohner gegen das Biest, das Belle die Freiheit geschenkt hat, aufhetzt. Wenn nach dramatischem Kampf doch noch ein märchenhaftes Finale die Liebenden vereint, ist das nicht zuletzt das Verdienst der hilfreichen Hausgegenstände, die gemeinsam mit dem Biest ihre menschliche Gestalt zurück erhalten."Die Schöne und das Biest" ist der künstlerisch bedeutendste Trickfilm des Disney-Studios seit "Das Dschungelbuch" vor 25 Jahren
(fd 15 898) - tricktechnisch weist er freilich weit darüber hinaus. In der Trickfilmgeschichte gab es bisher eine feste Zeitrechnung: "Fantasia" von 1940 (fd 2178) galt als das Non plus ultra des Möglichen im Grad der Verlebendigung von Zeichnung und Malerei. Als sich das Studio seit "Falsches Spiel mit Roger Rabbit"
(fd 27 150) anschickte, dieses Vorbild zu übertreffen, konnte man das Tempo des Innovationsschubs im Trickfilm noch nicht absehen. Nun ist dieses Ziel erreicht. Nie zuvor wurde solch eine Räumlichkeit suggeriert, wie sie etwa in der grandiosen Tanzszene - einer Hommage an "Cinderella", die ihr Vorbild weit hinter sich läßt -, aber auch in so nebensächlichen Gegenständen wie einem perspektivisch vorbeifahrenden Pferdewagen ständig präsent ist. Die Walzer-Szene, deren fulminante Kreisfahrt nur durch Computerhilfe möglich war, weist den Trickfilm aber auch in seine Grenzen. In dem Moment, in dem der naturalistische Kronleuchter nicht mehr als Malerei, sondern als Computersimulation erscheint, entsteht ein Stilbruch, der leicht zu einer Entzauberung des Trickfilmwunders führen könnte.Erfreulicher noch als alle technischen Errungenschaften ist aber der künstlerische Einfallsreichtum des Films. Die verlebendigten Hausgegenstände, insbesondere eine schier umwerfende Choreografie der Teller, Tassen und Zuckerdosen zum Lied "Be Our Guest", lösen sich vom Diktat des Gegenständlichen, vom Immitat der Realität und weisen zurück zu den Ursprüngen der Trickfilmkunst, als einfach alles erlaubt war, was gefiel. Denn schließlich gibt es nichts, was Trickfiguren unmöglich wäre, solange man es nur zeichnen kann. Nun ist über alle visuelle Sensation fast unerwähnt geblieben, daß "Die Schöne und das Biest" ein anrührender, mitreißender und familiengerechter Märchenfilm ist, der auch beim zweiten Anschauen noch unzählige Entdeckungen bereit hält.