Sturm über Asien (1928)

Drama | Russische Föderation 1928 | 127 (gek. 88) Minuten

Regie: Wsewolod Pudowkin

Ein mongolischer Landmann schließt sich während des Bürgerkriegs in Russland den Partisanen an, wird von britischen Interventionstruppen zum Tode verurteilt und später als angeblicher Nachkomme Dschingis Khans benutzt, ein neues Kaiserreich auszurufen. Er besinnt sich auf die revolutionären Ideale und setzt sich an die Spitze seiner Landsleute, um den titelgebenden Sturm zu entfesseln. Das Schicksal dieses Mannes orientiert sich nicht an der historischen Wirklichkeit, sondern symbolisiert die Idee der Revolution. Der künstlerisch und filmhistorisch gleichermaßen wichtige Stummfilm, vital, mitreißend und mit unvergesslichen Bildfolgen, wurde 1949 mit Dialogen nachsynchronisiert. 1977 erfolgte eine 127-minütige Rekonstruktion des stark gekürzten Films, die nun auf den neuesten Stand der Technik gebracht und mit einer neuen Musik unterlegt wurde. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
POTOMOK TSCHINGIS-CHANA
Produktionsland
Russische Föderation
Produktionsjahr
1928
Produktionsfirma
Meshrabpom
Regie
Wsewolod Pudowkin
Buch
Ossip Brik
Kamera
Anatoli Golownja
Musik
Bernd Schultheis
Darsteller
Waleri Inkischinoff (Bair, der Mongole) · I. Dedinzeff (britischer Kommandant) · Anna Sudakewitsch (Tochter des Kommandanten) · L. Billinskaja (Frau des Komandanten) · Alexander Chystjakow (Anführer der Partisanen)
Länge
127 (gek. 88) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
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Heimkino

Die DVD von Icestorm enthält die gekürzte Version des Films (84 Min.). Die DVD von Absolut Medien enthält die Langfassung des Films (127 Min.) und zudem als ein ausführliches Interview mit dem Komponisten der (neuen) Filmmusik (56 Min.) sowie ein erhellendes Booklet (32 Seiten).

Verleih DVD
Icestorm & absolut (FF, DD2.0)
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Diskussion
Die poetischen Bilder der weiten mongolischen Steppe, die Charakterisierung der einfachen Bevölkerung bilden das Fundament von Wsewolod Pudowkins letztem Stummfilm. Aus dieser Einheit von Landschaft und Mensch entwickelt sich der Reifeprozess eines unpolitischen Nomaden zum wertvollen, selbstbestimmten Mitglied der neuen sowjetischen Gesellschaft, das nach der Oktoberrevolution Moskaus Losung gehorcht. Der Aufbruch aus kolonialer und religiöser Unterdrückung fegt am Ende die alten Herren und Vertreter des Imperialismus im Sturm der Geschichte mit einer furiosen, dialektischen Parallelmontage à la Griffith hinweg. In einem Interview der New York Times gestand Pudowkin 1929: „Damals konnte ich Griffiths Meisterwerk ‚Intolerance’ sehen. In diesem wunderbaren Werk sah ich zum ersten Mal die Möglichkeiten des epischen Films. Ja, Griffith war in der Tat mein Lehrer. Später sah ich ‚Broken Blossoms’ und geriet noch mehr unter seinen Einfluss. Meine ersten drei Filme entstanden deshalb unter dem Einfluss dieses großen amerikanischen Regisseurs.“ Zentralasien um 1920: In der mongolischen Steppe liegt ein alter Nomade krank in seiner Jurte. Ein buddhistischer Lama, Heiler und Steuereintreiber des Klosters, begehrt für seine Dienste das schöne Fuchsfell: Bair, der Sohn des Kranken, soll es auf dem Markt für 500 Silberstücke veräußern. Nach einem Handgemenge flieht der habgierige Mönch und verliert dabei ein heiliges Amulett. Dieses erhält Bair von seiner Mutter und reitet in die Stadt, wo ihn der britische Pelzhändler Smith mit ein paar Münzen für das prächtige Fell abspeisen will. Der stolze Besitzer entreißt es dem Aufkäufer und verletzt dessen Buchhalter im Streit. Vor den herbeigerufenen Soldaten flieht der junge Mongole in die Taiga und findet Schutz bei Partisanen. Während die Besatzungsmacht sich beim Tempelfest mit der religiösen Autorität arrangiert, sollen die Nomaden 200 Stück Vieh abliefern und proben den Aufstand. Bair wird beim Gefecht gefangen und zum Tode verurteilt. Kurz darauf entdecken die Briten ein Dokument, das den Inhaber als Nachkommen Dschingis-Khans ausweist. Sie retten den Schwerverletzten, um mit ihm als Marionette das Land zu beherrschen. Beim prachtvollen Empfang sieht der Auserwählte seinen wertvollen Silberfuchs am Hals der Kommandantentochter wieder und lehnt nach der Tötung eines Partisanen die Kollaboration mit den Besatzern ab. Bair führt seine Landsleute zum Aufstand gegen die Kolonialherren: Mit dem Krummsäbel löst er wie ein apokalyptischer Reiter einen Sturm über Asien aus. „Sturm über Asien“ ist ein episches Revolutionsdrama, ein Propagandafilm von hohem künstlerischen Rang, ein Meilenstein der sowjetischen Kinematografie. Nach „Die Mutter“ (1926, fd 15 416) und „Das Ende von St. Petersburg“ (1927) war dem Abschluss der Revolutions-Trilogie Pudowkins ein ambivalentes Schicksal beschieden. Der Moskauer Uraufführung am 11. Oktober 1928 folgte die deutsche Premiere im Berliner Capitol am Zoo am 6. Januar 1929 mit der Begleitmusik von Werner Schmidt-Boelcke in Anwesenheit des Regisseurs. Fünf Tage später warf das Zentralkomitee der KPdSU unter Stalins Leitung Pudowkins und Eisensteins Montageprinzipien „ungenügende ideologische und theoretische Reife“ und „formalistische Irrwege“ vor. Auch Siegfried Kracauer urteilte nach der Deutschlandpremiere in der Frankfurter Zeitung ziemlich salopp über Pudowkins Regieleistung: „Mit jener derb zupackenden aufklärerischen Gesinnung, die den ersten Zügen der revolutionären Aktion legitim zugeordnet ist, später aber nicht mehr allein voran trägt, zeigt er von neuem die Interessengleichheit von weltlicher Gewalt und Priesterherrschaft; deckt Analogien auf, die schon längst aufgedeckt und mittlerweile in den Hintergrund gerückt sind. Die Primitivität seiner Argumente ist von der Geschichte der letzten Jahre überholt. Es wäre an der Zeit, dass die russische Filmkunst der Wirklichkeit nacheilte.“ Im März 1933 stellte die Münchner Landesfilmstelle der NSDAP den Antrag, Filme rein kommunistischen, marxistischen und pazifistischen Inhalts – darunter „Sturm über Asien“ – zu verbieten. Und im gleichen Jahr erhielt Pudowkin nach der Verwendung asynchroner Geräusche in seinem ersten Tonfilm „Der Deserteur“ ein fünfjähriges Drehverbot! 1949 tauchte der in den Archiven versteckte „Sturm über Asien“ als neu bearbeitete Fassung ohne Mitwirkung des Regisseurs in Moskau auf: um 40 Minuten gekürzt, verfälscht (aus Engländern werden Amerikaner!), umgeschnitten und mit Dialogen versehen. Die DEFA erstellte eine deutsche Synchronfassung des Torsos. Zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution, am 7. November 1977, strahlte das ZDF eine mit Hilfe des Moskauer Filmarchivs Gosfilmofond, des Münchner Filmmuseums sowie des Komponisten und Dirigenten Schmidt-Boelcke erarbeitete Rekonstruktion der Originalfassung her. Die Idee vom Gesamtkunstwerk Film – das 1928 von Pudowkin, Eisenstein und Alexandrow verfasste „Manifest zum Tonfilm“ stand Pate – führte bei Schmidt-Boelcke zur Verwendung von Musiken russischer Komponisten wie Strawinsky, Mussorsgsky, Tschaikowsky, Rimski-Korsakow und Schostakowitsch, die er mit auf Originalinstrumenten gespielter mongolischer Tempelmusik kombinierte. Diese Wiedergutmachung an „Sturm über Asien“ blieb trotz der erfolgreichen Präsentation einem Großteil der Fachwelt verborgen: Die Besprechungen in Metzlers Filmlexikon und Reclams Filmklassiker etwa erwähnen diese international für Aufsehen sorgende Rekonstruktion mit keiner Silbe. Nun zeigt arte eine wunderbar restaurierte Version, die auf den neuesten Stand der Technik gebracht wurde, mit einer neuen Musik von Bernd Schultheis, eingespielt vom ensembleKONTRASTE unter Leitung von Frank Strobel bei den Erlanger Stummfilmmusiktagen 2008. Der authentische, dokumentarisch-ethnografische Impetus des Films kommt in beiden Musikinterpretationen gut zum Ausdruck: Spannung und Ambivalenz zwischen Volk und Besatzungsmacht, Individuum und Masse, Stadt und Land unterstreichen die atemberaubende dramaturgische wie ästhetische Konzeption. Schultheis kombiniert die Klangwelten des europäischen Westens mit den asiatischen Melodien, Gesängen und Zeremonien der Nomaden und Mönche – manchmal bildsynchron, manchmal kontrapunktisch, ideologiekritisch und auch ironisch. So entsteht ein der Bildästhetik adäquates Klangspektrum, das vom melancholischen Fatalismus und vom Melodrama bis zum zeitlosen Revolutionslehrstück reicht.
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