Mit seiner Rolle als weiser Zauberschuldirektor Albus Dumbledore in den „Harry Potter“-Filmen eroberte der 1940 geborene britisch-irische Schauspieler weltweit die Herzen des Kinopublikums; zuvor hatte er sich in seiner Heimat als Bühnen- und Filmdarsteller längst einen Namen gemacht, zahlreiche Theaterpreise kassiert und war bereits 1998 von der Queen geadelt worden. Nun ist der exzentrische Charakterkopf im Alter von 82 Jahren verstorben. Ein Nachruf.
Die „Harry Potter“-Reihe steht in der Filmgeschichte nicht gerade als Unterfangen dar, mit dem sonderlich gewagte Entscheidungen verbunden werden. Doch nachdem die ersten beiden Filme 2001 und 2002 das Verkaufsphänomen in geschickt durchgeplante, aufwändige und publikumswirksame Kino-Unterhaltung überführt hatten, standen für den dritten Film „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ gleich zwei gravierende Änderungen an. Zum einen machte Regisseur Chris Columbus, der sich der Vorlage mit Respekt, aber ohne nennenswerte eigene Handschrift angenommen hatte, Alfonso Cuarón Platz und damit einem ambitionierten Filmemacher mit Verständnis auch für die dunkleren Elemente des Stoffs. Zum anderen musste bereits für diesen dritten Film mit dem Zauberschulleiter Dumbledore eine der wichtigsten Rollen neu besetzt werden, nachdem ihr ursprünglicher Darsteller Richard Harris gestorben war.
Dass die Wahl der Verantwortlichen auf den als Theaterschauspieler gefeierten, bereits 1998 geadelten, im Kino aber weit weniger bekannten Michael Gambon fallen würde, war durchaus eine Überraschung, die sich aber als Glücksfall herausstellte. Der Übergang von Harris zu Gambon gelingt nahtlos, was nicht nur an den für einen Schauspieler-Austausch günstigen äußeren Voraussetzungen der Dumbledore-Figur (wallendes Haar, langer weißer Bart, den Körper verhüllende Gewänder) liegt oder an Michael Gambons Entscheidung, Harris’ leichten irischen Akzent aufzugreifen. Der zweite Dumbledore-Darsteller ist vor allem deshalb ideal für die Rolle, weil er die beiden Hauptaufgaben als integrer Schulleiter und Mentor der Titelfigur gleichermaßen überzeugend ausfüllt. Die eloquenten Auftritte in der Großen Halle des Internats, die den einzelnen Schuljahren die Richtung vorgeben beziehungsweise diese zusammenfassen, sind dankbare Betätigungsstätten für Michael Gambons sonoren Bariton und eine stets mitschwingende Schalkhaftigkeit; die intimen Konversationen mit Harry Potter und anderen Vertrauten erlauben eindringliche Ansprachen, unterstützt durch Gambons wache, aufmerksame Augen. Über sechs Filme hinweg sind die wenigen, aber umso intensiveren Momente zwischen Gambons Dumbledore und Daniel Radcliffes Harry, vor allem angesichts der immer bedrohlicher werdenden äußeren Umstände durchs Erstarken des bösen Zauberers Voldemort und seiner Vasallen, unverzichtbare Haltepunkte der Ruhe und des Trostes.
Exzentrik und Schabernack
Michael Gambon sah Dumbledore nicht unbedingt als große Herausforderung an, ließ sich aber bereitwillig in das Massenphänomen „Harry Potter“ eingliedern, nahm den bis dahin nicht gekannten Fankult hin und bezeichnete auch die Dreharbeiten als großes Vergnügen. Obwohl der Schauspieler für seine Übertreibungen und erfundenen Aussagen in Interviews – die er verabscheute – bekannt war, dürfte ihm die Persönlichkeit Dumbledores tatsächlich sehr gelegen haben. Die dem Zauberer eigene Exzentrik bis hin zur Bereitschaft zum Schabernack hatten Großbritanniens Theaterkritiker auch bei Michael Gambons Bühnenauftritten immer wieder notiert und auch dem Privatmenschen mit Blick auf sein Interviewverhalten und ungewöhnliche Hobbys (Sammeln von antiken Uhren und Schusswaffen) zugeschrieben.
Darin war der 1940 Geborene dem zwei Generationen älteren Ralph Richardson vergleichbar, dem er auch äußerlich mit der robust-stämmigen Gestalt, dem runden Gesicht und den dichten Augenbrauen ähnelte. Wie dieser war Michael Gambon ein erklärter Instinkt-Schauspieler, der Charaktere nicht mühsam ausforschte, sondern ohne große Überlegung in sie hineinschlüpfte, wobei er vor allem für Sanguiniker mit temperamentvollen, oft auch derben Ausbrüchen wie geschaffen schien.
Ein Herz für Schurken
Eine seiner wenigen Kino-Hauptrollen lässt ihn diese Gabe nach Kräften auskosten: In „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ (1989), Peter Greenaways gediegen ausgestatteter Hommage an die Gewaltorgien des jakobäischen Theaters, verbeißt sich Michael Gambon wie ein Kampfhund in den Part des ordinären, hemmungslos brutalen Gangsters Albert Spica. Ein Primitivling, der sich mit edlen Speisen und schönem Ambiente umgibt, ohne seine innere Hässlichkeit damit kaschieren zu können, und der seine Frau und seine Untergebenen genauso übel traktiert wie seine Feinde. Die widerliche Ausgestaltung der Figur nimmt ihr jedoch nichts von ihrer Faszination und verhilft Michael Gambon zu weiteren Leinwandschurken-Angeboten. Die sind mal ähnlich cholerisch wie Spica (etwa in „Layer Cake“, 2004), mal cartoonesk überspitzt wie der durchgedrehte General, der in „Toys“ (1992) eine Spielzeug- zur Waffenfabrik umgestalten will, mal kosten sie kühl die Überlegenheit ihrer Position aus wie der Tabakfirmen-CEO in „Insider“ (1999), mal treibt sie die schiere Wut über die Existenz von sturen Gegnern an, wie den Weidebesitzer im Kampf gegen die viehtreibenden Cowboys in „Open Range“ (2003). Gemeinsam ist diesen Antagonisten ihre Überheblichkeit und die Neigung zu pompösen Selbstinszenierungen, was sie auch mit anderen Kinorollen Michael Gambons verbindet, die nicht in die Schurkenecke fallen, wie die gealterten, aber nach wie vor unverblümten Theatermenschen in „Alle lieben Julia“ (2004) und „Quartett“ (2012).
Welche tragischen Brüche solche Schaumschläger besitzen könnten, durfte Michael Gambon zumindest im Kino kaum je andeuten. Dabei konnte der Schauspieler dies jenseits der Bühne schon 1986 in der grandiosen Fernsehrolle vorführen, die ihm auf dem Bildschirm den Durchbruch bescherte: Der Sechsteiler „Der singende Detektiv“ beschert dem (nicht nur britischen) Fernsehen eine unvergessliche Sternstunde, in der Gambon sowohl als unter einer schweren Hautkrankheit leidender Autor wie auch als dessen Kreation eines weltgewandten Hardboiled-Detektivs brilliert. Der komplexen Struktur des Drehbuchs mit Überlappungen zwischen der gegenwärtigen Realität eines Krankenbetts, in dem sich der Autor vor Schmerzen kaum bewegen kann, Erinnerungen, Halluzinationen und dem Versuch, sich seinen nächsten Roman in Gedanken vorzustellen, zeigt sich Michael Gambon jederzeit als gewachsen. Die erstaunliche Bandbreite, die er hier zwischen völliger Hilflosigkeit, wildem Zorn, Sardonismus, Abgeklärtheit und Unberechenbarkeit in seinen beiden Rollen demonstriert, verleiht ihnen eine gnadenlose Tragik.
Gefragter Nebendarsteller
Nach „Der singende Detektiv“ kamen mehr Angebote für Fernseh- und Kinorollen, die Michael Gambon nun auch öfter annahm. Hauptrollen blieben dabei die Ausnahme und ergaben sich eher noch im Fernsehen, etwa als Uhrmacher im Historiendrama „Längengrad“ (1999) und als US-Präsident Lyndon B. Johnson in „Path to War“ (2002). Im Kino sind es abgesehen von „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ oder Károly Makks „Dunkle Tage in St. Petersburg“ (1997) eher die größeren und auch viele kleinere Nebenrollen, die Michael Gambon angeboten werden. Die er nichtsdestotrotz gern annimmt und denen er seinen Stempel aufzudrücken versteht, denn unbeachtet gehen seine Auftritte nie vorüber. Mit dem Dumbledore-Engagement dringt er mit Anfang sechzig sogar noch in die Popkultur-Sphäre ein, was die Filmangebote noch häufiger werden lässt und ihn mit beachtlicher Regelmäßigkeit auf die Leinwand bringt. Mitunter tritt dabei nun auch Altersmilde hervor, und zuletzt spielt Michael Gambon sogar manche leicht senilen Charaktere, während seine Ausstrahlung ungebrochen bleibt. Auch seine kraftvolle Stimme wird von „Der fantastische Mr. Fox“ über „Hail, Caesar!“ und die „Paddington“-Filme nach wie vor eindrucksvoll eingesetzt. 2019 erschien er zum letzten Mal vor der Kamera, am 27. September 2023 ist er mit 82 Jahren an einer Lungenentzündung gestorben.