In den 1990er-Jahren entfaltete der katholische Gemeindepfarrer Michael Graff in Alpirsbach im Schwarzwald eine kreative Filmarbeit, die bald über das kleine Städtchen hinausstrahlte, an anderen Orten Wurzeln schlug und die kirchliche Beschäftigung mit Film nachhaltig inspirierte. Im Alter von 74 Jahren ist Graff am 19. August 2023 in Kempten gestorben.
Wenn einer den Titel eines „Kinopfarrers“ je zu Recht hätte führen wollen, wäre das Michael Graff (4.1.1949-19.8.2023) gewesen. Der aus Weil der Stadt stammende katholische Priester pflegte von frühen Jahren an ein so inniges Verhältnis zur Siebenten Kunst, dass er öfters freimütig bekannte, „aus ernsthaften Filmen andächtiger hervorzugehen als aus mancher Predigt“. Seinen Amtsbrüdern empfahl er deshalb immer wieder, sich intensiver mit dem Kino in all seinen Formen zu beschäftigen, weil sich in dessen Traumgespinsten tiefe Sehnsüchte und geheime Wünsche offenbaren, von denen die meisten zuvor nichts gewusst hätten.
Seine Neugier beflügelte den kulturell wachen und vielseitig interessierten Theologen zu einer innerhalb der Katholischen Kirche singulären Karriere. Nach dem Studium und ersten Tätigkeiten als Jugendseelsorger und Tagungsleiter der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart wurde er 1992 in die Pfarrei St. Benedikt in Alpirsbach mitten im Schwarzwald geschickt, wo sich seine Filmbegeisterung bald in Kinoabenden niederschlug. Der Ort dafür war der Speisesaal des ehemaligen Benediktinerklosters, der in Anlehnung an die mönchischen Wurzeln „Subiaco“ genannt wurde, wie die Höhle, in der Benedikt von Nursia als Einsiedler gelebt hatte, bevor er seinen Orden gründete.
Sprudelnder Quell des Kreativen
Aus den anfangs sporadischen Filmvorführungen der Pfarrei erwuchs mit Hilfe einer wachsenden Unterstützerschar bald ein waschechtes Kino, das ab 1997 mit täglich wechselnden Programmen in den Regelbetrieb ging. Die religiösen Wurzeln dieses Unterfangens blieben dabei so sichtbar wie die schweren Steine des Klostersaals, in dem mit vielen Kissen, bequemen Stühlen und ein paar alten Sofas eine höchst eigenwillige Atmosphäre erwuchs. Dazu passten auch die von Graff initiierten Filmtagungen (etwa die „Alpirsbacher Filmgespräche“ oder „Das cineastische Quartett“), der spirituellen Formate wie die „Filmexerzitien“ oder „Kino und Wandern“. Und auch die Idee, im Sommer den Innenhof des Klosters für Open-Air-Vorführungen zu nutzen.
Graffs Fähigkeiten, Menschen zu begeistern und dauerhaft zur Mitarbeit zu motivieren, führte bald zu einer Ausweitung der „Subiaco“-Idee in den umliegenden Städten Schrammberg und Freudenstadt, wo der Kino-Verein bis heute die Bürgerschaft mit einer Mischung aus gängigem Mainstream und ambitionierten Arthouse-Filmen versorgt. In der Corona-Zeit kam sogar ein weiteres Kino in der Stadt Rottweil hinzu, das jetzt ebenfalls vom „Subiaco“-Team und -Geist beflügelt wird.
Ein tragischer Todesfall in der Gemeinde überschattete 2005 dann aber Graffs Spagat, als Pfarrer auch Mentor einer sich etablierenden Kulturinstitution zu sein. Mit der ihm eigenen Konsequenz zog er sich aus der Gemeinde, dem Verein und der Filmarbeit generell zurück und übernahm zunächst in Isny im Allgäu und dann in Stuttgart-Hofen kirchengemeindliche Aufgaben. In dieser Zeit entdeckte er die Lyrik für sich und einen kleinen Kreis, den er an seinen literarischen Lektüren teilhaben ließ. 2010 zog er sich dann ganz aus dem Pfarrberuf zurück und ließ sich in Kempten nieder, wo er zurückgezogen lebte und zunehmend auch auf Distanz zur Katholischen Kirche ging. Am 19. August 2023 verstarb er im Alter von 74 Jahren.
Ein bilderreiches, leicht zugängliches Denken
Als gelegentlichem Autor im Filmdienst, in theologischen Sammelwerken, aber auch als kurzweiligem Verfasser religiöser Bücher kann man seinem bilderreichen, leicht zugänglichen Denken weiter begegnen. Auch in seinem Schreiben war er mehr ein Praktiker, der aus seinem Herzen keine Mördergrube machte, sondern lieber eine etwas saloppe Formulierung in Kauf nahm, als lange um die Dinge herumzureden. „Sag mal, lieber Gott“, heißt eines seiner „frommen“ Bücher, die keine Einführung ins Christentum sein wollten, sondern eher eine Handreichung zum „Glauben für Einsteiger“. Das Kino, in dem die Bilder nie lange auf der Leinwand stehen bleiben, sondern nur im steten Fluss ihre Faszination entfalten, war für ihn wie gemacht, um seiner pfiffigen Umtriebigkeit Raum zu geben.
„Ich aber, Pfarrer, Filmvorführer in einem kleinen Klosterkino, staune dankbar …“, heißt es in einem Aufsatz über „Familie im Film“, in dem er nicht nur das Filmangebot der 1990er-Jahren durchmusterte, sondern mit leisem Humor auch seine eigene Geschichte streifte. Für ihn, der sich ungern mit Formalitäten aufhielt und für viele einfach „der Michl“ war, kam es zeitlebens mehr auf den gelebten Augenblick an, den Moment, an dem ein Bild, eine Idee, ein lang verdrängtes Gefühl aufblitzt und dann – vielleicht – nachhaltige Spuren hinterlässt. „Das Kino erzählt vom Leben“, hat er einmal notiert, „nicht immer vom richtigen Leben und nicht immer vom geglückten Leben, aber vom Leben.“ Das hatte für ihn, den cinephilen Theologen, zutiefst mit dem Evangelium zu tun: „Viel Passionsgeschichte und kurz angedeutet: Ostern“.