Die Ausstellung „No Master Territories“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt zeigt feministisch motivierte Filmarbeiten aus aller Welt, die zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren entstanden sind. Die nach wie vor beeindruckenden Filme erinnern daran, dass der Kampf für Frauenrechte auf starke Bilder setzen konnte und Aktivismus und filmischer Furor nicht ohneeinander denkbar waren.
„It matters what matters we use to think other matters with; it matters what stories we tell to tell other stories with; it matters what knots knot knots, what thoughts think thoughts, what descriptions describe descriptions, what ties tie ties. It matters what stories make worlds, what worlds make stories.“
(Donna Haraway, „Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene“, 2016)
Als Chantal Akerman 1975 reproduktive Tätigkeiten wie Kartoffeln schälen und Schuhe putzen zu dramatischen Handlungen eines Spielfilms machte, veränderte sie für immer den Blick auf die täglichen Gesten einer Hausfrau. „Jeanne Dielman, 23 quai du Commerce, 1080 Bruxelles“ (1975) revolutionierte die Filmsprache und hinterließ gewaltige Spuren auch im feministischen Kino. Weniger bekannt ist, dass die Darstellung von Hausarbeit in experimentellen und dokumentarischen Arbeiten von Filmemacherinnen schon Jahre zuvor als Sprengstoff auftauchte.
In der Collage „Schmeerguntz“ (1965) kontrastieren Gunvor Nelson und Dorothy Wiley Werbebilder, Material von Schönheitswettbewerben und Tonschnipsel aus romantischen Hollywoodfilmen mit Aufnahmen dreckiger Toiletten, ungesäuberter Kinderpopos und dem ekligen Schlonz, der gelegentlich den Abfluss von Spülbecken verstopft. „Spin me, oh spin me, spin me round and round“, singen die glockigen Frauenstimmen des Folk-Duos Kathy & Carol zu Bildern einer sich drehenden Waschtrommel.
Kartoffelschälen und Stricken gegen Sexismus
Auch in „Women’s Camera“ (1971) werden „typisch“ weibliche Tätigkeiten wie Kartoffelschälen und Stricken als Störbilder aktiviert. In ironischer Vorwegnahme eines sexistischen Vorurteils platzen sie unvermutet in einen filmischen Leitfaden für die Verwendung einer Arriflex-Kamera. Der von den Studentinnen Gardi Deppe, Barbara Kasper, Brigitte Krause, Ingrid Oppermann und Tamara Wyss an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (DFFB) realisierte Lehrfilm entstand im Rahmen eines rein aus Frauen bestehenden Grundkurses, der sich als Reaktion auf die Überzahl an Studenten formiert hatte. Krystyna Gryczelowskas „24 Godziny Jadwigi L. (Die 24 Stunden der Jadwiga L.), 1967 im Warschauer Dokumentarfilmstudio auf 35mm entstanden, orientiert sich dagegen eher an der visuellen Sprache der sozialrealistischen Reportage. In einprägsamen Bildern, die den Blick immer wieder auf Uhren, Beine und effiziente Handgriffe richten, begleitet der Film einen Tag im Leben einer Arbeiterin, Hausfrau und Mutter. Jadwiga L. arbeitet nachts in einer Drahtfabrik und kommt erst in den frühen Morgenstunden nach Hause. Anstatt erschöpft ins Bett zu fallen, beginnt ihre zweite Schicht mit Kochen, Waschen und der Kinderbetreuung.
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Zum expliziten Debattenthema werden die Spannungen zwischen dem Versprechen einer auf Gleichheit gegründeten kommunistischen Gesellschaft und der Lebensrealität von Frauen in „Mi aporte“ (Mein Beitrag, 1972). Sara Gómez, die am Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematográficos rund 20 Filme drehte, wirft in dieser auf Interviews und Diskussionsrunden basierenden (und nach Fertigstellung zensierten) Arbeit einen kritischen Blick auf die nachrevolutionäre Gesellschaft Kubas.
Jenseits herrschender Kanons
Häusliche
Sphären und weibliche Arbeit sind nur einer von vielen möglichen Eingängen in „No Master Territories“ – eine Ausstellung, die das
Aufeinandertreffen von Feminismus und Bewegtbild in nichtfiktionalen Formaten erforscht. Die von Erika Balsom und Hila Peleg kuratierte Schau im Berliner
Haus der Kulturen der Welt (noch bis zum 28. August) setzt auf eine dezentrale
Präsentationsform ohne Kapitel und vorgegebenen Parcours. Man könnte ihn auch
mit „Near the Big Chakra“ (1971) beginnen, einer Collage von Alice Anne Parker
(Severson), die 38 Vulven von Menschen im Altern von drei Monaten bis 63 Jahren
in Großaufnahme aneinandermontiert.
Oder mit „Pour mémoire“ (1987), einem kurzen Erinnerungsfilm an Simone de Beauvoir. Ein Jahr nach ihrem Tod suchte die Schauspielerin und Videoaktivistin Delphine Seyrig („Jeanne Dielman“) ihr Grab auf dem Friedhof von Montparnasse auf. Bilder des Marsches zu Ehren der Schriftstellerin, Philosophin und Feministin werden durch repetitiv aneinandergereihte Aufnahmen der Unterstützungsbänder abgelöst, die Frauenorganisationen aus den verschiedensten Ländern und Städten hinterlassen hatten.
„No Master Territories“ versammelt filmische Arbeiten von Frauen über Frauen, die zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren jenseits herrschender Kanons und etablierter Produktionsstrukturen in diversen geopolitischen Kontexten entstanden: von aktivistischen Videos und Avantgarde-Experimenten über Essayfilme und Doku-Fiktionen bis hin zu persönlichen Zeugnissen und beobachtenden Dokumentationen. Viele der Arbeiten haben eine Nähe zum politischen Aktivismus und wurden im Kontext von Frauenrechts- und -befreiungsbewegungen realisiert.
Nicht alle Frauen, die Filme machten, verstanden sich als Feministinnen. Nicht alle waren Filmemacherinnen. Manche waren Sexarbeiterinnen, Lehrerinnen und Anthropologinnen, andere Tänzerinnen, Musikerinnen oder Schriftstellerinnen. So etwa Zora Neale Hurston. Die bekannte Autorin und wichtige Vertreterin der „Harlem Renaissance“ dokumentierte im Rahmen eines Feldforschungsprojekts in den Südstaaten der USA den Alltag der schwarzen Bevölkerung mit der Kamera.
In der Ausstellung sind Filmausschnitte spielender Kinder neben Büchern, Magazinen und Schallplatten zu einer Materialsammlung zusammengetragen, darunter auch Fotografien von Maya Deren, die im Zuge einer Recherche für ein nicht mehr realisiertes Filmprojekt in Haiti entstanden.
Gegen die Ideologie der Meisterschaft
Wie der Ausstellungstitel andeutet – er stammt von der Theoretikerin und Filmemacherin Trinh T. Minh-ha, die in Texten wie Filmen an der Aufhebung der imperialen Teilungen zwischen Zentrum und Peripherie, Herrschenden und Beherrschten arbeitete – richtet sich die Zusammenstellung gegen die in der „Autorentheorie“ manifest gewordene Ideologie von Meisterschaft und die damit einhergehende Hierarchisierung. Filmische Arbeit wird eher als eine kulturelle (und kollaborative) Praxis verstanden, die mit einer Vielzahl an Akteurinnen und gesellschaftlichen Feldern (Politik, Bildung, Literatur, Ethnografie) verbunden ist.
Dieser Ansatz spiegelt sich auch im Erscheinungsbild der Ausstellung wider. Die Präsentation ist luftig und verzichtet auf die Abgrenzung der einzelnen Arbeiten zugunsten einer installativ angelegten Raumordnung. Betont wird das gleichberechtigte Nebeneinander und die gegenseitige Verschränkung. Sitzt man vor einer Leinwand, fällt der Blick simultan auf eine Vielzahl an Bildfenstern, Querverbindungen werden sichtbar, mitunter ergeben sich sogar Interferenzen.
Dass intersektionale Perspektiven eine lange Tradition haben und keine „Erfindung“ gegenwärtiger Identitätspolitiken sind, wird in zahlreichen Arbeiten sichtbar, in denen sich die Kritik an der patriarchalen Ordnung mit anderen Unterdrückungsformen wie Kolonialismus, Kapitalismus, Klassismus und Rassismus verbindet. So etwa in „Miss Universo en el Perú“ (1982). Die von dem Filmkollektiv Grupo Chaski realisierte Anklage an imperiale und patriarchale Macht führt in einer effektiven Montage zwei Ereignisse zusammen, die im Juli 1982 gleichzeitig in Lima stattfanden: den Schönheitswettbewerb um den Titel einer Miss Universum und den sechsten nationalen Kongress der Bauern-Konföderation von Peru.
Frei von patriarchalen Strukturen war allerdings auch das fünfköpfige Kollektiv nicht. Maria Barea, das einzig weibliche Gruppenmitglied, wurde von ihren Mitstreitern auf Bereiche wie Produktion verwiesen; zum Schnittstudio bekam sie keinen Zugang. 1985 verließ sie Grupo Chaski. Hintergründe wie diese lassen sich in dem umfassenden Katalog nachlesen, der die Ausstellung begleitet („Feminist Worldmaking and the Moving Image“).
Ironisch aufgegriffene Werbebilder
„Sisterhood™: Hyping the Female Market“ (1993) ist ebenfalls aus einem gemeinschaftlichen Prozess entstanden. Das bis heute existierende New Yorker Fernsehkollektiv Paper Tiger Television richtet sich in dem aktivistischen Video mit ironisch aufgegriffenen Werbebildern gegen das als Feminismus verkaufte neoliberale Ideal des erfolgreichen Individuums. Gegen herrschende Körperdiktate positioniert sich auch die von Helke Misselwitz porträtierte Fotografin Gundula Schulze Eldowy in „Aktfotografie – z.B. Gundula Schulze“ (1993). Der Titel bezieht sich auf einen im Film mehrfach zitierten praktischen Leitfaden für Amateurfotografen, der groteske Ratschläge zur Kaschierung körperlicher „Makel“ erteilt. Schulze Eldowy folgt dagegen auch in ihren Schwarz-weiß-Aufnahmen „gewöhnlicher“ nackter Frauen (von denen einige in der Ausstellung zu sehen sind) den Grundsätzen der sozialdokumentarischen Fotografie.
Dass das filmische Medium ein Instrument ist, das nicht nur in der Lage ist, Bilder gegen die herrschende Ordnung zu setzen, sondern auch von tiefen körperlichen Erfahrungen zu sprechen, wird nirgendwo so prägnant zum Ausdruck gebracht wie in „Untitled 77-A“ (1977) von Han Ok-hee. Die Künstlerin, die zu den Gründungsmitgliedern der experimentellen Filmgruppe Kaidu Club zählt, ist in dem sechsminütigen Film zu elektronischen Störgeräuschen an einem Schneidetisch zu sehen. Sie sichtet Filmmaterial, durchtrennt das Zelluloid mit einer überdimensional großen Schere, montiert es neu. Rhythmisch dazwischen geschnitten sind Szenen, in denen Han Ok-hee mit einer Bolex-Kamera Passanten auf den Straßen von Seoul filmt, Aufnahmen der weißen Leinwand, Close-ups von aus Ton geformten Körperteilen, die Schnitten folgend zu Boden fallen – ein psychoanalytisch überkodiertes Bild, das mit dem Konzept der Kastrationsangst spielt.
Am Ende entfesselt sich das Geschehen in einer Art ekstatischem Tanz mit dem Zelluloid, die Schere steckt in der weißen Leinwand, aus ihrer Wunde quillt Kunstblut. Auf programmatische Weise zeigt sich feministische Filmpraxis als eine Tätigkeit, die Wirkung hat, die etwas auslösen und gefährlich sein kann.
Hinweis:
Die Ausstellung „No Master Territories. Feminist Worldmaking and the Moving Image“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin ist noch bis zum 28. August zu sehen. Täglich außer Dienstag, von 12 bis 20 Uhr. Auf der Website findet sich auch der Hinweis auf das täglich wechselnde Kinoprogramm. Der umfangreiche Katalog „Feminist Worldmaking and the Moving Image“ mit vielen Filmstills kostet 34 Euro und ist in jeder Buchhandlung oder im Webshop des HKW zu erhältlich.