Die Oper verzeiht keine Fehler. Es gibt keine andere darstellende Kunst, in der die Besucher ihr Missfallen so lautstark kundtun. Buhrufe bei Premieren, mit denen das konservative Publikum zumeist auf die zu moderne Regie abzielt, renken sich später im Repertoire wieder ein. Doch nicht singen zu können: das passt nicht zum Perfektionsgedanken der Oper, bei der die Kunst der Sängerinnen, von Maria Callas bis zu Gabriela Benacková, mit Wohlklang und Schönheit assoziiert wird. Dvoráks „Ode an den Mond“ ist neben der Musik auch deshalb so bezaubernd, weil sie von der Benacková so klar und weich dargeboten wird. Alles andere ist undenkbar. Vor diesem Hintergrund ist die „Karriere“ von Florence Foster Jenkins (1868-1944) umso erstaunlicher und absurder: Sie traf keinen Ton. Und niemand traute sich, es ihr zu sagen.
Regisseur Stephen Frears erzählt die wahre Geschichte dieser exzentrischen Frau, deren Grundzüge bereits aus Xavier Giannolis fiktiver Aufbereitung „Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne“
(fd 43 447) bekannt sind. New York 1944. Florence Foster Jenkins, eine reiche Erbin und Mäzenin, hat mit ihrem Mann St. Clair Bayfield den Verdi-Club gegründet. Hier präsentiert sie der High Society Tableaux vivants – mit sich selbst im Mittelpunkt. Ein Konzert der Sopranistin Lily Pons bringt Florence auf die Idee, selbst singen zu wollen. Cosmé McNoon (köstlich in seinem ratlosen Staunen: Simon Helberg), ein mittelloser Pianist, begleitet sie am Klavier, auch ein Gesangslehrer ist schnell gefunden. Doch kaum hat Florence den Mund geöffnet, klappt den beiden Männern die Kinnlade herunter: Florence singt schief. Trotzdem gibt sie im kleinen Kreis ein Konzert, organisiert von Bayfield, der nur Freunde und Bekannte eingeladen hat – Bekannte, die nicht zuletzt von Florences Großzügigkeit profitieren. Der Abend wird ein Erfolg. Florence fühlt sich ermutigt. Jetzt träumt sie davon, in der Carnegie Hall ein Konzert vor Kriegsveteranen zu geben.
„Music matters!“, sagt Florence Foster Jenkins an eine Stelle, und das ist etwas, was man ihr nicht absprechen kann: Florence liebt die Oper leidenschaftlich, sie hat Spaß an dem, was sie tut. So wie Meryl Streep sie spielt, mit all dem Verve, der Freude, Güte und dem Altruismus, den übertrieben-extravaganten Kostümen, aber auch der Selbstverleugnung und Naivität, ist sie zunächst eine lächerliche Figur, der eine gewisse Tragik anhaftet: Hier verfolgt eine Frau zielstrebig und ernsthaft etwas, für das sie nicht geschaffen ist. Hier erfüllt sich jemand einen Lebenstraum und wird trotzdem ausgelacht. Meryl Streep ist komisch, weil sie so perfekt schief singen kann, weil sie die Widersprüche ihrer Figur so genau auf den Punkt bringt, und trotzdem möchte man sich das Lachen verbieten – so wie eine junge Frau in der Carnegie Hall den GIs das Lachen verbietet.
Bayfield kommt darum eine bedeutende Rolle zu: Er ist stets bemüht, seine Frau vor Schaden zu bewahren, und keiner hätte ihn besser spielen können als Hugh Grant. Seinem stolpernden Humor und seiner schüchtern-charmanten Verwirrtheit, die er in zahlreichen britischen Komödien kultivierte, fügt er hier Reife und Besorgnis hinzu. Wenn er in Manhattan alle Tageszeitungen mit der negativen Konzertbesprechung eines schlechtgelaunten Kritikers aufkauft, weiß man, wie sehr er seine Frau liebt – auch wenn er schon seit längerem bei seiner Geliebten lebt. Ein eigentümliches Beziehungsgeflecht, das sich dem Verständnis entzieht und gerade darum so viel Interesse weckt.
„Florence Foster Jenkins“ ist auch ein Film über eine verlogene Gesellschaft, die ihre Meinung für sich behält, um monetäre Zuwendungen nicht zu gefährden. Nicht zu vergessen der erschreckende Zynismus einiger Künstler, die in Jenkins’ Darbietung gar ein surrealistisches Happening sehen, so als wehre sich die Sängerin bewusst gegen den Perfektionszwang der Oper. Frears deutet die Düsternis dieser Themen nur an. Wer will, mag Parallelen zu modernen Casting-Shows entdecken, bei denen sich die Protagonisten auch nicht immer über ihre mangelnde Eignung im Klaren sind.
Die detailfreudige, wunderschön fotografierte Rekreation des New York der 1940er-Jahre überdeckt allerdings solche Assoziationen ans Heute. Frears konzentriert sich vor allem auf die tragikomischen Aspekte des unterhaltsamen Films, bei dem die drei Hauptdarsteller perfekt miteinander harmonieren. Und für Meryl Streep gilt: Falsch singen zu können, ist auch eine Kunst.