Dokumentarfilm | Frankreich 2014 | 86 Minuten

Regie: Frédéric Tcheng

Der belgische Modedesigner Raf Simons wird 2012 künstlerischer Direktor im Modehaus Dior und muss in nur acht Wochen dessen neue „Haute Couture“-Kollektion aus dem Boden stampfen. In einem Wechselbad aus Euphorie und Angst führt er alle Departments des berühmten Hauses zu einer spektakulären Modenschau. Reizvolle Dokumentation über Christian Dior und seinen nicht minder charismatischen Nachfolger, die vor allem für Modeinteressierte ein großes Vergnügen ist. Mode wird als arbeitsteiliger Prozess beschrieben, wobei der Film deutlich macht, wie eng die Entstehung einer Kollektion dramaturgisch und visuell mit dem klassischen Erzählkino verwandt ist. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DIOR AND I | DIOR ET MOI
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
CIM Prod.
Regie
Frédéric Tcheng
Buch
Frédéric Tcheng
Kamera
Gilles Piquard · Frédéric Tcheng
Musik
Ha-Yang Kim
Schnitt
Julio C. Perez IV · Frédéric Tcheng
Länge
86 Minuten
Kinostart
25.06.2015
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.78:1, DD5.1 frz./dt.)
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Mode-Dokumentarfilm

Diskussion
Historische Aufnahmen in grisseligem Schwarz-weiß zeigen Szenen aus dem berühmten Modehaus Dior. Man sieht Monsieur Christian Dior, den großen Couturier, in seinem weißen Arbeitskittel, mit Stift und Papier, über Schnittmustern, außerdem die im Vergleich mit heutigen Fashion-Spektakeln fast etwas amtlich aussehenden Défilés. Die Bilder strahlen die entrückte Atmosphäre, aber auch das historische Gewicht eines bedeutenden Kapitels in der Modegeschichte aus, das unter dem Schlagwort „New Look“ bekannt ist. 55 Jahre später steht ein bescheidener, etwas schüchterner Belgier namens Raf Simons vor der Belegschaft des Hauses und entschuldigt sich erst einmal für sein schlechtes Französisch. Simons, dem durch seine Arbeit für Jil Sander der Ruf eines waschechten Minimalisten vorauseilt, wurde zum kreativen Direktor des traditionsreichen Unternehmens berufen. Schon nach wenigen Filmminuten stehen cliffhanger-artig Fragen im Raum: Wird Raf Simons dem Erbe von Dior gerecht? Hält er dem Druck stand? Und wird er in nur acht Wochen seine erste „Haute Couture“-Kollektion gemäß seiner Visionen umsetzen können? In gleich mehrfacher Hinsicht scheint die Produktion einer Kollektion den Regeln des klassischen Erzählkinos zu entsprechen. Es gibt eine charismatische Hauptfigur (den Designer), ein vielfältiges Arsenal an Nebenfiguren (die sogenannten „Atelierersten“, den Assistenten, die Schneiderinnen und Schneider, die Models), Konfliktmomente und Plot-Points, die dem Lehrbuch für Drehbuchschreiben abgeschaut scheinen (etwa der Kampf gegen die Zeit; werden alle Kleider zur Modenschau fertig sein?). Hinzu kommen die Schauwerte: prächtige Stoffe und glitzernde Perlen, wunderschöne Roben, eine Atmosphäre von Glamour, Luxus und Dekadenz. Im Fernsehen hat sich dieses Format bewährt: „Vor der Show“ hieß die äußerst erfolgreiche Dokumentationsreihe auf arte, die hinter die Kulissen bekannter Modehäuser blickte und dabei die Entstehung einer Kollektion buchstäblich bis zur letzten Sekunde begleitete. Frédéric Tcheng folgt in „Dior und Ich“ ganz diesem Muster. Es geht um echte Handwerkskunst, kreatives Chaos, Logistik und das Wechselbad von Euphorie und Angst. Und um die richtige Balance zwischen Tradition und Innovation. So hat Simons etwa die Idee, die abstrakten Bilder des Malers Sterling Ruby für einige Abendkleider in Textildruck zu übertragen. Eine Aufgabe mit Hürden. Für Modeinteressierte ist der Film ein großes Vergnügen. Einen vergleichbar originellen Ansatz wie ihn etwa Rodolphe Marconi in „Lagerfeld Confidential“ (2007) verfolgte, kann der Film allerdings nicht vorweisen. Überraschendes oder gar Kurioses fördert Tcheng nicht zutage, ein Tränenausbruch des Designers kurz vor der Show ist schon das höchste an „Überschreitung“. Im Vergleich zu den standardisierten Formaten ist die Dokumentation dennoch deutlich ambitionierter. „Dior und Ich“ versteht sich vor allen Dingen als eine Kontinuitätsgeschichte zwischen dem großen Meister und seinem Nachfolger. Textauszüge aus Diors Autobiografie, die aus dem Off gelesen werden, verbinden nahtlos Geschichte und Gegenwart – als hätte es die 55 Jahre dazwischen, in denen so schillernde Namen wie Yves Saint Laurent und John Galliano mit Dior verbunden waren, nie gegeben. „Dior und Ich“ nimmt dennoch Abstand von der einseitigen Meistererzählung. Der Film – und auch Raf Simons – rücken immer wieder die Mode als arbeitsteiligen Prozess in den Fokus. Ausgiebig werden die Atelierersten als mit großer Verantwortung betraute Geschäftsfrauen gewürdigt; auch die enge Beziehung zwischen den Schneiderinnen und „ihrem“ Kleid spielt eine Rolle. Die Modenschau schließlich gerät zum Ereignis der Superlative. So lässt Simons die Wände des Stadtpalais komplett mit Blüten auskleiden; 50 Mitarbeiter sind allein damit beschäftigt, rote Rosen, weiße Orchideen, blauen Rittersporn und gelbe Mimosen auf den Putz zu applizieren. Die Kleider, in denen sich Reminiszenzen an Dior mit der eigenen Handschrift verbinden, sind von atemberaubender Schönheit, die erste Kollektion ist ein Erfolg. Happy End.
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