Je länger das Film-Franchise »Planet der Affen« floriert, umso offensichtlicher wird, dass sich der ursprünglich von Pierre Boulle in seinem Roman »La planète des singes« erdachte Mythos von intelligenzbegabten Affen unter dem Einfluss Hollywoods mehr und mehr zu einer auf den Kopf gestellten »Tarzan«-Vision der friedlichen Koexistenz von Primaten entwickelt. Hier ist es allerdings nicht der junge Lord Greystoke, der die Sprache der Affen lernt, sondern Caesar, der unter Menschen aufgewachsene Affe, der wie ein Mensch zu denken und zu fühlen beginnt. Gemeinsam ist beiden, dass sie über die trennenden genetischen Grenzen hinaus nach Solidarität streben. Es wird von der Fantasie künftiger Drehbuchautoren abhängen, ob die voller Analogien zu Rassenunterschieden und -vorurteilen steckende Story einmal in die Utopie eines toleranteren Daseins münden wird. Mit »Planet der Affen – Revolution« kommt die allegorische Komponente der Geschichte jedenfalls einen deutlichen Schritt vorwärts. Noch keiner der filmischen Vorgänger hat die Prämisse, dass Gut und Böse unabhängig vom äußeren Erscheinungsbild und von der genetischen Herkunft sind, so weit vorangetrieben wie diese Variante.
Die Story beginnt zehn Jahre nach dem Ende des Vorgängers »Planet der Affen – Prevolution«. Caesar, der imposante Menschenaffe, konnte sich inzwischen als Anführer einer multiethnischen Affenkolonie behaupten, in der die Schimpansen das Hauptkontingent stellen. Ein tödliches Virus hat die Menschheit dezimiert und deren Lebensraum weitgehend dem Verfall preisgegeben. Ein paar Hundert Überlebende gibt es noch in den Ruinen des post-apokalyptischen San Francisco, während die Affen jenseits der Golden Gate Bridge in den jahrtausendealten Wäldern von Muir Woods hausen. Die Affen glauben, die Menschheit sei ausgestorben, während die überlebenden Menschen es vermeiden, den Affen nahe zu kommen – bis der drohende Verlust der letzten Energiequelle sie dazu zwingt, in das Affenreich einzudringen, um einen Staudamm wieder funktionsfähig zu machen. Angeführt von einem früheren Architekten, einem besonnenen Mann, wagt sich eine kleine Gruppe in die dschungelhaften Wälder vor. Nach ersten aufgebrachten Konfrontationen schließen der Anführer der Menschengruppe und Caesar einen Pakt, dass der Staudamm ohne Behinderung repariert werden darf, solange keine Waffen in die Kolonie mitgebracht werden. Als einer aus der Gruppe das Abkommen bricht, sieht Koba, Caesars mächtigster Rivale, der einst bei Labor-Experimenten viel zu erleiden hatte, die Zeit für gekommen, die Mehrzahl seiner Artgenossen hinter sich zu bringen und San Francisco zu überfallen.
»Planet der Affen – Revolution« wäre kein Hollywood-Thriller, würde er nicht jede Gelegenheit zu kämpferischen Auseinandersetzungen nutzen, sowohl in spannenden Zweikämpfen als auch in Massenschlachten, bei denen Menschen, Affen und Material gnadenlos vernichtet werden. Doch was den Film von allen anderen Franchise-Filmen dieses Sommers unterscheidet, ist seine überraschende Orientierung an Motivationen und sein noch erstaunlicheres Interesse an charakterlicher Differenzierung. Die äußeren Konflikte mögen den Zuschauer in ihrer perfekten Realisation überwältigen, doch in Erinnerung bleiben letztlich die vielen Szenen, in denen sich der Film auf die Intimität von zwei Gesichtern zurückzieht und den Spuren von Respekt und Mitgefühl auf beiden Seiten mit einer in diesem Genre ungewohnten Insistenz nachgeht.
Dieses Konzept geht nur deshalb auf, weil die technische Komponente des Performance-Capturing inzwischen einen so hohen Standard erreicht hat, dass man den Trick gar nicht mehr als solchen registriert, sondern Schauspieler und Maske eine Einheit werden. Man darf diesem Caesar in die Augen sehen, ohne an Andy Serkis denken zu müssen, der in Wirklichkeit der artifiziellen Kreation sein Profil leiht. Menschen und Affen sind gleichberechtigte Figuren: Voraussetzung für das Publikum, gleiche Emotionen zu empfinden, und für den Film, um seine unterschwellige allegorische Dimension zu etablieren. Ähnlich bemerkenswert ist auch die visuelle Einfühlsamkeit, mit der die beiden kontrastierenden, aber in vielem auch korrespondierenden Lebensräume dargestellt werden. Gleich der Anfang des Films begründet mit einer ebenso realistischen wie poetischen Jagdszene eine positive Gestimmtheit des Zuschauers, der die Affenkolonie und deren Bewohner nicht als Ausgeburt des Bösen versteht, wie in Filmen dieses Genres normalerweise zu erwarten wäre. Sorgsam über den ganzen Film verteilte Szenen der Motivation (Caesars Erinnerungen, Kobas Verweis auf seine Wunden) festigen die Bereitschaft des Publikums, auch extreme Handlungsweisen im Kontext der übergreifenden Geschichte zu sehen.
Verglichen mit den unvertieften, ganz von uniformen Darstellungsmustern überwucherten Filmen vom Schlage »Transformers« stellt sich »Planet der Affen – Revolution« im Grenzbereich zwischen Fantasy und Science Fiction als eine reizvolle Alternative dar. Das gilt nicht zuletzt auch für die Nutzung des 3D-Formats. Matt Reeves (»Cloverfield«, »Let Me In«), dessen erster 3D-Film dies ist, hält sich von den üblichen »In your face«-Effekten weitgehend fern und konzentriert sich auf eine Raumfotografie, die der Handlung zusätzliche Entfaltungsmöglichkeiten verleiht. Dazu rückt er immer wieder Fenster, Balken, Äste und Gitter ins Bild, die ihm gestatten, innerhalb derselben Einstellung mehrere Ebenen zu schaffen, auf denen sich das Geschehen abspielt. Wenn er dann die Kamera für Großaufnahmen benutzt, schafft das einen deutlichen Kontrast, der die Aufmerksamkeit des Publikums anstachelt und mit dem Reeves gleichzeitig betont, wie wichtig ihm der Blick auf die Personen ist. Dass dabei die Affen besser wegkommen als die Menschen, lässt sich nicht übersehen. Von der Automation, der die meisten 3D-Filme erliegen, ist »Planet der Affen – Revolution« jedenfalls weit entfernt. Auch in dieser Hinsicht darf man auf Matt Reeves’
nächste Filme gespannt sein.